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Matrizen


Das war wirklich eine harte Nuss! Wer die Geschichte »Der alte Mann mit dem Drehbleistift« aus dem ersten Band der deutschen Agence O-Geschichten noch nicht gelesen hat, der sollte an der Stelle mit dem Lesen aufhören – die Spannung soll nicht vermiest werden. Worum ging es in der Erzählung: um Geld und hier eine Story dazu.

Die hier aufgeworfene Fragestellung tauchte am Ende der Erzählung auf. Der Drops war, wie man salopp sagt, gelutscht und Émile von der Agence O hatte noch ein paar Fragen zu (er)klären.

Unsereiner als Leser sah bei der erfolgten Auflösung des Falles, dass es sich bei den Verbrechern um übles, geldfälschendes Gesindel handelte, welches nicht davor zurückschreckte, Menschen umzubringen. Émile hatte den Koffer der Verdächtigen abgefangen und in diesem die Druckplatten für Hundertzłotyscheinen gefunden. So war zumindest dieses kriminelle Unterfangen verhindert worden.

Unsereiner als Inspecteur de texte stieß auf eine Ungereimtheit, die eine Kribbeln im Neugier-Zentrum verursachte.

Im Deutschen

Es gehört zum Geschäft des Schreibenden (ebenso wie zum Business des Übersetzenden), Wortdoppelungen zu vermeiden. Manchmal haut das nicht hin, aber man braucht ein Ziel. So war von den Druckplatten im schönsten Deutsch zu lesen:

Was man unter einer Decke von alten Zeitungen darin entdeckt, sind Kupferplatten mit feinen Gravuren.

In den nächsten Sätzen gab es die Aufklärung, allerdings wurde dann ein Begriff verwendet, der mich stutzig machte:

Es ist dem alten Isaac und seinem Komplizen in der polnischen Beamtenschaft nämlich gelungen – wir wissen noch nicht genau wie –, sich der echten Matrizen zu bemächtigen, [...]

… und ich dachte mir: »Hoppla! Matrizen? Das kann nicht sein.«

Ein Blick in das Original kann nie schaden und in diesen war von Platten die Rede, was nach meinem Dafürhalten einen typischen Begriff darstellt.

Ich kenne die Begrifflichkeit »Matrize« in dem Zusammenhang mit der Branche gut. Sie ist mir vertraut. Manche Wörter haben mehrere Bedeutungen, auch innerhalb einer Branche, deshalb wollte ich mich noch nicht zufriedengeben und begann ich zu recherchieren. Schließlich, nicht ganz unwichtig, will man keinen Blödsinn weitererzählen oder schreiben.

Das Internet ist schon immer ein Anfang und in diesem Fall zog ich den Duden mit hinzu. Die Antworten deuteten darauf hin, dass es keine gute Idee ist, den Begriff »Matrize« im Zusammenhang mit einer Druckplatte zu verwenden. Aber was ist schon eindeutig?

Also zog ich einen befreundeten Drucktechniker hinzu und schilderte ihm die Problematik. Nach einiger Diskussion waren wir uns einig: Eine Druckplatte ist keine Matrize.

Ich war geneigt, mit dem Finger auf die Übersetzerin zu zeigen und »böse, böse« zu rufen, da fiel mir auf, dass im Original auch mit zwei unterschiedlichen Begriffen hantiert wird.

Im Französischen

Dort hieß es zuerst:

Ce que l'on découvre, sous un matelas de vieux journaux, ce sont des plaques de cuivre finement gravées.

... und dann ...

Isaac, qui s'est assuré la complicité d'un fonctionnaire polonais, est parvenu, on ne sait encore comment, à s'emparer des vraies matrices qui servent à tirer les billets de cent zlotys...

Es war Simenon selbst, der den Begriff »Matrize« ins Spiel brachte. Also hatte ich einen neuen Übeltäter. 

Mir erschien es jedoch komisch, dass ausgerechnet Simenon – der sehr wahrscheinlich in seinem Berufsleben als Journalist und Schriftsteller mit Fachbegriffen aus der Branche konfrontiert worden war – an solch einer Stelle ein Fehler unterlaufen sein sollte. Aber »matrices« stand nun einmal im Text, also wird er es so gemeint haben.

Ich hatte den Verdacht, dass das Wort im Französischen eine andere Bedeutung haben könnte. Die Wörterbücher, die ich konsultierte, wollten mir keine Antwort geben. Dafür die französische Wikipedia, die für den Begriff »Matrize« anführte:

– en imprimerie et gravure, une matrice est une plaque (de bois, de métal ou de linoleum) gravée, qui est enduite d'encre qui sera imprimée sur le support d'impression.

Damit wird verständlich, warum der Begriff von Simenon verwendet worden war. Im Französischen ist »matrice« ein Synonym für eine Druckplatte. Im Deutschen ist das nicht der Fall. Hier hat die Matrize im Druckwesen handelt es sich um eine Form aus Metall, die man für die Erzeugung von Lettern oder Bleisatzzeilen verwendet hat. Letzteres ist ein Fachbegriff beispielsweise beim Maschinensatz. Ohne nostalgisch werden zu wollen, eine interessante Technik, die man sich noch in manchen Museen anschauen kann.

Aber: Der Begriff wird in einem Bereich für eine Druckform verwendet. Dabei handelt es sich um die Hektografie, auf die ich bald zurückkommen werde.

Fazit

Obwohl der Begriff aus dem Original richtig übersetzt worden ist, sprich wortwörtlich, ist er trotzdem unglücklich, weil er in hiesigen Fachkreisen nie in der Form verwendet werden würde.

Der Grund, warum ich darüber stolperte, ist banaler Natur. Ich las es und dachte mir, ich habe noch nie von einem Verbrecher gehört (im Film) oder gelesen (natürlich im Buch), der von seinen gefälschten Druckformen gesagt hätte: »Ja, die Matrize…«