Bildnachweis: Sturm - (c) Andrew Beatson (Lizenz)
In der Kürze ...
Der zum Spätwerk Simenons zählende Roman »November« gehört nicht zu meinen Favoriten. Das Szenario in der Geschichte ist mir ein wenig zu sehr konstruiert und wirkt stellenweise bemüht. Auch litt er an Wiederholungen. Auf der Haben-Seite steht die eindrückliche Schilderung einer Familie im Banne des Alkoholismus der Mutter. Nun kommt das Hörspiel zum Roman.
Vielleicht ist es das größte Kompliment, dass man einer Hörspiel-Bearbeitung machen kann, wenn festgestellt werden kann, dass ein Hauptkritikpunkt an dem Roman mit der Bearbeitung verschwunden ist. Einen Stoff von etwa 200 Seiten auf 50 Minuten zu kürzen, bringt es zwangsläufig mit sich, dass Wiederholungen entfallen. Auch fiel mir das Konstruierte in der Bearbeitung von Irene Schuck nicht mehr so auf.
Im Mittelpunkt steht wie im Roman die Erzählerin Laure, die davon erzählt, wie eine kürzlich angefangene Liebschaft ihres Bruders Olivier mit der Midlife Crisis seines Vaters kollidiert, der sich in die gleiche Frau verguckt hatte und eine Affäre angefangen hatte. Laure befindet sich dabei zwischen den Fronten und kann von ihrer Mutter keine Hilfe erwarten, die sich in einer ihrer »Novenen« befand – Migräne-Anfälle, wie sie es nannte. Auf welche Seite sollte sich die auch schlagen, wenn das von ihr eingestellte Dienstmädchen ihr den Mann ausspannte und sich gleichzeitig mit dem Sohn vergnügte?
Man hört zu, wie Laure die Geschichte um ihre Familie erzählt. Zwischendurch gibt es szenische Einsprengsel, in denen ihre Gespräche zu Hause (im Mittelpunkt steht der etwas jüngere Bruder) und mit ihren Kollegen wiedergegeben werden. Die Auswahl der Stimmen und die erzeugte Stimmung hatte mich beim Zuhören überzeugt, sodass ich das Hörspiel eher empfehlen würde als das Lesen des Romans.
Unterschiede und Abweichungen
Manche Abweichung verstehe ich nicht, weil ich nicht weiß, warum sie vorgenommen wird. Die Herkunft von Manuela, die Figur gab früher übrigens dem Roman im Deutschen auch ihren Namen, bevor er mit dem Erscheinen bei Atlantik geändert (und damit dem Original entsprach), ist Spanien. Simenon erklärte, warum die junge Frau nach Frankreich gekommen war, und berichtet auch über ihren Freundeskreis, in dem sie sich in Paris bewegte. Diese waren durch und durch »spanisch« geprägt. In dem Hörspiel wird aus dem Dienstmädchen eine Italienerin. Die Hörspiel-Geschichte führt diesen Faden nicht weiter, sodass sich Kundige fragen, warum man das arme Ding, was sich dazu genötigt sah, ihr Heimatland zu verlassen, eine falsche zugesprochen bekam.
Ich zuckte ebenfalls ein wenig zusammen, als ich die berufliche Schilderung vom Vater hörte. In dem Hörspiel kommt es ein wenig so rüber, als wäre er eine Witzfigur. Er würde sich zu einem Agenten machen, der er gar nicht wäre. Vielmehr wäre er – ich hoffe, ich habe es noch richtig im Ohr – nur ein Buchhalter. Dabei war der Mann bei Simenon ein Hauptmann, allerdings nicht im Einsatz – sondern beschäftigt in einer Abteilung, die mit Statistik befasst war. Trotzdem: Aktiver Offizier, Buchhalter – da gibt es doch gewisse Unterschiede? Zugegeben, der Begriff »Buchhalter« wird auch im Buch von Laure verwendet – aber dort wird es durch das Drumherum gemildert.
Wichtiger ist aber, was dem Hörer erspart bleibt. Wer das Buch in die Hand nimmt, bekommt jede Menge Onkel und Tanten und ihre Geschichten erzählt, sodass einem schwindelig werden könnte. Diese Figuren werden nur erwähnt und bringen die Story nicht voran, auch nicht die Tante Iris, die irgendwie ein Vorbild für Laure zu sein scheint. Gut, dass diese Familiengeschichten klanglos in den Äther geschickt wurden.
Fazit
In dem Hörspiel gibt es nur wenig Musik, hätte ein wenig mehr sein können - denn die verwendete, passte gut zu meinem Geschmack. Ist gewiss nicht jedermanns Vorliebe, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie niemanden stören wird.
Ein wenig könnten sie noch an der Anpreisung des Hörspiels auf der Webseite feilen. Dort steht, dass »nur der Hörer ahnt, was in jener sturmgepeitschten Novembernacht geschah« – tja, ich kann es verraten: Auch wenn es sich gut anhörte, weder in der Buchvorlage noch im Hörspiel passierte in jener nacht sehr viel. Alle gingen schlafen und wachten am nächsten Morgen wieder auf. Das Drama entwickelte sich erst später.
Freue mich, hier noch einmal verkünden zu können, dass ich von dieser Hörspiel-Fassung angetan war. In der Kürze liegt wirklich die Würze.
Link zum Hörspiel (verfügbar bis 5.11.2023)