Hans Altenhein
Maigret und Monsieur Charles
Über Maigret und Monsieur Charles ist fast alles gesagt – Lob und Kritik halten sich dabei die Waage. Versucht man, die Geschichte der alkoholkranken Mme Sabin-Levesque in wenigen Worten zusammen zu fassen, ergibt sich etwa folgendes Szenario: Junges, etwas verträumtes Barmädchen trifft attraktiven Pariser Advokaten, der gerade die florierende Kanzlei seines Vaters übernommen hat.
Der heiratet sie, erkennt aber bald seinen Fehler und amüsiert sich fortan als „Monsieur Charles“ nach Kräften mit neuen Nachtklub-Frauen, mit denen er tagelang zusammenwohnt. Die allein gelassene Gattin, gefangen in ihrem neuen gesellschaftlichen Status und im noblen Stadthaus, verfällt mehr und mehr dem Alkohol und hält zum Schluss einen jungen Mann aus, der in ihrem Auftrag den Advokaten umbringt und die Leiche verschwinden lässt. Nach einem Erpressungsversuch tötet sie den Mann mit ihrem kleinen Browning.
Eine solche Geschichte hätte der junge Simenon für irgendeines der Magazine wie Frou-Frou oder Paris-Flirt schreiben können, niemand würde heute viel Aufhebens davon machen. Erst unter den Bedingungen des Kriminalromans entsteht jedoch eine spannende psychologische Studie aller beteiligten Figuren und des kurz vor der Pensionierung stehenden Kommissars selbst. Maigret, der zu Anfang nichts von diesem Fall eines verschwundenen Lebemannes versteht und das Milieu befremdlich findet, muss die Geschichte, die in Kognak zu ertrinken droht, aus kleinsten Indizien mühsam zusammensetzen, und dieser Ermittlungs-Prozess ist die eigentliche Handlung.
So entsteht aus einer Schauergeschichte ein Roman mit diffiziler Schluss-Szene. Das Geheimnis aller Maigrets?