Le proces de Guy Davin

Ein Meisterstück


Da hatten sich zwei gefunden, mag man ausrufen, wenn einem die Geschichte zu Ohren kommt. Auf der einen Seite ein Amerikaner, der in Paris gestrandet war und sich mit Gaunereien über Wasser hielt. Auf der Anderen der verzogene Spross einer bürgerlichen Familie aus französischen Seine-Metropole, der den gleichen Weg gewählt hatte. Einer von ihnen sollte das Zusammentreffen nicht überleben.

Verfolgt man das Geschehen in der damaligen Presse, so fühlt man sich schon an eine Ermittlung von Maigret erinnert. Der Unterschied besteht darin, dass die Schilderungen in den Zeitungen häufig blumigerer Natur sind und die Reporter keine Chance hatten, das Seelenleben des ermittelnden Kommissars zu ergründen. So wird auch nicht notiert, ob dieser in irgendwelchen Bistros einkehrte und was dort verzerrt wurde.

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Die Geschichte fängt im Forêt de l'Hautil in der Nähe von Triel an. Ein paar Kinder, die für meinen Geschmack sehr spät in einer gruseligen Umgebung unterwegs waren, entdeckten im Dickicht Rauch. Bei der Prüfung, was das denn war, stellten sie weg, dass jemand einen Haufen Wäsche angezündet hatte. Dabei war auch der Ärmel einer Männerjacke. Sie erzählten es – vermutlich zu Hause – und daraufhin wurde die Gendarmerie in Poissy informiert.

Die Gendarmen nahmen die Berichte nicht auf die leichte Schulter und machten sich auf den Weg. Sie fanden zwei Haufen mit brennender Kleidung. Merkwürdig war das auf jeden Fall, verdächtig wurde es, weil die Klamotten in Benzin getränkt war und einige Kleidungsstücke an der rechten Seite Blutflecken aufwiesen.

In der unmittelbaren Umgebung fand sich noch ein Schuh, der in bestem Zustand war. Die Polizisten entschieden sich, die Funde der Mobilen Polizeibrigade und der Staatsanwaltschaft in Versailles zu melden.

Dreißig Kilometer von dort entfernt entdeckte ein Geschäftsmann an der Straße einen Autositz. Ein Gendarm aus der Umgebung begab sich zum Fundort und stellte fest, dass sich an diesem Autositz Blutflecken befanden. Nun wurde die Angelegenheit zu einem Fall für die Mordkommission und Kommissar Gabrielli übernahm.

Zur gleichen Zeit entdeckte man im Bois de Vincennes ein Auto. Das Fahrzeug war gegen einen Baum im Dickicht gefahren worden, hatte nun eine eingedrückte Motorhaube und war verlassen worden. Neben einer Reihe von. Blutflecken, die im Auto zu finden waren, und der Tatsache, dass die Zulassung vermisst wurde sowie das Nummernschild offenbar gefälscht war, fiel den Polizisten auf, dass der Fahrersitz fehlte.

Nun begann man 1 und 1 und 1 zusammenzuzählen und heraus kam: Da war wohl ein Mord begangen worden und das war der Stand vom 18. Dezember 1931.

Der Nebel lüftet sich langsam

Monsieur Gauliet war der unglückliche Besitzer des Wagens, der im Bois de Vincennes absichtlich gegen einen Baum gesetzt worden war. Das Auto war ihm fünf Tage zuvor entwendet worden und das war der Polizei auch gemeldet worden. In der Zeit vom Diebstahl bis zum Auffinden war das Gefährt vierhundert Kilometer gefahren – also war er ordentlich rumgekommen.

Was den Nachweis einer Schuld einfacher machen würde: Sowohl am Lenkrad wie auch am Innenfenster fanden sich Fingerabdrücke.

Der oder die Täter hatten einen guten Grund, die Kleidung zu verbrennen: Es brauchte nicht ein Schild an der Hose oder einem Jacket, auch anhand von Knöpfen ließ sich der Hersteller identifizieren. Monsieur Litwall verarbeitete Knöpfe mit seiner Adresse und so konnte die Polizei ihn befragen. Der Schneider konnte das Kleidungsstück als seine Arbeit identifizieren und wusste auch, für wen er den Anzug geschneidert hatte: Richard Wall, ein Amerikaner aus New York. Er fügte an, dass der Anzug noch nicht bezahlt wurde.

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Richard Wall (Zeichnung aus Zeitung)

Credits: Public Domain

Der Mann war nicht nur der Presse bekannt. Früher im Jahr geriet er in die Schlagzeilen, als er seine ehemalige Freundin anzeigte, sie hätte ihn um 10.000 Dollar erleichtert. Danach war Wall mittellos und schlug sich mithilfe von Freunden so durch. Allerdings sah es so aus, als hätte er seit dem Juni 1931 keine Spuren mehr in der Stadt hinterlassen.

Eine junge Frau, Mary Sat, war zwei Tage mit Tochter und ihren Hunden unterwegs. In der Nähe hielt ein Auto. Kurz darauf hörte sie einen Schuss und sah, wie ein Mann zusammenbrach. Sie war nicht die einzige, die den Schuss wahrgenommen hatte. Sie wurde von einem anderen Mann angesprochen, ob sie einen Schuss gehört hätte. Gemeinsam folgten sie dem Auto und der Mann versuchte sich das Nummernschild aufzuschreiben.

Die Polizei war sehr fleißig und hatte in der Zwischenzeit Händler entdeckt, bei denen ein Mann Benzin kaufen wollte. Der wollte den Treibstoff unbedingt in Kanistern haben, aber nicht jede Tankstelle verkaufte auch die passenden Behälter dazu. Ebenfalls meldete sich ein Zeuge und berichtete, er hätte an der Hängebrücke von Triel beobachtet, wie jemand ein »Paket« in die Seine geworfen hatte. Der Zeuge wollte sich das näher anschauen, aber der Fahrer des Wagens hörte ihn wohl und flüchtete. Im Fluss konnte er nichts entdecken …

Auch mit dem Schuh, der herrenlos an der Straße lag, waren die Ermittler weitergekommen. Sie fanden den Schuhhändler und der wusste zu berichten, dass er das Schuhwerk an Richard Wall verkauft hatte … obwohl bezahlt hatte der Mann die Rechnung nicht. Aber damit waren der Schneider und Schuhhändler nicht die einzigen. Die Polizei konnte nachvollziehen, dass diverse Lieferanten und Hotels auf den offenen Rechnungen Walls sitzen geblieben waren.

Die Reporter ermittelten ebenfalls. Sie hatten den Verdacht, dass sich vielleicht die ehemalige Freundin mit ihrem Liebhaber zusammengetan haben könnte – eine Rachemotiv, weil sie von Wall angezeigt worden waren. Aber dieser Freund, einem Monsieur Barbat, war nicht auffindbar. Die Mutter wollte partout nichts sagen. Aber die Nachbarn waren auskunftsfreudig: Sie hätten den Junior längere Zeit nicht gesehen. Und sie hätten nicht den Eindruck, dass er einer geregelten Arbeit nachgehen würde.

Über Nacht

Schon am nächsten Tag konnten die Zeitungen vermelden, dass die Polizei den Täter geschnappt hatte. 

Als heiße Spur erwies sich dabei, dass Richard Wall sich mit seinen Freunden im Topsy, einer Bar, traf. Die Polizisten trafen dort Monsieur Izaure an, der sich bereit erklärte, bei der Polizei Auskunft zu geben. Der Mann erzählte, dass Wall zu ihm gekommen sei, weil er keine Unterkunft hatte und ihn gefragt hatte, ob er bei ihm Unterschlupf finden könne. Hintergrund war, dass der derzeitige Hotelier gewisse Befürchtungen hatte, was das Begleichen der Hotel-Rechnung anging.

Die nächsten beiden Tagen sahen die beiden sich kaum, aber an dem 16. Dezember, da waren die beiden im Topsy zum Lunch und Wall wollte sich dort mit einem Kumpel namens Davin treffen. Die Runde löste sich auf, so sagten es sowohl Monsieur Izaure wie auch der Bar-Besitzer aus und zurück blieben Wall und Davin. Demnach war Davin die letzte Person, die Richard Wall lebend gesehen hatte.

Sie statteten dem Haus der Eltern des Mannes einen Besuch ab und nahmen den jungen Mann mit zur Polizei. Während befragt wurde, durchsuchten Polizisten seine Bleibe. Sie fanden in der Wohnung die gleiche Wäsche wie auch auf dem Wäschehaufen, der im Wald verbrannt werden sollte. Sicher war das ein Indiz. Aber um Davin zu konfrontieren, hatten die Polizisten noch etwas anderes in der Hinterhand: Ein Tankwart erkannte den Mann bei einer Gegenüberstellung wieder. Der erzählte, dass er sich das Gesicht gemerkt hatte, da ihm Davin einen 1.000-Franc-Schein gegeben hätte, der mit einem Blutfleck beschmutzt war.

Eine Stunde brauchten die Ermittler, dann brach der junge Mann zusammen. Die Geschichte, dass er und Wall sich getrennt hätten, und er den Mann danach nie wieder gesehen hätte, ließ sich nicht halten.

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Guy Davin bei seinem Besuch beim Untersuchungsrichter

Credits: Public Domain

Demnach hatte Wall an ihn gewandt, dass er einen Scheck über 300 Dollar bei einer Bank einlösen solle. Interessanterweise wurde nie thematisiert, warum Wall das nicht selbst erledigte – das hätte sein Leben retten können. Denn Davin war selbst in Geldnot und fuhr, nachdem er den Scheck eingelöst hatte, schnurstracks zu einem Waffenhändler und kaufte einen Revolver. Dann fuhr er zurück zum Topsy, gab Wall sein Geld und überredete ihn zu einer Spritztour.

Bei einer passenden Gelegenheit – zumindest in den Augen von Davin – schoss er auf Wall, der daraufhin wohl mit den Worten »All right!« reagierte. Das war der Moment, den Mary Sat der Polizei schilderte. Guy Davin gab an, dass er mehr als einmal auf Wall schoss.

Sein Problem war, dass dies eine sehr blutige Angelegenheit war, weshalb er sich neue Klamotten besorgen musste und seine alte Kleidung entsorgen musste. Der weitere Verlauf war so, wie es die Polizisten anhand der Zeugenaussagen rekonstruiert hatten: Er besorgte sich Benzin und entsorgte die Leiche. Dann kehrte er zurück nach Hause, gab ein wenig von der Beute seiner Ehefrau und beglich Schulden bei anderen.

Erst am darauffolgenden Tag kümmerte er sich um das Auto. Mit dem vorgetäuschten Unfall wollte er die Blutflecken erklären. Nun ging es nach Versailles, wo er sich dem Untersuchungsrichter Gay zu stellen hatte. Auf dem Weg zum Richter sah der Mörder die Teiche von Villed'Avray und meinte:

»Kaum zu glauben, dass wir diesen Winter Schlittschuh laufen werden und ich meinem Lieblingssport nicht nachgehen kann ...«

Der Mann hatte Sorgen.

An anderer Stelle war man bemüht, den Leichnam von. Richard Wall zu finden. Aber erfolgreich waren die Suchenden, die auch einen Taucher bei sich hatten, nicht.

Guy Davin wurde als Schwächling beschrieben. Die Leute konnten sich nicht vorstellen, dass er die Tat allein begangen hatten. Es meldeten sich Zeugen, die aussagten, dass Davin bei der Leichen-Beseitigung nicht allein gewesen wäre. Letztlich sprach alles dafür, dass er die Tat alleinbegangen hatte – der Mann hatte sich einen guten und einfach Platz ausgesucht, um Richard Wall loszuwerden. So hielten es auch die Ermittler für die Tat eines Einzelnen und suchten nicht weiter nach Komplizen.

Das Bild, das von dem Mörder gezeichnet wurde, konnte ungünstiger nicht sein. In der Schule war er faul und schlechtes Benehmen war sein Markenzeichen. Er orientierte sich an älteren und kräftigeren Mitschülern und galt als – eine schöne Bezeichnung – »perfekter Versager«. Wie schon erwähnt, begeisterte er sich für Schlittschuhlaufen und spielte Tennis. Er hatte eine Verurteilung wegen Autodiebstahls in seiner Akte stehen. Seine Eltern wussten nicht mehr ein und aus – sie arrangierte eine Ehe mit einer jungen Frau, aber auch das half nicht, den jungen Mann auf einen ehrenwerten Weg zu bringen.

Ruhig

In den darauffolgenden Monaten war es ruhig. In Paris und Umgebung gab es immer Verbrechen, auf die sich die Journalisten stürzen konnte. Da musste alter Krams nicht aufgebrüht werden.

So brauchte es zehn Monate, bis Guy Davin wieder in den Schlagzeilen war. Er wurde zu zehn Jahren verurteilt. Wer sich nun verwundert den Kopf kratzt und denkt »Zehn Jahre für einen kaltblütigen Mord?«, der liegt richtig. Die Staatsanwaltschaft hatte ihn nicht wegen Mordes vor Gericht gestellt, sondern erst einmal wegen der Autodiebstähle.

Hier war das übliche Strafmaß fünf Jahre. Da es sich bei Davin aber um einen Gewohnheitsverbrecher handelte, wurde die Strafe flugs verdoppelt.

Der Mord war noch nicht verhandelt worden. Aber Davin konnte sich auf einer Anklagebank schon mal warmsitzen.

Interludium

Bis zum Jahr 1941 war es üblich, dass eine Geschworenen-Jury in Frankreich ihre Entscheidungen allein traf. Berufsrichter hatten bei den Beratungen nichts zu sagen. So waren die armen Geschworenen den Plädoyers von beredsamen Verteidigern ausgesetzt, die nicht nur die Köpfe ihrer Mandanten retten wollten, sondern gleich für einen Freispruch kämpften – obwohl klar war, dass die Herrschaften schuldig waren.

Ein ausgewiesener Experte auf dem Feld der Beredsamkeit war der 1889 geborene Maurice Garçon. Er hatte das Plädieren schon in die Wiege gelegt bekommen, denn auch sein Vater war ein berühmter Jurist. Garçon konzentrierte sich bei seinen Vorträgen darauf, an die Vernunft der Jury zu appellierten. 

Zu seinen bekannteren Fällen gehörte die Verteidigung von Louis Landry – die ihren Mann, der zehn Jahre als Frau verkleidet mit ihr zusammengelebt hat, um einer Verurteilung als Deserteur zu entgehen, ermordet hatte. Auch die Verteidigung von Norbert Mouvault lag in seinen Händen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es ihm zweimal René Hardy vor einer Verurteilung zu bewahren – in den Prozessen ging es um dessen Rolle bei der Verhaftung der Widerstandskämpfer Jean Moulin und General Delestrint.

Der Mann hatte ein Faible für das Metaphysische. Er hielt dazu auch Vorträge, wie zum Beispiel »Die schwarze Magie unserer Tage« (1929). In seiner Bibliothek in seiner Pariser Wohnung soll es allein vierhundert Bücher über den Teufel gegeben haben. 

Garçon war angetan von Kriminalgeschichten, so gründete er Ende der 1920er-Jahre die Zeitschrift »Le Nouveau Détective« mit. Außerdem war er Mitglied des conservatoire de l'Humour. Klar, dass so jemand auch Mitglied der Académie française war.

Und es gibt eine direkte Verbindung zu Simenon. Maurice Garçon, der sich immer wieder für Literaten einsetzte, verteidigte den Schriftsteller in dem »Le Coup de lune«-Fall. Simenon war wegen Verleumdung angeklagt worden. Die Affäre ging erfolgreich für den Jung-Schriftsteller aus.

Zu den anstrengenderen Fällen dürfte aber das Tribunal gegen Guy Davin gehört haben.

Der große Prozess

Der Anwalt machte einen melancholischen Eindruck. Das lag wohl auch dran, wie sich sein Mandant gab.

Er hat ein spitzes, nicht hässliches, aber etwas freches Gesicht, das die Blicke der Geschworenen aus Seine-et-Oise auf sich zieht. Diese Frechheit wird durch ein unbekümmertes Grinsen noch verstärkt.

Können wir uns vorstellen, dass das die Geschworenen bei einem Mann mögen, der wegen Mordes vor Gericht steht? Die beiden Rechtsanwälte von Davin wissen, was die Mimik für einen Eindruck macht. Aber sie bekommen ihren Mandanten nicht überzeugt, dieses Gehabe zu unterlassen.

Bevor man zum eigentlichen Sachverhalt kam, wurde das »Wirken« des Angeklagten vor dem tragischen Ereignis betrachtet. Er hatte eine Methode entwickelt, Benzinkanister aus Werkstätten zu stehen und diese für einen höheren Preis zu verkaufen, als sie eigentlich wert gewesen wären – auch wenn er sie redlich erworben hätte.

So ein Spitzbube, mag man da noch abwinken, aber die zweite Masche zeigte, was für »ene fiese Möpp« er war. Er lockte Frauen in sein Auto, die auf einen Bus warteten. Nach einiger Zeit täuschte Davin eine Panne vor – wenn Dame ausstieg und ihre Handtasche zurückließ, sauste er davon. Darauf angesprochen, schien er stolz auf die Masche zu sein.

Bei anderen Vorwürfen schaltete er auf stur und wollte nicht antworten. Da bekam er Stress mit seinem Verteidiger Garçon, der sich mokierte »Machen Sie mir meine Aufgabe nicht unmöglich! Erklären Sie sich.«

Was die eigentliche Anklage anging, betätigte Guy Davin die Vorwürfe. Er scheint das ganze Verfahren sehr spaßig zu finden und ein Berichterstatter stellte dazu fest, dass dies weniger Zynismus sei als vielmehr dümmliche Selbstfälligkeit. Geo London beobachtete auch diesen Prozess und notierte dazu:

Wie am Vortag machte er einen Auftritt, der perfekt geeignet war, die Jury gegen sich aufzubringen. Ein Lächeln auf den Lippen, ein höhnisches Glühen in den Augen, eine vulgäre doppelte Bewegung des Kopfes und der rechten Hand, um sein schweres blondes Haar nach hinten zu werfen.
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Die Mutter und die Ehefrau von Guy Davin

Credits: Public Domain

Die Aussage einer Ehefrau bringt keine spektakulären Erkenntnisse, der Auftritt der Mutter ließ tief blicken. Sie meinte, dass sie die Freunde ihres Sohnes nicht »Freunde« nennen würde, sondern Banditen. Über das Wesen ihres Sprösslings sagte sie Folgendes aus:

Mein Sohn tut die gewaltigsten Dinge mit einer solchen Einfachheit und Naivität, dass man verwirrt ist.

Die Stoßrichtung wird während der Aussage klar: Ihr Sohn wäre eigentlich nett und freundlich, allerdings hätte er Gewaltausbrüche. Sie sagte aus, dass sie als Eltern versucht hätten, ihn einsperren zu lassen – aber das hätte nichts geklappt.

Wenn nicht schon ein Freispruch, so doch irgendwie mildernde Umstände oder vielleicht eine Einweisung in eine Heileinrichtung. Die Einschätzung der Mutter mochte parteiisch sein, weshalb das Gericht gern auf Experten zurückgriff. 

Und diese mochten die These der Mutter nicht stützen: Davin wäre für seine Taten verantwortlich, er könnte nicht als Verrückter betrachtet werden. Eine interessante Wortwahl wurde damals verwendet, die man heute wohl so nicht mehr lesen dürfte. Bei Davin würde es sich um einen »instinktiven Perversen« handeln. Und zur Jury gewandt: Sie müsse ihre Schlüsse daraus ziehen, ob dies nun eine Schuldminderung rechtfertigt oder gar keine Strafverschärfung.

Der Staatsanwalt hatte, wie zu erwarten, die Todesstrafe beantragt. 

Nach Ansicht der Gerichtsreporter lag es am Geschick von Maurice Garçon, dass Guy Davin mildernde Umstände zugesprochen wurden:

Die Jury akzeptierte die kühne These, die von Mâitre Maurice Garçon aufgestellt und von ihm mit außergewöhnlicher Virtuosität entwickelt wurde. Der geschickte Anwalt versuchte nicht, die Schmerzen seines Mandanten zu mindern. Im Gegenteil, er malte den Mörder von Richard Wall in den düstersten Farben, um ihn schließlich mit dem Siegel eines tragischen Schicksals zu versehen, das ihn unweigerlich vom Laster zum Diebstahl und vom Diebstahl zum Verbrechen führen musste.

Das Urteil war Zwangsarbeit. Wieder einmal hatte Maurice Garçon das Beste für seinen Klienten herausgeholt, was in der Situation möglich war.

Eine letzte Notiz

Da war das Verbrechen, da war der Prozess mit der meisterhaften Leistung von Maurice Garçon und was kam dann? Eine kleine Meldung in der Zeitung, dass er zusammen mit Pierre Laget in die Kolonien verschifft werden würde.

Im Anschluss ist nichts mehr über den Mann in der französischen Presse zu finden. Ja, er mochte ein Verbrechen begangen haben, was Paris für drei, vier Tage in Atem hielt. Eine halbseidene Gestalt wurde von einer anderen umgebracht – das bringt niemanden in Wallung. So spektakulär war die Affäre nicht, dass sie sich im kollektiven Gedächtnis festgesetzt hätte und man die weiteren Geschicke des jungen Mannes verfolgt hätte. Er fiel dem Vergessen anheim.

So bleibt von ihm eine Notiz in der Reportage von Simenon »Eine ›Premiere‹ auf der Insel Ré«.