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Miese Masche
Schon mal in den Spam-Ordner in der letzten Zeit geschaut? Ehrlich gesagt, ich habe das nicht getan und somit gar nicht mitbekommen, dass sich die Prosa, die sich darin befindet, geändert hat. Ob es etwas mit dem Alter und den modernen Zeiten zu tun hat, dass ich nun mit Bitcoins und Sex gelockt werde? Wo sind die Geschichten von früher?
Ja!, da gab es aufregende Geschichten zu lesen. Es waren Dramen, die es durchaus mit dem »Testament Donadieu« hätten aufnehmen können, um jetzt nicht Shakespeare hervorzukramen. Immer hatte ich mir vorgenommen, eines Tages mal auf einen solchen Brief zu antworten, um zu schauen, wie sich ein solcher Briefwechsel entwickelt. Nicht, dass ich etwas gegen die von mir gepflegten Korrespondenz vorbringen können – sie sind unterhaltsam, fordern mich manchmal, machen mich zufrieden – aber wenn ich ehrlich bin, drehen sie sich doch sehr oft um Simenon.
Aber es sind nicht die komplizierten Verwicklungen, mit denen ich mich befassen muss – Erbschaftsstreitigkeiten, politische Umstürze, persönliches Unglück durch Scheidung oder missgünstige Kinder. Nein, in den Briefwechseln, die ich pflege, geht es nicht um Geld.
Scheinbar ist dieses Unglück verschwunden. Es gab nur die kleine Nachricht einer »Maria-Elisabeth_Schaeffler«, die aus unerfindlichen Gründen ihre Vornamen von ihrem Familiennamen mit einem Unterstrich trennt, und meint, dass meine Spende von 1,5 Millionen Euro noch verfügbar wäre (wobei ich nicht wusste, dass ich etwas in der Höhe gespendet hätte, schon gar nicht eine solche Summe, und auch nicht, dass mir eine solche Zuwendung angekündigt wurde).
In der Realität angekommen
Mich hat immer wieder überrascht, dass Menschen darauf reinfallen, wenn sie Post dieser Art bekommen hatten. Bei einem Glas Rotwein lässt sich einen ganzen Abend darüber philosophieren, ob es nur pure Dummheit ist und ob die Gier das Hirn aufgefressen hat. Schließlich waren die Geschichten derart konstruiert, dass sie einen anspringen und rufen »Nimm mich nicht ernst!« – es war eine Art von Literatur, die ich mir schon hin und wieder zu Gemüte geführt hatte. Die Stories hatten immer etwas von »Lustiges Taschenbuch«. Realismus war Fehlanzeige.
Es hat mich aber auch überrascht, dass das, was uns heute als Nigeria-Scam bekannt ist und in der Kriminologie unter dem öden Namen »Vorschuss-Betrug« läuft, ein verblüffend alter Hut ist. Schon im 16. Jahrhundert gab es die ersten Betrugsfälle, damals noch per Post. Im Englischen ist die Methode unter dem Namen »Spanish Prisoner« bekannt, im Französischen unter dem Begriff »Lettre de Jérusalem«.
An der Stelle kommt ein alter Bekannter ins Spiel: Eugène-François Vidocq. Dieser Mann, der nicht nur Krimineller, sondern auch eine Art Polizist war, hatte sich in seinem Buch »Les Voleurs« ausführlich mit der Sparte befasst. Der französische Begriff geht der Überlieferung nach darauf zurück, dass die Methode gern von Betrügern eingesetzt wurde, die – wie Vidocq – im Gefängnis von Bicêtre einsaßen. An diesem führte die Rue de Jérusalem vorbei.
Dem Opfer wurden dabei Briefe geschrieben, in denen man Geld versprach. Nicht direkt, nicht unmittelbar – sondern die ganze Angelegenheit wurde sorgfältig inszeniert. Der erste Schritt, dass man dem Opfer den Mund wässrig macht. Als wichtiger Aspekt dürfte ebenso gelten, dass die gewählte, zu melkende Person ein Gefühl von Überlegenheit und Cleverness hat.
Ein guter Betrüger muss ein gutes psychologisches Gespür besitzen. Die Wahl des Opfers ist enorm wichtig, denn wenn sich herausstellt, dass dieses zu vorsichtig, nachdenklich oder gar skeptisch ist, investiert man seine Zeit in die falsche Person. Wurde ein passendes Opfer auserwählt, muss man als Investor (schließlich wird Zeit aufgewandt) exakt einschätzen, wann welcher Schritt gewagt wird. Ist die Beute reif, kommen die Forderungen: Entweder werden Sicherheiten benötigt oder es sind Kosten zu decken – und als Profiteur müsste sich der Empfänger des versprochenen Geldes daran beteiligen.
Elegant läuft es, wenn der »Geschäftspartner« das Gefühl hat, dass die Forderungen berechtigt und logisch sind. Offenbar funktioniert das oft, denn die Masche war erfolgreich genug, um es zu einer gewissen Bekanntheit verholfen und – da müssen wir ehrlich sein – es nicht über Anzeigen, Fax-Geräte bis in die jüngste E-Mail- und Messenger-Ära geschafft.
Van Cram
Maigret hatte sich am Anfang des Falles um Louise Laboine um die Tote kümmern müssen, um herauszufinden, wer sie war und was sie ausmachte. In jeder Untersuchung kommt der Punkt, in dem die Umgebung interessant wird: die Familie, Freunde, Nachbarn. In Louises Fall war es die nicht vorhandene Familie, denn schließlich war die Mutter weit weg und von dem Vater wusste man auch nicht sehr viel.
Aus den Geschichten, die ihm aus Nizza zugetragen wurden, wo die Mutter von Louise lebte, erfuhr er, dass es einen Vater gab, der – auch das war offenbar ein verdammt alter Hut – nur kurz mal Zigaretten holen gegangen war und nie wieder kam. Durch seine Recherchen ermittelte er, dass es sich um einen gewissen Julius van Cram handeln würde.
Der war den Polizeien der Welt unter den verschiedensten Namen bekannt und Simenon beschreibt eine Variante des »Vorschuss-Betrugs«. Van Cram bereitete sich vorzüglich vor, um dann alles flink über die Bühne zu bringen. Es gab keine Spuren in Form von Briefen. Und: Wenn man ihn erwischte, war sein unbekannter Komplize, den er hatte, schon über alle Berge und ihm nichts nachweisbar. Man konnte vor so viel Eleganz nur den Hut ziehen.
Ihre Opfer fanden sie in edlen Bars: betuchte Männer, bevorzugt Industrielle oder Kaufleute aus der Provinz.
»Ich muss unbedingt einen vertrauenswürdigen Mann finden«, sagte er. »Man hat mich mit einer Mission beauftragt, die mir Schwierigkeiten macht, und ich frage mich, wie ich sie zu einem guten Ende bringen kann. Ich habe große Angst, hereingelegt zu werden!«
Simenon beschreibt, wie van Cram und seine Kumpanen vorgingen. Man zeigte dem Opfer Geld, eine riesige Menge Geld und erzählte ihm, dass er einen Teil davon abbekommen würde. Eine Kompensation für seine Beteiligung. Der Auftraggeber hätte dem schon zugestimmt. Nur müsse man als Ehrenmann auch die Gewissheit haben, dass der neue Geschäftspartner vertrauenswürdig ist. Deshalb solle er einen Faustpfand bringen.
Mit dieser Sicherheit bestritt van Cram dann sein Lebensunterhalt. Das Opfer war finanziell geschröpft worden – es ist nur ein kleiner Trost, dass es nun um viele Erfahrungen reicher war.
Mir ist an der Stelle klar gewesen, dass es gewiss keine Masche gewesen war, die sich Simenon ausgedacht hatte. Unumwunden muss ich jedoch zugeben, dass ich immer noch verblüfft bin, was für ein alter Trick das ist.