Bildnachweis: Blick auf Givet - maigret.de
Givet
Als Maigret nach Givet kam, war es Januar. Die Maas führte Hochwasser und der Fluss war nicht mehr schiffbar. Das Wetter war ungemütlich, die Stimmung im Ort ebenfalls. Die Familie Peeters wurde verdächtigt, in das Verschwinden von Germaine Piedbœuf involviert zu sein. Insbesondere der Sohn Joseph. Maigret agierte privat in dem Grenzstädtchen.
Dass wir nach Givet fuhren, war einer Laune geschuldet. Keiner hatte uns geschrieben, wir mögen kommen. Ich hatte den Ort am Vorabend beim Sondieren der Lage auf der Karte gesehen. Wir würden Jeumont »besuchen«, das war ein gesetzter Tagesordnungspunkt. Da blieb die Frage, was man sonst noch tun könne. Auf der Landkarte fiel auf, dass der Ort in einem Zipfel von Frankreich lag, gleich einer Halbinsel, die aber nicht von einem Meer umtobt wurde, sondern von Belgiern.
Nun mag sich die eine oder der andere fragen, wie man denn auf den Trichter kommen, beim Blick auf die Landkarte Maigret-Themen zu erkennen. Das ist halt einfach so, muss ich an der Stelle sagen. Wir waren unlängst in der Nähe von Reims und ich sah auf einem Schild »Épernay« angeschlagen. Kling, kling, kling – ich schaute vorher aber kurz nach und entschied, dass die bloße Anwesenheit eines Leichenschauhauses mich nicht von einer ausgetüftelten Route abbringen sollte, wo ich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zu sein hatte. Auch stellte ich es mir problematisch vor, in der Tourist-Info zu stehen und nach der Örtlichkeit zu fragen, wo sie denn die Ermordeten deponieren würden.
Ganz anders
Der Trip nach Jeumont war, ehrlich gesagt, Hardcore. Da muss man schon sehr, sehr (ich würde noch ein paar mehr »sehr« anfügen, glaube aber, dass klar ist, worauf ich hinaus will) enthusiastisch sein. Ist man in Begleitung einer Partnerin oder eines Partners, so sollte genau geschaut werden, wo die Belastungsgrenze ist. Befinden Sie sich in der Nähe, so ist ein Ausflug nach Givet überhaupt gar keine Gefahr. Machen Sie das dann noch an einem Tag, an dem das Wetter freundlich ist, wird solch eine Expedition gern angenommen.
Wir fuhren in die Stadt hinein und sahen, dass es eine Zitadelle geben solle. Der Militärkrams, der damit verbunden ist, interessiert mich leidlich. Aber wie so viele (wenn nicht sogar alle) Zitadellen bot diese einen guten Ausblick auf die Umgebung. Also auch auf Givet. Ich konnte mich nicht erinnern, dass Simenon die Zitadelle, die das Stadtbild durchaus prägt, erwähnt hätte. Wenn man in Givet aus dem Zug steigt, sollte einem dieses direkt ins Auge fallen. Auch wenn es an dem Tag er trübe gewesen war und Maigret von Anna Peeters fasziniert war.
Nachdem wir einen schönen Blick auf die Stadt geworfen hatten, wollten wir selbige besichtigen. Sehr groß ist sie nicht, aber es lasen sich gute ein, zwei Stunden mit schlendern verbringen. Das Ufer ist heute gesäumt mit Restaurants, in denen man es sich gut gehen lassen kann.
Den schöneren Blick hat man, wenn man sich auf die andere Uferseite begibt und von dort die Altstadt mit seiner Silhouette betrachten kann. Dazwischen der gemächliche Fluss. Die Auswahl der Restaurants ist, nachdem was ich mitbekommen habe, nicht so groß – wir hatten die Wahl zwischen einer Frittenbude und einem kleinen Restaurant auf dem Wasser. Das Letztere bietet eine beschauliche Atmosphäre und gutes Essen, für das ordentlich gelöhnt werden muss. Spontan dort aufzutauchen und einen Platz zu bekommen, ist an einem Wochenende auch mit Glück verbunden. Aber für uns hat sich das gelohnt.
Abgeglichen
Der Fluss spielte eine wichtige Rolle in der Geschichte. An dem Nachmittag in Givet genoss ich die Zeit. Gedanken machte ich mir erst, als ich das Buch hervorkramte und nachschaute, wo denn auf meinen Bildern Maigret gewesen sein könnte. Den Bahnhof hatten wir von der Zitadelle aus gesehen und die Innenstadt ebenso.
Maigret sah auch die Brücke, denn er beobachtete:
»Was ist das für ein Geräusch?«, fragte er, als er ein Rauschen hörte.
»Das Hochwasser der Maas, das gegen die Brückenpfeiler anbrandet. Der Schiffsverkehr ist schon seit drei Wochen eingestellt.«
Als sie aus einer Gasse heraustraten, sahen sie den Fluss vor sich. Er war gewaltig angeschwollen und seine Begrenzung kaum zu erkennen.
Anna Peeters brachte Maigret zu seinem Hotel, welches dem Namen nach – »Hôtel de la Meuse« – am Fluss liegen sollte. Sie spazierten zu der bleibe, Touristen gleich, durch die Gassen der Stadt. Auf die Suche nach dem Hotel muss man sich nicht begeben – zumindest heute existiert ein solches mit dem Namen in Givet nicht.
Die weiteren Schilderungen, die Simenon liefert, sind heute schwieriger nachzuvollziehen.
Der Bereich, in dem Schiffe liegen können, ist unterteilt zwischen Freizeit- und Kommerz-Schiffern. Beide sind nicht der Rede wert. Als wir in der Stadt waren, lag der keine. Simenon schilderte es noch so, als hätte der Quai eine beträchtliche Länge.
Ein unendlich langer, sehr breiter Quai, an dem sich alle zwanzig Meter ein Poller zum Festmachen der Lastkähne befand.
In der Innenstadt von Givet ist dieser nicht auszumachen. Aus der Schilderung, die Simenon uns gibt, ist zu entnehmen, dass sie zum Haus der Peeters gehen, welches sich direkt an der französisch-belgischen Grenze befindet. Es ist so nah dran, dass ein Teil des Hauses in Belgien stand – was praktischerweise Schmuggel-Probleme für die Familie löste.
Formal gehörten die Peeters mit ihrem Geschäft zu Givet. Auf der Karte betrachtet, sieht es danach aus, als wären sie näher an Heer, der belgischen Ortschaft, die unmittelbar hinter der Grenze begann.
Wenn die Peeters in die Stadt gingen, so befand (und befindet sich dort) eine Schleuse. In dem Bereich gibt es die von Simenon geschilderten Lagerhäuser. Würde man einen Spaziergang vornehmen, könnte man einen Teil des Spaziergangs am Wasser absolvieren, aber einen anderen halt auch nicht – der Hafenbereich um die Schleuse sieht mittlerweile sehr eingezäunt aus. Ganz so, als ob neugierige Besucher nicht erwünscht wären.
Givet hat heute nur eine Brücke. Wahrscheinlich war das damals auch so. Von der Brücke, die die beiden passierten, sind es locker viereinhalb bis fünf Kilometer bis zur belgischen Grenze. Das zu Fuß, das bei dem Wetter, das im Januar herrschte – herzlichen Glückwunsch! Zumal Maigret diese Strecke auch immer wieder zu pendeln hatte, denn schließlich lag sein Hotel in der Stadt. Davon, dass er vielleicht ein Fahrrad genommen hatte, war nichts zu lesen.
Das nächste Mal
Es lohnt immer, vorher das Buch gelesen zu haben. Zumindest, wenn man, was die geografischen Gegebenheiten angeht, nicht sattelfest ist. Immerhin habe ich jetzt einen Eindruck von Givet und sollte es mich noch einmal dorthin verschlagen, dann würde ich die belgische Grenze genauer inspizieren. Ein Laden ist in dem geschilderten Bereich nicht zu finden, aber ein Bistro liegt sehr nah bei.
Zeit, dort vorbei zu fahren, hatten wir gehabt. Allerdings waren wir auch ein wenig in Eile, denn wir hatten von unserer Herbergsmutter noch einen Tipp bekommen, was wir uns anschauen sollten. Wir wollten am Abend nicht zurückkommen und berichten müssen, dass wir es nicht geschafft hätten.
Wer in der Gegend ist und vor der Wahl steht: Jeumont oder Givet – für den sollte die Antwort leicht sein. Das Städtchen an der Maas ist wesentlich reizvoller.