Dinner

Genießer mit Vergangenheit


Was fehlt, ist eine packende Serie mit Maigret, die auch jüngere Zuschauer fesselt und Begeisterung erzeugt. Eine Mischung aus Spannung und Humor. Ein wenig wie zu Rupert Davies-Zeiten. Dann würde das mit dem Kommissar-Merchandising auch viel besser funktionieren! Und es gäbe Enthusiasten, die sich mit den kulinarischen Aspekten der Geschichten befassen würden.

Haben wir nicht und bekommen wir auf absehbare Zeit nicht. So ist es kein Wunder, dass Kampa einen alten Klassiker aus dem Regal geholt hat, und ihn wieder veröffentlicht: »Simenon und Maigret bitten zu Tisch« von Robert J. Courtine, mit einem Untertitel, dass es sich um die klassischen französischen Bistrorezepte von Madame Maigret handeln würde. Warum die Frau des Kommissars so kochen sollte wie in einem Bistro, ist mir persönlich schleierhaft. Aus Marketing-Sicht ist diese Unterzeile sicher nicht zu verachten.

Schon bevor im Kampa-Herbstprogramm 2023 verkündet wurde, dass sie das alte Rezept-Buch von Courtine veröffentlichen würden, hatte ich mir eine Notiz gemacht, dass der Mann auf die Agenda gehöre. Das war im Februar letzten Jahres. Manche Dinge müssen reifen. Ich kann noch nicht einmal sagen, warum mich der Autor des Buches interessierte. Aber was ich dann las, machte ihn zu einem Aspiranten, über den geschrieben gehört. Hui, mögen sich nur manche Leser:innen denken, das verheißt nichts Gutes. Dem ist auch so …

Dem Autor selbst wurde damals wie heute nicht viel Text gewidmet. Er wäre, so heißt es, der führende Gastro-Kritiker gewesen. Das ist ein sympathisches Adjektiv für den Mann. Allerdings trifft auch die Beschreibung »gefürchtet«. 

So mancher wusste um Courtines Vergangenheit, gerade in der Branche, in der er wirkte. Öffentlich angesprochen wurde sie von den Wissenden selten.

Der bodenständige Feinschmecker

Bevor es ein wenig konkreter wird, ein paar Basics: Robert Louis Courtine, genannt Robert Julien Courtine, wurden 16. Mai 1910 in Paris geboren. Er starb im gesegneten Alter von 87 Jahren in der Nähe der französischen Hauptstadt und dürfte ein Beweis dafür sein, dass gute französische Küche für Langlebigkeit sorgt. Nach dem zweiten Weltkrieg publizierte er viel unter Pseudonymen, bekannt war insbesondere als La Reynière und Savaria. Das Julien ist keine Marotte von ihm gewesen (oder vielleicht ja auch doch), es sollte an den Familiennamen der Mutter erinnern. 

Der Mann war ein Verfechter der klassischen französischen Küche. Es konnte schon einmal sein, dass er ein Buch zuschlug und nicht weiterlas, weil ihm das Wort Ketchup unterkam. Das Vermischen unterschiedlicher National-Küchen war ihm ein Gräuel, das Aufkommen sowohl der Nouvelle Cuisine wie auch der Fusionsküche wusste er wortreich zu verurteilen. Nun starb er hochbetagt, aber vermutlich hätte ihn ein Schlaganfall erwischt, wenn er den Trend »Molekularküche« noch mitbekommen hätte.

Courtine bevorzugte es einfach, mochte es traditionell. Die Gerichte konnten noch so raffiniert sein, wie sie wollen – wenn die Raffiniertheit nur eine Ahnung, eine Nuance war, fand er es affektiert. Der Mann konnte sich durchaus für Zutaten wie die nicht gerade sehr preisgünstigen Trüffel erwärmen, aber dann nur an Speisen, die zur Gegend passten. Er genoss noch viel mehr die regionalen, einfachen Produkte – führte Debatten über Sauerkraut und war von Rindswürsten »verzaubert«. 

Der Feinschmecker konnte sich auch für fremde Aromen begeistern. Dabei vertrat er die Meinung, dass sie da sein sollten, wo sie hinpassen. Chinesische Aromen mochte er in Gerichten der chinesischen Küche, und einem marokkanischen Couscous war er ganz und gar nicht abgeneigt.

Bei der Charakter-Beschreibung, zumindest was das kulinarische angeht, wird schnell klar, dass dies der Deckel zu dem Geschmackstopf des Kommissar Maigret war.

Das Problem sehen

Selbst Menschen, die von seinem Wohlwollen nicht abhängig waren, waren äußerst zurückhaltend. Nehmen wir beispielsweise den Biografen Simenons, Pierre Assouline. Dieser hatte eine Erzählung (»Le Fleuve Combelle«) geschrieben, in der er sich mit Lucien Combelle auseinandersetzte, der als Chefredakteur die »Révolution nationale« leitete. Es war keine Publikation, die besonders zartfühlend war, das sollte man nicht annehmen, aber in den Materialien von Combelle entdeckte Assouline Hinweise, dass unser Maigret-Mahlzeiten-Kenner vorschlug, einen Artikel zu verfassen, der Juden bloßstellte, die den Razzien entgangen waren. Durchsuchungen, die zur Deportation führten – das sei nur gesagt, um die Schwierigkeit mit dieser Aktion aufzuzeigen. Combelle selbst veröffentlichte sie nicht, das war selbst ihm zuwider. 

Aber andernorts wurde Courtines Beitrag publiziert. 

Diese Erkenntnis fand sich nicht in der Erzählung wieder, aber Assouline hatte in der Französischen Nationalbibliothek diese Hinweise verifiziert und sah sie bestätigt. Nun ist die Geschichte 1997 erschienen, ein Jahr vor Courtines Tod. Es wird berichtet, dass Assouline es ablehnte, an einer Fernsehsendung gemeinsam mit Robert J. Courtine teilzunehmen, in der der Komplex »Simenon, Maigret und Essen« Thema sein sollte. Dabei ging es um die damals in Frankreich bekannte Literatur-Sendung »Apostrophe«, in der auch Simenon zu Gast war, und in der Bernard Pivot  der Gastgeber war. Die Sendung wurde bis 1990 ausgestrahlt und Courtine war zweimal Gast: 1976 und 1980. 

Darüberhinaus hatte Assouline später als Chefredakteur von »Lire« eine Zusammenarbeit mit dem Restaurant-Kenner vermieden. So hat es den Anschein, als hätte Assouline die Erzählung schon länger in der Schublade gehabt und/oder von »anderen Dingen« aus dem Leben Courtines Kenntnis gehabt – wie erwähnt, es war kein Geheimnis, nur es sprach niemand drüber.

Das 19. Jahrhundert klopfte an die Tür, da wurde durch Henri Vaugeois und Maurice Pujo eine politische Bewegung begründet, die ihre Ursprünge im Nationalen hat und die von vornherein auf der Seite der Dreyfus-Gegner standen. Mit den Jahren, insbesondere durch den Einfluss von Charles Mauras, bekam die Action française benannte Bewegung einen royalistischen Touch. Im Politik-Spektrum läuft die Gruppierung unter rechts-extremistisch.

Zu der Zeit, zu der Courtine aufwuchs, war die Action française ausgeprägt nationalistisch, antiparlamentarisch und antisemitisch. Der 18-jährige Courtine wurde in der Vereinigung Mitglied. Die Jugend hat bis zu einem gewissen Grad aber einen Freifahrtsschein und die Angelegenheit sollte nicht zu hochgehängt werden. Aber das Denunzieren von Mitmenschen, wie oben erwähnt, ist schon eine andere Sache. Zumal sich Courtine zu dem Zeitpunkt nicht mehr auf seine Jugend berufen konnte, außer mit einem Augenzwinkern.

Er bewarb sich 1941 bei einem Generalkommissariat für jüdische Fragen. Diese Verwaltungseinheit wurde in diesem Jahr gegründet, im März genau genommen. Im Mai bewarb sich der Journalist. Denn das war Courtine, seine redaktionelle Heimat waren kulturelle Themen. Was ihn befähigen sollte, in einer Behörde zu arbeiten, die zuständig war, die sogenannte Rassenpolitik samt Liquidation von jüdischem Vermögen, bleibt schleierhaft. Zumal er sich bei seiner Bewerbung an den Chef der Institution, Xavier Vallat, seiner Verwunderung Ausdruck verlieh, wie rücksichtsvoll man mit manchen jüdischen Familien umgehen würde und nannte dabei beispielsweise die Familie Rothschild. Nehmen wir an, wir wären die Verteidiger von Robert J. Courtine, dann könnten wir sagen, dass das  auch noch nicht zwingend als Antisemitismus ausgelegt werden muss; das wäre nur ein Fakt. Dummerweise war der Zeitungsmensch auch in die Vereinigung antisemitischer Journalisten eingetreten – anscheinend wird für jeden Blödsinn ein Verein gegründet.

In den folgenden Jahren publizierte Courtine für diverse rechtsextreme und vor allem antisemitische Zeitungen. Er schrieb als Jean-Louis Vannier zusammen mit Henry Coston an einer Broschüre mit, die den Namen »Cahier de la France nouvelle: Les Juifs en France«. Dabei handelte es sich um eine hasserfüllte Publikation und die von Courtine produzierten Seiten gelten als Beleg für seinen virulenten Antisemitismus. 

Als die Besatzer vor Paris standen und sich nicht abzeichnete, dass das mit der Vichy-Regierung und schon gar nicht mit den Deutschen noch etwas werden würde, da floh Courtine. Er war mit den passenden Papieren ausgestattet, schließlich konnte nicht jeder nach Deutschland kommen, und ließ sich erst in Baden-Baden nieder, bevor er über Bad Mergentheim in das Südtiroler Meran geht. Haben wollten die ihn auch nicht, weshalb er im Januar 1946 verhaftet wurde und nach Frankreich ausgeliefert wurde.

In einem Prozess wurde er zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt, die später auf fünf Jahre Gefängnis reduziert wurden.

Die zweite Hälfte

Simenon kannte Robert J. Courtine schon bevor er sein Projekt mit den Maigret-Rezepten startete. Als Kultur-Redakteur schrieb der Journalist auch über Literatur und er soll »Die Witwe Couderc«, einem Roman von Simenon aus dem Jahr 1940, rezensiert haben. Vermutlich hatte er auch andere Werke von Simenon besprochen – in welchen Publikationen diese Rezensionen erschienen, das dürfte Simenon durchaus bewusst gewesen sein. Aber für ihn gilt, was für andere Leute galt: Er sagte nichts.

Der Kritiker war gut vernetzt und als er mit Beginn seiner Vierzigerjahre, in seinen besten Jahren, wie es so schön heißt, aus dem Gefängnis entlassen wurde, musste er nicht lange warten, bis er eine anständige Anstellung hatte: »Le Monde«. Er wurde als Gastro-Kritiker eingestellt und machte sich in den folgenden Jahren einen Namen. Zu den Veröffentlichungen in der Zeitung gesellten sich unzählige Bücher, die sich mit dem gleichen Thema befassten: Essen.

Seine Expertise auf diesem Feld wurde nie in Zweifel gezogen. Er wurde von den Köchen genauso geschätzt wie von seinen Berufskollegen. Auch Literaturkritiker loben so manches seiner Bücher.

Politisch äußerte er sich nicht mehr in der Öffentlichkeit. Es hört sich so an, als wäre ihm das für öffentliche Publikationen – wozu neben Print-Medien auch die »neuen« Kanäle wie Fernsehen und Radio gehörten – untersagt worden. So ist nicht klar, ob nach dem Zusammenbruch »seines« Systems ein Umdenken stattfand. Viele seiner Zeitgenossen äußerten sich in späteren Jahren noch und hielten zu den alten Kameraden, die teilweise Robert Brasillach ihr Leben für ihr intellektuelles Wirken ließen. Von Courtine sind solche Äußerungen nicht bekannt.

Erst zu seinem Lebensende hin und nach seinem Tod wurde die Vergangenheit Courtines thematisiert. Allerdings nicht von der Zeitung, die ihm über vierzig Jahre lang die Treue hielt – »Le Monde«.

Abgesehen von diesem arg hässlichen Fleck auf der Weste Courtines hätte es die fantastische Gastro-Welt des Maigret-Universums verdient, wieder einmal fachmännisch betrachtet zu werden. Mit frischem Wind, einem lockeren Ton, mutigen Abweichungen und anderen Blickwinkeln. Womit ich beim Ausgangspunkt dieses Beitrages wäre …