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In Sorge
Meine bessere Hälfte war der Meinung, dass ich während des Filmes sehr gefesselt war und dem Streifen zugewandt war. Betreibt man so etwas wie diese Seite, ist die Herangehensweise an eine Maigret-Verfilmung eine andere, als würde man sich einen normalen Blockbuster anschauen. Aber es gab noch einen zweiten Aspekt: Ich war in steter Sorge um die Maigret-Figur.
Der Depardieu, den ich kenne, war nie der schlanke Recke gewesen. In diesem Film war er aber mächtig gewesen, um ein Wort zu verwenden, welches einigermaßen neutral wirkt. Die Sorge, die sein Arzt bei der anfänglichen Untersuchung hatte, würde ich teilen. Und so sieht man Maigret langsam durch die Gegend streifen. Oft nimmt er Platz, wo er nicht sitzen müsste. Treppenaufgänge betrachtete er mit Sorge. Ich hatte Angst, dass er das Ende des Filmes nicht erleben würde. In anderen Adaptionen wäre der Grund für ein solches Ableben vor Filmende gewesen, dass Maigret in Schießereien verwickelt wurde – hier die schlechte gesundheitliche Verfassung des Kommissars gewesen.
Überhaupt machte der Maigret, den wir in diesem Film zu sehen bekommen, einen sehr niedergeschlagenen Eindruck. Obwohl der Kommissar bestreitet, niedergeschlagen zu sein, hat er keinen rechten Appetit, verzichtet sogar auf seine Pfeife – wenn sie auftaucht, dann als Attrappe. In moderneren Adaptionen hätte sich der Kommissar ein Nikotin-Pflaster besorgt.
Wo andere Darsteller den Polizisten aufbrausend, wütend und mürrisch darstellten, liefert der Wahl-Russe (wie es Depardieu wohl heute damit geht?) einen in sich gekehrten Ermittler. Einen typischen Maigret sehen wir also mitnichten.
... aber die Story
Verkauft wird der Film als »Nach dem Roman ›Maigret und die junge Tote‹ von Georges Simenon« – das würde ich anders sehen. Treffender wäre »Nach einer Idee von Georges Simenon und ein bisschen …«. Wenn die Unterschiede zu der Geschichte aufgezählt werden sollten, würde es ein endloser Beitrag werden, sodass es einfacher ist, zu erwähnen, was die Gemeinsamkeiten sind: Eine junge Frau wird ermordet aufgefunden – der Auffinde-Ort entspricht nicht dem Ort, an dem die Tat geschah. Die Tote ist unbekannt und Maigret muss ihre Identität ermitteln. Dabei findet er so etwas wie eine Freundin des Mordopfers.
Der Rest der Story entspringt der Feder des Schreibergespanns Jérôme Tonnerre und Patrice Leconte.
Im Roman ist die Entdeckung dieser Verbindung für Maigret ein Durchbruch – denn nun hatte der Kommissar jemanden, der ihm darüber Auskunft geben konnte, wer die junge Frau war und wie sie tickte –, der Fall entblättert sich nach und nach. Hier scheint die Freundin der Toten zu einer Gegenspielerin zu werden. Der Verlobte spielte im Buch nur die Rolle eines von den Polizisten genervten Ehemanns einer Zeugin – hier wird er zu einer wichtigen Nebenrolle. Und dann wäre da noch die Mutter des Verlobten – die Beziehung der beiden erinnert an die von Marcel Moncin zu der seinigen in »Maigret stellt eine Falle«.[MSEF]
Überhaupt gibt es immer wieder Anspielungen auf andere Fälle, auf die Biografie Maigrets. Für Nicht-Maigret-Leser:innen macht es den Mann nahbarer. Da wäre beispielsweise der Aspekt der verstorbenen Tochter der Maigrets. In der literarischen Vorlage spielt dieser keine Rolle. Hin und wieder wird es in anderen Geschichten erwähnt, im Stile einer Fußnote, und Simenon thematisiert es prominent nur in der Weihnachtsgeschichte[MWBDM].
Schließlich wird mit Betty eine Figur eingeführt, für die es im Maigret-Roman-Universum keine Entsprechung gibt. Der Kommissar kümmert sich um das obdachlose Mädchen und nutzt sie gleichzeitig aus, um den Fall zu lösen. Nun ist es nicht so, dass der Buch-Maigret keine Tricks nutzen würde – aber dass er arglose und wehrlose junge Frauen bewusst in gefährliche Situationen bugsiert, das hätte man ihm wohl nicht zugetraut. Verantwortungslos könnte man es nennen.
Mit der Tatsache, dass aus der Gangster-Geschichte der Vorlage eine Studie des bürgerlichen Milieus wird, komme ich einigermaßen zurecht; dass dieser Maigret komplett andere Züge und Verhaltensweisen aufzeigt als die literarische Vorlage, bereitet mir eher Bauchschmerzen. Menschen sind widersprüchlich, aber der Kontrast in Maigrets Verhalten in Bezug auf Betty erscheint mir nicht glaubwürdig.
Gut an der Adaption: Die Betrachter des Films können ohne Probleme zu der ideengebenden Geschichte in Buch-Form greifen, ohne sich mit diesem zu langweilen. Es wird schließlich eine ganz andere Story erzählt.
Ein Fazit
Das Szenenbild samt Garderobe passt wunderbar in die 50er-Jahre, in der die Geschichte spielt. Herrlich auch der Nachbau der Tafel, auf der in der Pariser Polizei die Notrufe »visualisiert« wurden. Die Kameraführung war teilweise sehr wacklig, um sich dann auf das Motiv zu fokussieren. Eine interessante Technik gerade im Kontrast zum historischen Ambiente. (Am Anfang war ich irritiert – entweder hatte ich mich im weiteren Verlauf daran gewöhnt oder der Effekt wurde gemildert.)
Die Stadt spielt überhaupt keine Rolle. Interessant, dass es nur eine Einstellung gibt, in der Paris zu sehen und zu erkennen ist. Trotzdem wurde auf kleine Details geachtet: Bei den Szenen außerhalb des Gerichtsmedizinischen Instituts ist die Metro zu hören – ganz so, wie es in Paris auch wäre, wo das Leichenschauhaus an der Seine neben einer Metro-Brücke liegt.
Die Schwächen der Story werden durch die Bilder, die Ausstattung, die Musik zu einem großen Teil wieder aufgefangen. Wir haben es nicht mit einem überragenden Maigret-Film zu tun, aber als Zuschauer wird man gut unterhalten und es kommt keine Langeweile auf. Besser als befürchtet, hört sich nicht wie ein Kompliment an, ist aber eines.
Würde ich den Film auf einer IMDb-Skala einordnen, dann würde ich ihm eine 6.7 geben. Eingepreist ist in die Bewertung die Tatsache, dass ich als Kenner der Vorlage und als Anhänger von Werktreue sehr subjektiv bin.