Maigret in Gabun
Für die damaligen Verhältnisse hat Simenon seinen Kommissar ordentlich durch die Weltgeschichte geschickt – nach England kam sicher nicht jeder, schon gar nicht nach Amerika. Aber Maigret hat es geschafft! Ich liebe Gespräche über Simenon und Maigret, es gibt immer wieder erfrischende Erkenntnisse und Hinweise. So auch diese Woche, als im Gespräch die Bemerkung fiel, der Kommissar wäre auch in Afrika gewesen.
Wenn ich in den Spiegel schaue, wird mir sofort klar, dass ich nicht der Jüngste bin; ein Blick in den Personalausweis würde letzte Zweifel beseitigen oder die erfrischende, nein – Moment! –, deprimierende Perspektive von Teenagern und arglos ausgesprochene Wahrheit, würde mich auch wieder auf den Boden der Tatsachen bringen. Will sagen, dass mir etwas entfällt, ist schon durchaus möglich. Zuviel unnützes Wissen hat sich in den Jahren angesammelt und will nicht verschwinden, während wirklich wichtige Dinge – schwups – einfach aus meiner brain cloud verschwinden, ohne auf Wiedersehen zu sagen.
Da ich aber ein gewisses Faible für Afrika habe und Geschichten darüber besonders faszinierend finde, wäre mir nimmer entfallen, dass Maigret dort schon gewesen war. Nein, es wäre ein Höhepunkt auf dieser Seite.
Parallelwelten
Nie darf man vergessen, dass es so etwas wie Parallelwelten gibt. Da spreche ich nicht von den möglichen oder unmöglichen parallelen Universen, in denen es eine Version von mir gibt, die sich nur mit Arthur Conan Doyle und Fjodor Michailowitsch Dostojewski beschäftigt, oder dieses andere Universum, in dem ich mich während des Lesens eines Roman Dur totgelacht hatte, weil Simenon der große Bruder von Tom Sharpe war und unter der Begrifflichkeit lustige Romane verstand. Ich meine schlicht und ergreifend unterschiedliche Metiers. In der parallelen Welt der Filme hatte man Maigret nach Finnland geschickt, in der parallelen Welt der Hörspiele hat man ihn nach Afrika geschickt.
Das ist schon in den 50er Jahren passiert. Die Geschichte heißt »Abenteuer in Libreville« und war Teil einer Maigret-Reihe. In der ARD-Datenbank wird vermutet, dass es sich um eine Adaption von »Le coup de lune« (dt: »Tropenkoller«) handeln würde. Die Kurzgeschichten jenseits der Maigret-Welt waren damals noch unbekannt, also schien es den Machern wohl opportun die Geschichten aus »Ein Verbrechen in Gabun« in die Maigret-Welt zu verlegen und damit Maigret von Paris nach Libreville zu versetzen.
Rollen
Neben den einzelnen Sprechern und deren Rollen, wird auch noch angegeben, wie diese Rollen angelegt sind. Monsieur Stil ist ein »dicker fetter Mann«, was schon ein wenig redundant klingt, aber sei’s drum – ich glaube, dass hier um jemanden geht, bei dem man den Körperumfang nicht schön reden kann. Auch die Beschreibung von Grand Louis ist bemerkenswert: »etwas verkommenes Subjekt, heruntergekommen, fast immer betrunken, aber ursprünglich anständig.«
Mein absoluter »Favorit« ist jedoch die Beschreibung von Hilarion, einem Diener von Maigret. Die Beschreibung lautet: »der klassische Negertyp«. Ich gebe zu, ich zuckte zusammen. Ich habe, ehrlich gesagt, mit der Begrifflichkeit in literarischen Texten und in Titeln kein Problem. (Bin aber auch kein Betroffener und fand in Asien die Bezeichnung »Langnase« auch nicht so schön.) Diese Bemerkung finde ich aber bemerkenswert, weil sie für mich überhaupt keinen Sinn ergibt. Warum? Man nehme die Beschreibung und ersetze ein entscheidendes Wort, so dass dann dort steht: »der klassische Weiße«. Funktioniert für mich nicht, weil ich nicht wüsste, wie ich alle Weißen über einen Kamm scheren soll. Nehmen wir einfach wahllos drei Weiße heraus: Hawking – Trump – Simenon. Ich käme auf keinen gemeinsamen Nenner, mit die ich die drei unter einen Hut bekommen könnte – außer, dass sie weiß und männlich sind. Wäre ein bisschen wenig, um »typisch« zu sein. Warum sollte das dann mit Schwarzen oder Gelben oder was weiß ich funktionieren?