Lampe

Er trat auf den Bahnsteig ...


Maigret stieg aus dem Zug aus. Das Licht an der Côte d’Azur ist ein spezielles, die Augen müssen sich erst daran gewöhnen und dann war es da ... dieses Gefühl von Ferien, was den Kommissar aus Paris überkam. Es ist der erste Absatz, der Leser:innen in die gleiche Stimmung versetzt, den Wunsch nach Ausspannen, nach Sonne, vielleicht auch nach einem Pastis. Vorausgesetzt ...

… der letzte Satz in dem ersten Absatz des Buches lässt einen nicht abstürzen. Statt sich der Fantasie über das blaue Meer hingeben zu können, hat man Fragezeichen vor den Augen.

Palmen und Kakteen säumten den Bahnsteig, und hinter der Lampisterie erstreckte sich ein Streifen blaues Meer.

Stolpern Sie auch über dieses eine Wort? Haben Sie eine Vorstellung, worum es dabei gehen könnte? Wenn nein, wenn alles klar ist, dann gehören Sie zu den Glücklichen, die Weiterblättern können. Für Sie ist dieser Beitrag nicht interessant. (Eine Option ist auch, dass der nächste Satz Sie gefangen genommen hat und Sie sich fragten: »Wer kommt denn da?«, womit Sie sich fein aus der Affäre gezogen hätten.)

Das Wort »Lampisterie« gibt es im Deutschen nicht. Die Duden-Webseite reagiert völlig ratlos und ich würde jede Wette eingehen, dass es dieser Begriff da auch nie hineinschaffen wird. Schön wäre es gewesen, wenn die Bezeichnung kursiv gesetzt worden wäre, womit deutlicher würde, dass es sich um eine Übernahme aus dem Französischen handelte und man sich an ein Wörterbuch halten müsste. Webseiten aus Deutschland, die diesen Wort verwenden, haben irgendwie mit Lampen zu tun.

Allerdings bringt einen das nicht zwingend weiter, denn in modernen Übersetzungswerkzeugen lässt sich das Wort nicht finden. Zwei Spuren galt es zu folgen: Wie wurde es früher übersetzt? Was bringt einem eine Suche im französischen Sprachraum?

Schlicht & irritierend

Die Tendenz, dass in Simenon-Übersetzungen Wörter verwendet werden, die nicht verständlich sind oder hochgestochen erscheinen, scheint mir eine recht junge Mode zu sein. Wie es mit Mode so ist, gefällt es nicht jedem. Auf der anderen Seite haben wir die Übertragungen von Barbara Klau und Hansjürgen Wille, die für Kiepenheuer & Witsch und Heyne arbeiteten. Von denen war eine einfache Lösung zu erwarten:

Palmen und Kakteen wuchsen am Rande des Quais. Und dahinter erstreckte sich das blaue Meer.

Oder halt auch nicht. 

Der Bahnhof von Antibes ist nur ein- oder zweihundert Meter vom Wasser entfernt. Durchaus möglich, dass man damals, stieg man aus dem Zug, das Meer gesehen hat. Heute dürfte das schwieriger sein, denn die Bebauung hat nicht abgenommen. Im direkten Vergleich scheint aber etwas zu fehlen. 

Il y avait des palmiers, des cactus en bordure du quai, un pan de mer bleue au-delà de la lampisterie.

Die auch im französischen Original vorkommende »lampisterie« hat das Übersetzerpaar komplett weggelassen. Die Übersetzung der beiden wurde von Diogenes nicht übernommen – in der neuen Übertragung von Angela Glas war so zu lesen:

Palmen und Kakteen säumten den Bahnsteig, ein Streifen blauen Meeres lag hinter dem Lampenwärterhäuschen.

Damit haben wir den »Quai« schon mal als Bahnsteig, was logisch erscheint und wir haben »lampisterie« als »Lampenwärterhäuschen«, was einen wieder in Richtung Lampe drängt. Nur: Was hat es damit auf sich? Was ist ein Lampenwärter? Was hat er am Bahnhof zu suchen?

Unter Tage

Die normalerweise rettende Wikipedia war diesmal nur bedingt hilfreich. Bei der Suche nach dem Begriff über Suchmaschinen im Internet wird eine Richtung aufgezeigt, die nichts mit der Eisenbahn zu tun hat. Stattdessen befinden sich danach Recherchierende plötzlich im Themen-Gebiet Bergbau, womit Simenon normalerweise gar nichts am Hut hat.

Bevor Bergarbeiter in die Miene einfuhren, nahmen sie sich eine Lampe. Diese wurden früher mit Öl befüllt, später mit Benzin. Damit gab es zwar Licht, allerdings hatten die Arbeiter eine offene Flamme bei sich und bei dem Verbrennen entstand Ruß, der die Lampe verdreckte. Die Lampisterie war der Ort, an dem diese Leuchten gereinigt wurden und auf Sicherheit geprüft wurden. In ihr wurden aber auch die Lampen an die Kumpel ausgegeben, die dafür eine Art Ausweis hergaben, der verwahrt wurde. So hatte man eine Kontrolle, wer sich unter Tage befand. Dieser Aspekt sollte auch später von Belang sein, nachdem Öl und Benzin in den Leuchten durch Batterien ersetzt worden waren.

Nach einem alten französischen Wörterbuch wurde der Begriff für Werkstätten verwendet, in denen solche Verbrennungslampen gebaut, gepflegt und repariert wurde. Seltener, und nicht wörterbuchgemäß, war die Bezeichnung für Lampenläden. Vermutlich wurde sie nur dann verwendet, wenn diese dort auch repariert werden konnten.

Im Bahnbetrieb waren solche Leuchten ebenfalls wichtig. Der letzte Waggon eines Zuges wurde bei Nacht mit einer Lampe versehen. Diese Leuchten hingen entweder oben am Waggon oder zwischen der Kupplung. Während eine Leuchte zwischen der Kupplung nur für nachfolgende Fahrzeuge sichtbar war, hatte die obere Aufhängung den Vorteil, dass ein Lokführer auch prüfen konnte, ob der letzte Waggon die Fahrt noch begleitete. Die Werkstätten, in denen diese Lampen gewartet wurden, wurden ebenfalls Lampisterie genannt.

In ihr arbeitete ein Lampiste. Der veraltete Begriff fasste alle Tätigkeiten zusammen, die mit diesen alten Lampen zu tun hatten – also Angestellte, die diese Lampen reparierte und im Bergbau diese ausgaben. Im Bahn-Umfeld wurden die Bezeichnung für Mitarbeiter verwendet, die sich um die Abschluss-Beleuchtung von Zügen kümmerten – allerdings waren sie auch für die Lampen und Laternen am Bahnhof verantwortlich. Insofern ist die Übersetzung bei Diogenes korrekt: Ein Lampist ist ein Lampenwärter.

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Hat man »Die Wahrheit über unsere Ehe« gesehen, wüsste man vielleicht, was eine Lampisterie ist. Andererseits: Hätte man darauf geachtet?

Hier zeigt sich ein weiteres Problem: Wir werden in den Büchern von Simenon mit Begriffen konfrontiert, die ausgestorben sind. Heute geht keiner mehr durch die Stadt und zündet die Straßenbeleuchtung an. An den Zügen hängen keine Öl- und Petroleumlampen, die signalisieren, dass dies der letzte Waggon ist. Da uns dieser Erfahrungsschatz fehlt, wäre es schön, wenn eine brückenbauende Begrifflichkeit gewählt worden wäre.