Opfer
Ein guter Seemann, sagte man, könnte er werden, gar Offizier oder Kapitän. Allerdings war er auch jähzornig und unbedacht, wenn er Alkohol getrunken hatte, umso mehr und die Tatsache, dass er einen Polizisten umgebracht hatte – im Suff – würde ihm noch sein Lebtag anhängen. Julie Legrand hatte so manche Sorge was ihren Bruder anging und ersuchte deshalb in einer Kapelle, um göttlichen Beistand zu erbitten.
Maigret, der neugierig war, wie die junge Frau hingehen würde, folgte ihr den Strand entlang, observierte sie ,,, und wurde erwischt. So kann es halt gehen. Damit waren wir an der Stelle, an der ich wieder mal etwas lernen konnte, zumindest in der Diogenes-Ausgabe.
Diese primitive Votivtafel war drei Tage vor dem Verschwinden von Kapitän Joris hergebracht worden!
Der Begriff wurde notiert, denn die Rubrik »Lernen mit Maigret« ist eine recht beliebte.
Eine Votivtafel ist eine Votivgabe, die man wiederum als Opfer für eine höhere Macht verstehen kann. Auf sie wird gern zurückgegriffen, wenn man sich Beistand in einer (erwarteten) Notlage erwünscht. Geopfert wird das ganze ganz gern an einer kultischen Stelle, worunter die Kapelle, die Julie Legrand, nutzte durchaus verstehen kann.
Ich war ein wenig überrascht, denn ich als ganz und gar wenig religiöser Mensch habe ich diese Tafeln unzählige Male – gerade in französischen Kirchen gesehen und gelesen – und mich so manches Mal gefragt, wofür sie denn wirklich gut wären.
Häufig steht nicht mehr auf diesen Tafeln als »Merci. 12.8.1943. M.B.«. Jetzt weiß ich, dass wohl jemand glaubte, erhört worden zu sein und sich für den Beistand bedankte. Ein wenig überrascht war ich auch über mich, denn ich fand in meinen zahllosen Fotografien aus französischen Kirchen kein einziges Bild einer solchen Votivtafel, was ziemlich obskur ist.
In der Kapelle, in die Maigret Julie Legrand gefolgt war, war es üblich, den Beistandswunsch oder die Danksagung auf Muscheln zu schreiben und zu deponieren. Deshalb wurde das wohl mit dem Adjektiv »primitiv« versehen. Von den edleren Varianten, die in Dorfkirchen oder auch Kathedralen hängen, bei der man auch Opfer an einen Steinmetz und vermutlich die Kirche selbst zu geben hat, war diese Variante sehr weit entfernt.
In der aktuellen Ausgabe ist übrigens nicht mehr von Votivtafeln die Rede, sondern ganz schlicht von »Opfergabe«. Die wortwörtliche Übersetzung entspricht dem der Diogenes-Ausgabe, verständlicher ist jedoch die in der neuen Ausgabe. Zumindest für Menschen, die in kultischen Angelegenheiten so unbeleckt sind, wie ich.