Nicht die Augen schließen


Ein Mann jenseits der siebzig lebt in einem großen Haus in Paris mit seiner Haushälterin und ein wenig Personal. Viel gibt es nicht mehr, was ihn erfreuen kann. Auf die Frage, ob sein Leben langweilig ist, vermag er nicht richtig zu antworten. Aber seine Kinder, stellt er fest, würden es wohl so sehen. Er geht nicht mehr aus, trifft sich hin und wieder mit einem befreundeten Arzt und muss zugeben, dass es eine Leere in seinem Leben gibt.

​Das ist der Ausgangspunkt an dem wir François Perret-Latour in dem Film »Es gibt noch Haselnusssträucher« kennenlernen. Eine Schlüsselszene dieses Films ziert das Cover der gleichnamigen Diogenes-Ausgabe. Ich konnte mir nicht recht vorstellen, ob eine Verfilmung und dann noch mit Heinz Rühmann eine so gute Idee ist. Ich war ein wenig überrascht, als ich fast ein halbes Jahr nach Erscheinen entdeckte, dass der Film bei PIDAX erschienen ist. Reflexartig fragte ich mich, warum denn nicht mal einer der Klassiker herausgebracht wird.

Meckerei

​Mein Hauptproblem mit Heinz Rühmann ist Heinz Rühmann. Sobald ich mal kurz die Augen zumache, sehe ich Hans Pfeiffer vor mir. Vielleicht liegt es daran, dass wie bei der »Feuerzangenbowle« auch hier der Hauptdarsteller der Erzähler ist. Vielleicht allerdings auch daran, dass ich die »Feuerzangenbowle« verehre. Allerdings habe ich auch bei den Dialogen im Film oft den Eindruck gehabt, als würde Rühmann seinen Text vorlesen. Mir kam kurz der Gedanke, es wäre ein verfilmtes Hörbuch. Aber vermutlich ist es einfach Rühmann und seine Art.

Die Musik zu den Szenen, in denen Rühmann agiert, passt bestens: Der Mann lebt in einem palastartigen Gebäude, hohe Räume, alte Meister, stilvoll eingerichtet. Dann gibt es Schnitte zu seiner Enkelin Natalie, wie sie mit Freunden durch Paris zieht, und hier hört man Beat-Musik, wie sie in den 80er Jahren schon lange nicht mehr modern war. Das ist deshalb unpassend, weil der Film nicht vorgibt, in den sechziger Jahren zu spielen, in denen Simeon die Geschichte schrieb.

Ja?

Auf der Habenseite steht, dass es sich positiv entwickelnde Geschichte ist, die passend eingekürzt wurde. Der Film wurde für das ZDF produziert und hat eine Länge von knapp einer Stunde. Das ist kurz, aber die Story ist in der Zeit auch erzählt. In bester Simenonscher Manier gibt es keinen Schnickschnack.

Die Szenerie passt hervorragend zu der Geschichte und da François Perret-Latour von seinem Chauffeur so durch Paris kutschiert wird, dass er auch ja alle touristischen Sehenswürdigkeiten zu sehen bekommt, hat man als Zuschauer auch gleich noch das Gefühl, man müsste mal bald wieder in der Stadt vorbeischauen. Das Restaurant, in dem der ehemalige Banker mit seinem Sohn und dessen neuer Flamme speist, liegt in der unmittelbaren Nähe von Maigrets Dienstsitz – wenn es Absicht war, dann ist es wirklich ein netter Einfall.

Man nimmt Rühmann, der zum Zeitpunkt des Drehs schon über achtzig Jahre alt war, den Siebzigjährigen – den er hier verkörpert – ohne Probleme ab. An einigen Stellen dachte ich: »Das ist aber wirklich rührend!« und hatte dabei nicht den Gedanken, dass es aufgesetzt oder kitschig wirken würde. Es ist eine Familiengeschichte, in der ein alter Mann das Problem einer jungen Frau zu lösen versucht und dabei einen unkonventionellen Weg geht. Nicht alles geht dabei glatt und auch die Zweifel sind dem Mann durchaus anzumerken. Aber Perret-Latour sieht es als Wiedergutmachung für sein verkorkstes Ehe- und Familienleben.

Der Film ist gut gealtert – natürlich sieht man bei den Außenaufnahmen die Autos der achtziger Jahre. Die im Film geschilderten Probleme gibt es heute noch.

Es ist ein wenig wie Weihnachten und Ostern zusammen, ohne in einen rosaroten Traum abzudriften, und gerade die richtige Geschichte, wenn man mal etwas fürs Herz braucht oder zumindest keine Lust auf eine deprimierende Simenon-Geschichte hat.