Ein paar Bezüge
Bei einem so umfangreichen Werk wie dem von Simenon, kann man zu allem und jedem Bezüge herstellen. Das ist recht dankbar. Seit einiger Zeit geistert das Thema »Brexit« durch die Medien und die Politik. Okay, das ist wohl die Untertreibung des Jahrhunderts und wenn es einen Preis dafür gibt, können Sie mich dafür nominieren. Ich nehme das dankbar an und bedanke mich bei allen meinen Unterstützern ... Moment!
Bevor es endgültig mit mir durch geht: Nachdem ich mir kurz Gedanken darüber gemacht hatte, was das in der Zukunft heißen könnte, wenn man nach London fahren will, kam mir ein zweiter Gedanke – so ein spontaner Trip, wie ihn Maigret in »Maigret und sein Revolver« unternahm, würde wohl nicht mehr möglich sein. Für uns – und jetzt muss ich aufpassen, dass ich das richtige Tempus wähle – war es in den letzten Jahrzehnten ganz normal, wann immer man wollte, ohne sich irgendwelche Gedanken machen zu müssen (außer vielleicht über den Wechselkurs des Britischen Pfunds), in jeden Landstrich des Königreichs zu reisen. Einfach so!
Deshalb habe ich beim Lesen dieses Maigrets es immer so hingenommen und habe mir keine Gedanken darüber gemacht, dass das in der Zeit von Maigret (also bis Ende der 1960er Jahre) auch nicht gerade typisch gewesen sein kann. In der Kürze habe ich keinen Beitrag dazu gefunden, wie es denn damals gewesen war. Würde mich aber vielleicht mit der Erklärung zufrieden geben, dass Maigret schon mal in England war und sowohl Pass wie auch Visum noch gültig gewesen waren.
Was ich aber fand, war die Information, dass Charles de Gaulle – der ja als Blaupause für Simenons »Präsident« in dem gleichnamigen Roman gilt, in den sechziger Jahren zweimal den Beitritt der Insulaner verhinderte. Seine Begründung:
England ist in der Tat eine Insel, es ist maritim; es ist durch Handel und Verkehr mit unterschiedlichsten, weit entfernten Ländern verbunden, es ist ein Land, das Industrie und Handel betreibt, aber kaum Landwirtschaft. [...] Es hat in allem, was es tut, sehr eigene Gewohnheiten und Traditionen. Kurz gesagt, die Natur, die Struktur und die Konjunktur, die England eigen sind, unterscheiden sich zutiefst von denen der Länder auf dem Kontinent.
Hört sich das nach unseren Freunden von der Insel an? Kann man es noch genauer treffen?
De Gaulle stellte das 1963 fest und er musste erst sterben, damit die Briten in die Union eintreten konnten. Wenn man den Zeitraum betrachtet, in dem der Beitritt damals absolviert wurde, kann einem durchaus das Wort »sofort« einfallen. Man fragt sich natürlich, warum man auf dem Mann nicht geglaubt hat, im Nachhinein ist man natürlich immer klüger.
Wenn ich im Vereinigten Königreich war, habe ich die Menschen immer als charmant empfunden und mich wohl gefühlt. Von den hübschen Landschaften, den Bieren und leckeren Cider mal ganz abgesehen.
Ihre Politiker in der EU schienen aber nach dem Motto zu leben, dass es ausreicht, zu Hause nett zu sein und anderswo ein Stachel an einer unmöglichen Stelle zu sein. Insofern war es keine Überraschung, ja eigentlich nochmals eine Bestätigung von de Gaulle, dass die Briten der Meinung gewesen waren, sie könnten sich zum Schluss ebenfalls die Rosinen herauspicken. Also die Pflichten abgeben, die Vorteile behalten. Warum sollte etwas, was bei Netflix nicht funktioniert, denn mit der EU funktionieren?
Vielleicht war es ihre Insellage, die sie verkennen ließ, wie die europäischen Realitäten wirklich aussahen. Wenn der geschiedene Ehepartner die Wohnung verlässt, nehme ich mal an, wird der Zurückbleibende dem Gehenden auch keine Geschenke mit auf den Weg geben.
Man sieht, dass ich – obwohl der Brexit-Prozess nun schon fast drei Jahre lang sich hinzieht (vom Zeitpunkt des Referendums gezählt) – immer noch fassungslos bin.
Wir haben allerdings nun die Gelegenheit an die Hand bekommen, mal wieder eine Geschichte von Simenon in die Hand zu nehmen. Entweder die über den Revolver oder die über den Präsidenten. Ich wüsste nicht voraussagen, für welche – vor die Wahl gestellt – sich Theresa May entscheiden würde.