Saint-Léonard

Die Guten ins ...


Wer, frage ich mich, verschickt eine Ansichtskarte, auf dem ein Gefängnis abgebildet ist? Die Frage stellt mich vor ein Rätsel. Die Eltern, die den Verwandten mitteilen wollen, dass »Söhnchen im Augenblick gut untergebracht ist«, oder waren es die Insassen, die Freunden schreiben wollten, dass »sie vor dem Gebäude am Soundsovielten abgeholt werden wollten«. Völlig unklar.

Aber ich will nicht undankbar sein, denn dank der Postkarten von damals findet sich heute noch Illustrationsmaterial und als Leser:innen können Sie sich ein Bild machen, wie die Unterbringung erfolgte. Wie zum Beispiel die von Maigret. Der hatte sich als Verdächtiger in »Maigret im Gai-Moulin« in das Gefängnis sperren lassen, um dem »wahren« Täter in Sicherheit zu wiegen.

Architektur als Menschenformer

Joseph Jonas Dumont wurde 1811 in Düsseldorf geboren und studierte Architektur. Zwei Dinge bleiben von ihm im Gedächtnis hängen: Er war von dem Architekturstil der Neugotik begeistert, die er in England kennengelernt hatte. Außerdem glaube er daran, dass Architektur eine gesellschaftliche Rolle spielen würde. Dumont wollte das Volk mit seinen Gebäuden moralisieren, weshalb er sich auf den Bau von Kirchen spezialisiert hatte. Für die, die er nicht erreichte, baute er Gefängnisse. 

Schaut man sich seine Gefängnisse an, so erinnern sie einen an Schlösser oder Burgen. Dieser Stil – Pseudo-Tudor – produzierte bei einigen Betrachtern Empörung, denn die Bauwerke würden von außen verheißen, dass es wie an einem königlichen Hofe zuginge. Bekanntermaßen wurde das Treiben in dieser Gesellschaft, wenn man nicht dienen musste, als eher luxuriös angesehen. Letztlich muss man aber immer betrachten, was sich hinter den Toren abspielte.

Es ist durchaus möglich, dass das Gefängnis Saint-Léonard, das von Dumont entworfen und gebaut wurde, aufgrund seiner ästhetischen Wirkung auch als Motiv für Postkarten dienen konnte. Dann wäre die Intention der Absender eher gewesen: »Schaut mal, was sie in Lüttich für ein schönes Zuchthaus haben!«

Der Knast

An der Stelle, an der Saint-Léonard errichtet wurde, gab es schon im 13. Jahrhundert ein Gefängnis. Es wurde in der Nähe der Porte Saint-Léonard errichtet. Mein erster, wenn auch etwas destruktiver Gedanke, war, dass das hervorragend für die Gefängnisrevolten gewesen wäre – der Weg aus der Stadt wäre dann nicht so weit. Mit der Realität hat der Gedanke wenig zu tun, denn üblicherweise entwickelte sich die Stadt weiter, weshalb sich das Konzept von Stadtmauern überlebte. Das alte Gefängnis wurde ab 1840 abgerissen und sieben Jahre später mit dem Bau einer neuen Unterbringung für Gefangene begonnen. Der Bau zog sich bis in das Jahr 1850.

Auch dieses wurde in neugotischem Stil errichtet und hatte eine längliche Form. Ob man es als hübsch bezeichnete. Nehmen wir an, dass Simenon seine Meinung über das Gebäude kundtat:

Das Saint-Léonard-Gefängnis! Der scheußliche schwarze Bau, gegenüber dem Pont-Maguin, mit seinen mittelalterlichen Türmen, den Schießscharten und Eisengittern verschandelte das ganze Viertel.

Demnach könnte man die Postkarte an die lieben Verwandten, in denen die Schönheit des Gebäudes gepriesen worden wäre, beiseite legen. 

Die Deutschen nutzten das Gefängnis in den beiden Weltkriegen, in denen sie die Stadt besetzt hielten, ebenfalls. Gerade im Zweiten Weltkrieg wurden Widerstandskämpfer im Gefängnis hingerichtet. Befreit wurde die Haftanstalt 1944. Es blieb aber weiterhin in Betrieb. Mit den sich ändernden Zeiten wurde das Gefängnis unpraktikabel – in der Nähe von Lüttich wurde ein neues Gefängnis errichtet. Als es 1979 zu einem Streik der Gefängniswärter kam, nutzten das die Insassen, um zu revoltieren. Nach der Niederschlagung beeilte man sich, die Gefangenen in das neue Gefängnis zu transferieren.

Von 1982 an wurde das Gefängnis geräumt und anschließend abgerissen. Jahrelang war das Gelände Brachland, bevor die Stadt einen Park mit dem Namen des Gefängnisses an der Stelle errichtete und diesen 2002 einweihen konnte.

Wer seine Strafe in der Haftanstalt anzutreten hatte, dürfte nicht so viel Spaß an seinem architektonischen Stil gehabt. Und drinnen ging es ganz gewiss nicht feierlich zu. Kommissar Delvigne hatte erhebliche Bedenken, als der Pariser Kollege den Vorschlag seiner Einlieferung hervorbrachte:

»Sie wollen wirklich ins Gefängnis?«
»Warum nicht?«
Delvigne mochte sich nicht an den Gedanken gewöhnen.
»Natürlich können Sie sich dort völlig frei bewegen.«
»O nein! Im Gegenteil, bitte sorgen Sie dafür, dass ich mit der gebotenen Strenge behandelt werde.«
»Sie haben merkwürdige Methoden in Paris!«

Schön war's nicht gewesen. Aber er hat es überlebt … Das Prinzip war halt, dass die Guten in die Kirche gingen und der Rest in den Knast. Wobei über alle Zeit galt, dass man nicht unbedingt kriminell sein musste, um in der Strafanstalt zu landen – war man politisch unangenehm, so konnte man dort genauso inhaftiert werden. Und einen Frauenflügel hat's auch gehabt.