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Ferdinand Deblauwe
Eine meiner größten Schwächen ist, dass ich mich sehr leicht ablenken lasse. Sollte ich mich nicht um die Liberty Bar kümmern? Damit hatte ich angefangen. Dann spazierte ich jedoch durch Lüttich und schrieb darüber. Daraus ergaben sich neue Fragestellungen und plötzlich hing ich über ganz anderen Büchern und statt mediterraner Themen kreuzte ich in belgischen.
Auf meinem Tisch liegt eine Ausgabe von »Au pont des Arches«, bekanntlich der Erstling von Simenon, und das nur, weil ich über die Brücke gegangen bin. Daneben tummeln sich eine ganze Reihe von Fotografien von dem Übergang nach Outremeuse, die eine sehr wechselvolle Geschichte hat – die auf jeden Fall betrachtet werden soll. So verhält es sich auch mit der Kirche Saint-Pholien, in Lüttich nur ein paar Meter von der Brücke entfernt, und natürlich ist der Artikel dazu angelegt und wartet darauf, geschrieben zu werden. Auch hier habe ich mir alte Abbildungen besorgt, schließlich hatte Simenon selbst geschrieben, dass die Kirche einen Wandel durchlebte – schon zu seinen Zeiten. In dem gleichnamigen Roman spielte die Kirche selbstverständlich eine Rolle, aber war sie Thema in dem autobiografischen Roman »Die Verbrechen meiner Freunde«? Es ist davon auszugehen, wenn sich der Protagonist K. in der Pforte der Kirche erhängte und die Clique Simenons hinter dem Gotteshaus ihren Treffpunkt hatte. Aber welche Bezüge waren es genau? Also las ich plötzlich diesen Roman und, hui, der ist wirklich gut und interessant.
Blöderweise gibt er einem jedoch jede Menge Anlässe, aus dem Sessel aufzustehen und zu recherchieren. Nehmen wir beispielsweise Ferdinand Deblauwe. Mit dem jungen Mann zusammen hatte Simenon die »Nanesse« gegründet. Er war schließlich Co-Direktor und konnte sich in Form von Glossen austoben. Wobei, die Gründung dieser Publikation war keine Idee von Simenon. Der rumänische Finanzier, der hinter der Zeitung stand, wollte hin und wieder einen kleinen Beitrag platzieren und was in dem Blatt ansonsten erschien, war ihm mehr als egal. Es waren nur kleine Notizen, die Simenon als witz- und fantasielos ansah, die kaum einen der Leser:innen hinter dem Ofen hervorlocken würde. Die angesprochenen Herrschaften wussten, dass sie gemeint waren und versuchten die Publikation ähnlicher Hinweise mit Geld aus der Welt zu schaffen. Ein sehr eigenes Geschäftsmodell, allerdings ein schmutziges und anrüchiges.
Simenon schaffte den Absprung und nachdem er Lüttich verlassen hatte, verlor er seinen Kompagnon aus den Augen.
Das Verbrechen
Eine sehr wohlwollende Beurteilung von Deblauwe wäre, dass er umtriebig war. Wer sich mit solchen Leuten herumtrieb, der durfte sich nicht wundern, wenn die kritische Mutter zu Hause das Schlimmste befürchtete. Deblauwe hatte eine Geliebte, die er in Barcelona als Prostituierte beschäftigte. Als Berufsbezeichnung hatte Simenons Freund anfangs noch Journalist angeben können, vielleicht sogar Zeitungsherausgeber. Aber am Ende war er nicht viel mehr als ein Zuhälter.
Das Verbrechen von Deblauwe wird exakt in dem Roman geschildert wie auch der Prozess, der sich dem anschloss. Am 1. August 1931 fand man Carlos de Tejada in seiner Wohnung in der Rue de Maubeuge 27 in Paris. Sie soll schon verwest gewesen sein, aber man ging davon aus, dass der Tod sechs Tage zuvor eingetreten war.
War es Selbstmord? Von der Polizei wurde das am Anfang nicht ausgeschlossen. Aber die Kombination aus drei Kugeln im Herz und einer verschwundenen Waffe machten einen Suizid nicht wahrscheinlich. Zudem zeigten die Funde, dass der Mann von dem Geld fremder Damen und auch von Erpressung lebte. Die Polizei nahm an, dass es sich um eine Tat im Milieu handeln würde und suchte nach Frauen, die Tejada gekannt haben könnten. Dabei stießen sie auf Bergerette Moreau, in dem Roman wird nur der Vorname genannt, die sich als Geliebte des Spaniers zu erkennen gibt. Den Mann hatte sie in Barcelona kennengelernt.
Jetzt wurde es komisch: Ferdinand Deblauwe war in dem Zeitraum, in dem das Verbrechen verübt worden war, in Paris gewesen. Der hatte in einem Hotel in der Rue de l'Argonne gewohnt und in dem Zimmer, das er nicht bezahlt hatte, fanden die Ermittler seine Habseligkeiten. Unter anderem war da ein Mantel, der nicht nur eingerissen war, sondern an der Innenseite drei Löcher aufwies. Ganz wie ein Gangster, so die Vermutung, hatte Deblauwe auf seinen Rivalen geschossen. Die Polizei suchte ihn also recht dringend, bevor sie feststellte, dass sie ihn de facto schon hatte. Er war in St. Etienne in einem Gefängnis – er hatte gegen Bestimmungen der Aufenthaltsgenehmigung verstoßen und war deshalb verurteilt worden. Der Gefängnisdirektor dürfte sich über den leichten Fang sehr gefreut haben!
Die Schilderung des Reporters des Prozesses wortwörtlich:
Dieser Belgier erinnert an die dunklen Porträts von El Greco.
Deblauwe hätte, schrieb der Journalist Georges Claretie, aber eine sehr sanfte Stimme, teilweise musikalisch. Manchmal jedoch, und dann würden seine Augen auch böse blitzen, würde diese hart und brüchig. Der Journalist war übrigens nicht irgendwer, sondern hatte sich seit vielen Jahren als verlässlicher und stilsicherer Gerichtsreporter gemacht. Er verstand nicht nur etwas vom Schreiben, als Anwalt war er auch in den Rechtssachen sicher. Mir hat sich nicht erschlossen, warum Deblauwe in dem Artikel mit dem Vornamen »Paul« genannt wird. (Ich gehe von einem Irrtum aus, denn in anderen Publikationen, in denen das Verbrechen erwähnt wird, wird er korrekt Fernand benannt, so wie es auch Simenon tut.)
Der Richter ließ das Leben des Mannes Revue passieren und erwähnt sowohl die Gründung eines Journals namens »L'Ane rouge«, wo der Liebhaber von Simenons Werk still innehält und denkt: »Ah, das schon wieder …«, wie auch eine Publikation, deren Name nicht genannt wird, die der Richter aber »speziell« nennt und die Deblauwe Kontakt mit der Polizei bescherte – damit dürfte wohl die »Nanesse« gemeint gewesen sein.
Mit Bergerette, die er kennenlernte, nachdem er geheiratet hatte, ein Kind zeugte und sich scheiden ließ, kam er rum in der Welt. Von Lüttich ging er nach Paris, dann nach Marseille und von dort aus nach Kairo, bevor sie nach Barcelona kamen. In Barcelona lohnte es sich wohl nicht, nur von Zuhälterei zu leben, weshalb er sich auch dem Schmuggel widmete. Seine Abwesenheit führte dazu, dass seine Bergerette Carlos kennenlernte.
Deblauwe schickte Briefe, in denen er Carlos de Tejada mit dem Tod drohte und folgte Bergerette, die sich mit ihrem neuen Geliebten nach Madrid begeben hatte. Es gelang ihm, sie zurückzugewinnen, und gemeinsam Wollens sie nach Frankreich. Das gelang nicht komplikationslos, sie kamen nicht über die Grenze – letztlich wurden sie aber nach Frankreich abgeschoben. Aber in Paris war die Liebe schon wieder erloschen, zumindest ihrerseits, sodass man sich trennte.
Er lebte in der Zeit von der Vermittlung von Frauen und Mädchenhandel – ein Zuhälter halt. Sie dagegen kehrte zu Carlos de Tejada zurück, der sich mittlerweile in Paris als Eintänzer niedergelassen hatte.
Es sprach so manches dafür, dass er der Täter war. Ein Dr. Paul von der Pariser Gerichtsmedizin erklärte, wie und warum der Spanier gestorben war. Der Mantel, den man Deblauwe zugeordnet hatte, wollte er in Lüttich für ein paar Francs gekauft haben und es könne gut sein, dass die Löcher schon in diesem waren, als er ihn gekauft hatte. Das hätte nichts mit Schüssen, die er abgegeben hat, zu tun. Er wäre, das sollte natürlich erwähnt werden, unschuldig. Aber schwierig war es natürlich schon, denn er hatte sich in der Straße des Opfers sowohl beim Milchmann wie auch beim Bäcker danach erkundigt, wo Carlos de Tejada leben würde.
Der Reporter erkennt in dem Artikel an, dass sich Deblauwe vor dem Gericht raffiniert und intelligent verteidigt.
Eindeutig
Geholfen hatte ihm das jedoch nicht. Am nächsten Tag – dem 10. Oktober 1933 – gab es im »Figaro« eine kleine Meldung:
Nach der Anklage von Generalstaatsanwalt Guyennot und dem Plädoyer von Raymond Hubert wurde Deblauwe, der angeklagt war, in der Rue de Maubeuge den Tänzer von Tejada ermordet zu haben, zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt.