Bildnachweis: Schmetterling auf einer Schlehdorn-Blüte - (c) jggrz/Pixabay (Lizenz)
Encore un petit verre
Vor ein paar Jahren hatte ich mich über meine Überraschung darüber ausgelassen, dass der berühmte Pflaumenschnaps bei den Maigrets in der Fantasie Simenons keiner war. Der Zufall ermöglichte mir nun eine Gegenprobe. Madame Baron war Pensionswirtin in Charleroi und wollte ihrem Gast Elie Nagéar etwas Gutes tun. Seine Geschichten faszinierten sie, und dazu gehörte ein Schlückchen.
»[...] Germain, möchtest du Monsieur Elie nicht ein Gläschen anbieten?«
Er erhob sich auf der Stelle und holte eine Flasche Schlehenlikör aus dem Wandschrank.
Eines steht schon einmal fest: Germain wollte auch, denn wenn sich ein Mann im Feierabend auf der Stelle aus seinem Sessel erhebt, tja!, dann muss das schon für eine wichtige, schöne oder zumindest angenehme Angelegenheit sein. Ein Schlehenlikör würde ich dazu zählen.
Bei mir klingelte es beim Lesen des Absatzes jedoch in den Ohren und ich dachte: »Hoppla, Schlehe! War da nicht mal was?«
Also schaute ich im Original nach und las dort:
Il se leva précipitamment, prit dans le placard une bouteille de prunelle.
Geht doch, mit der richtigen Übersetzung! Warum denn bei den Maigrets nicht? Das Beharren, dass der gute Mann in deutschsprachigen Übersetzungen ein anderen Schnaps trinken muss, bleibt ein Rätsel.
Aber halt, stop, das stimmt natürlich nicht hundertprozentig. Es gibt in den neuen Übersetzungen eine Ausnahme, die mir untergekommen ist. In der Kampa-Übersetzung des Romans »Maigret hat Skrupel« bedient sich der Kommissar an seinem Buffet und nimmt sich einen Schlehenschnaps. Nur um sicher zu gehen, habe ich auch Im Original nachgeschaut. Da erwartete mich keine Überraschung, auch da ist von einem prunelle die Rede.
Ob es sich bei dem prunelle um einen Likör handelt oder einen Schnaps ergibt sich übrigens nur aus dem Kontext. In dem Maigret-Roman wurde dies in Richtung Schnaps übersetzt:
Schließlich stand er auf, wie jemand, der genug hat, warf das Buch auf den Tisch, öffnete das Buffet im Esszimmer, nahm die Flasche mit Schlehenschnaps heraus und füllte sich eins der kleinen Gläser mit Goldrand.
Im Untermieter-Roman gab es Simenon ein wenig spezifischer an: Aus dem ersten Satz ließ sich der Kontext noch nicht bestimmen, da war nur von einer bouteille de prunelle die Rede. Während die Alkohol-Situation im nächsten Satz konkreter beschrieben wird:
La liqueur était parfumée.