Kugeln
Der Aufhänger für diesen Beitrag war das Thema »Spiele«. Wirklich! Denn mir fiel auf, dass es eine Reihe von Spielen über und um Sherlock Holmes gibt, aber keines über Maigret. Als ich das validierte, landete ich bei einem ganz anderen Thema: Pizza. Das ist, zugegebenermaßen, ein sehr krasser Sprung und erklärungsbedürftig. Also ...
Ich habe die Suchbegriffe »Maigret Software« in die Suchmaschine meiner Wahl eingegeben und mir die Ergebnisse angeschaut. Die ersten beiden Resultate verwiesen auf ein Programm, das Anwendern bei der Suche auf einem Computer hilft. Dieser »Maigret« war der Ableger einer Suchsoftware, die Sherlock heißt. Da war er wieder, der Engländer!
Kurz darunter gab es den Verweis auf eine Webseite maigret.at – die kannte ich nicht und machte mich neugierig. Beim Aufruf der Adresse wird man auf eine »Jetzt bestellen bei Maigret«-Internetseite umgeleitet, auf der man Pizzen, Burger und alles möglich mehr bestellen kann. Das Restaurant ist in Seiersberg bei Graz beheimatet und soll schon seit 1966 bestehen. Ich habe so manch lustige Woche in der Stadt verbracht und hätte ich gewusst, dass es ein solches Restaurant gibt, hätte ich die Kollegen überzeugt, mich da einmal hinzufahren. Welche Beziehung Maigret zu Italien hat und insbesondere zu Pizza ist mir schleierhaft. Vielleicht ist es Gino Cervi hergestellt, den ich meine im Logo zu erkennen. Dank der Streifen im Hintergrund des Logos bleibt dies eine Annahme. Aber irgendwer hätte den Gründern sagen können, dass es sich bei Maigret um einen Franzosen handelt!
Wer bei Google Streetview sich zu der Straße begibt, wird feststellen, dass die offizielle Beschriftung des Lokals eine ganz andere ist. Das scheint eine Marketing-Strategie von Lieferrestaurants zu sein, die ich auch in meiner Umgebung schon beobachtet habe. Vor nicht allzulanger Zeit hatte ich den Eindruck, dass indische Restaurants aus dem Boden zu sprießen scheinen – da jedoch alle an einer Adresse residierten, die gleichen Gerichte anboten und die gleichen Preise hatten, scheint es sich nur um eine Masche zu handeln, um besser gefunden zu werden.
Glaubt man den Bewertungen für das Maigret-Restaurant, so sind die Pizzen gut. Aber nun will ich zum eigentlich Thema kommen!
Jetzt aber!
Besuchen Sie bei schönem Wetter das Haus, in dem Maigret gewohnt haben soll, dann werden Sie sich auf den Mittelstreifen des Boulevard Richard-Lenoirs stellen. Von da hat man die beste Sicht und kann es gut fotografieren. Ist Ihnen nach Wasser (Canal Saint-Martin) zumute, dann wenden Sie sich in Richtung République, andernfalls in Richtung Bastille.
Hier ist der Kanal überdacht und es wurden Spielanlagen geschaffen, an denen die Leute sich zusammenfinden und munter Kugeln in eine Richtung werfen. Ich haben den stundenlang zuschauen können. Bisher dachte ich, die Herrschaften spielen Boule. Diese lässige Herangehensweise würde alle Kugelwerf-Sportsleute verstören.
Diese Erkenntnis vermittelte mir Simenon mit einem kurzen Satz:
Zwei alte Männer spielten Boule, genauer gesagt Pétanque, bei dem man die nagelbeschlagenen Kugeln höchstens ein paar Meter weit wirft.
Dieses Formulierung »genauer gesagt« machte mich hellhörig, denn ich habe Boule und Pétanque bisher immer als Synonym verwendet. Wir besitzen auch solch Spiel und wenn man dann mit Freunden gespielt haben, dann gab immer jemanden, der noch etwas von Boccia einwarf – was mich an die Plastikkugeln aus meiner Kindheit erinnerte. Aber was soll's, dachte ich mir dann. Aber wir spielten es im Familienkreis auch nur auf unserer Wiese – vermutlich auch ein Sakrileg für Franzosen.
Das ist die Gelegenheit ein wenig Verständnis für die Kugelspiele zu schaffen und wir fangen mit «Boule« an. Darunter verstehen wir hierzulande alle Spiele, bei denen Kugeln in irgendeiner Art und Weise geworfen werden. Kugelstoßen gehört definitiv nicht dazu, wie der Name der Sportart besagt.
In Frankreich würden wir damit nicht so weit kommen, denn dort wird von Boule gesprochen, wenn die Variante »Boule Lyonnaise« gemeint ist. Es gibt darüber hinaus die sehr gängigen Spiel-Varianten »Jeu Provençal« und die von Maigret beobachtete »Pétanque« – und diverse regional verankerte Spielarten.
Ich unternehme den Versuch, die Unterschiede in einer Tabelle darzustellen.
Boule Lyonnaise | Jeu Provençal | Pétanque | |
Größe des Spielfeldes | 27,5 x 3 Meter | 18 x 24 Meter | 15 × 4 Meter(1) |
Formationen | 1 gegen 1 2 gegen 2 3 gegen 3 4 gegen 4 | 1 gegen 1 2 gegen 2 3 gegen 3 | 1 gegen 1 2 gegen 2 3 gegen 3 |
Besonderheiten | – Schießen oder Legen – Schuss muss angesagt werden – unterschiedliche Spiel-Varianten: Tir progessif, Tir de précision | – Schießen oder Legen – es muss angesagt werden, was man spielt – Legen nur mit einem Bein und Position muss gehalten werden – Schuss mit drei Schritten Anlauf und es muss eine andere Kugel getroffen werden | – entstand aus der Variante »Jeu Provençal« – Schießen oder Legen – kein Anlauf notwendig |
(1) mindestens jedoch 12 x 3 Meter
Die Variante »Pétanque« entstand Anfang des 20. Jahrhunderts, nachdem ein guter Spieler namens Jules Le Noir aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage war, die Original-Variante zu spielen. Erfunden wurde sie von seinem Freund Ernest Pitiot. Einfacher mag die Variante sein, Sport ist es trotzdem.
Gespielt wird, bis man dreizehn Punkte erreicht hat oder wenn nach Zeit gespielt wird, dauert ein Spiel anderthalb bis zwei Stunden. Da bei den meisten Varianten das Ziel ist, die eigene Kugel so nah wie möglich an der sogenannten Zielkugel (auch Cochonnet genannt) zu platzieren, ist man gezwungen die Entfernung abzumessen. Dazu einen Schuh oder nur das Auge zu verwenden, ist verpönt – ein Maßband und manchmal auch ein Zirkel gehören zur Grundausstattung einer jeden Mannschaft.
Da Maigret beobachtete, dass die beiden Spielenden sich sehr vorsichtig nach den Kugeln bückten, war die »Pétanque«-Variante wie gemacht für sie. Offenbar hatten die Alten diverse Beschwerden, die einen Anlauf und das Verharren auf einem Bein unmöglich machten.
Wir haben eine zeitlang in unserem norddeutschen Dorf Boule gespielt. Ich nehme an, es war die Variante »Pétanque«. Bei der nächsten Gelegenheit, französische Spieler in ihrem Element zu beobachten, werde ich versuchen herauszufinden, welche Variante sie spielen.
Boccia übrigens, wird im Unterschied zu den französischen Varianten, nicht mit Stahlkugeln gespielt sondern mit Kugeln aus Holz.
... und Maigret?
Am liebsten hätte er auch Boule gespielt, hatte sich sogar mehrfach nach den Spielregeln erkundigt.
Nach dem Motto »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen« kam dieser Wunsch in Maigret erst auf, nachdem er seine Arbeit erledigt hatte.