Die Krone

Potenzial für Zwist


Sollten sich in Frankreich irgendwann mal wieder die Monarchisten durchsetzen und einen König bestimmen dürfen, könnte es interessant werden. Durchaus möglich, dass sich die unterschiedlichen Strömungen, die das befürworten, zusammenschließen, um ein Königshaus zu etablieren. Wahrscheinlicher dürfte jedoch sein, dass ein großes Hauen und Stechen beginnen wird.

Bevor sich hier auf das Spekulative beginnt, gibt es erst einen Exkurs in die Geschichte: Louis XVI. bestieg 1774 den Thron. Den Staat, den er zu führen hatte, war finanziell angeschlagen. Der Mann war nicht clever genug, die Probleme und Risse, die sich auftaten, zu lösen. Seine Entscheidungen (oder auch sein Aussitzen) bereiteten den Boden für die Aufstände. 

Louis XVI / Joseph-Siffrein Duplessis / 1777 – Credits: Public Domain

Louis XVI / Joseph-Siffrein Duplessis / 1777

Credits: Public Domain

Am 14. Juli 1789 begann die Französische Revolution mit dem Sturm auf die Bastille – das Volk, oder sagen wir mal vielmehr die Pariser begehrten gegen die absolute Herrschaft des Königs auf. Die Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Mitspracherecht nahmen zu. Der König und sein Adel waren anderer Meinung. Nach dem Sturm auf die Tuilerien am 10. August 1792 wurde die königliche Familie festgenommen und die Monarchie abgeschafft. Louis wurde als »Bürger Louis Capet« bezeichnet und verlor seinen königlichen Status. Der Prozess gegen Louis XVI. begann am 11. Dezember 1792 im Nationalkonvent. Er hatte zwei sehr schwerwiegende Anklagen am Hals – wegen Verschwörung und Hochverrat. Am 15. Januar 1793 erklärten ihn 691 von 749 Abgeordneten für schuldig. Am 21. des gleichen Monats wurde der ehemalige König mit der Guillotine hingerichtet. Das war ein rabiates Ende der französischen Monarchie.

Der kleine Kaiser

Napoléon Bonaparte – Credits: Public Domain

Napoléon Bonaparte

Credits: Public Domain

Vom 22. September 1792 bis zum 9. November 1799 existierte die Erste Republik. Beendet wurde sie durch einen Staatsstreich Napoléon Bonapartes. Die politische Situation in Frankreich war zu diesem Zeitpunkt äußerst instabil – verschiedene Fraktionen bekämpften sich und liest man Berichte über die damalige Zeit, kann einen das Gefühl beschleichen, dass die Menschen nur damit beschäftigt waren, Futter für die Guillotine zu beschaffen. Das Direktorium, die damalige Regierungsform, war durch interne Konflikte und militärische Misserfolge derart geschwächt, dass es für Napoléon ein Leichtes war, die Macht zu übernehmen. Dieser hatte zuvor Kampf-Erfolge in Italien und Ägypten erzielt und sich einen Namen gemacht. Er nutzte Unruhen aus, um, unterstützt durch seinen den Rat der Fünfhundert leitenden Bruder Lucien Bonaparte, das Direktorium aufzulösen. Er wählte den Titel »Erster Konsul«. 

Napoléon verschaffte sich umfassende Befugnisse und begann sofort mit umfangreichen Reformen – diese betrafen sowohl administrative wie auch politische Aspekte. Seine Herrschaft als Erster Konsul dauerte bis 1804. »Stopp!«, mag jetzt manche oder mancher denken, da ging doch noch was! Ja, richtig, denn das war das Jahr, in dem er sich selbst zum Kaiser krönte und das Erste Französische Kaiserreich einleitete. Nun stammte er aus dem korsischen Kleinadel, aber einen derartigen Sprung wäre im Ancien Régime unvorstellbar gewesen. Gut vorstellbar, was die alten Adligen, so sie ihren Kopf noch hatten, dachten, als der Emporkömmling sich zum Kaiser ernennen ließ …

Er hatte ein autoritäres Regime mit plebiszitären Elementen etabliert, das politische Gegner unterdrückte und in dem die Presse kontrolliert wurde. Bis 1812 führte der Neu-Kaiser zahlreiche militärische Kampagnen. Der Russlandfeldzug sollte sein Meisterstück werden, jedoch endete gerade dieser katastrophal und leitete die Befreiungskriege ein, in denen sich mehrere europäische Staaten gegen seine Herrschaft zusammenschlossen. 

1814 schien der Napoléon-Spuk nach seiner Niederlage in der Völkerschlacht bei Leipzig vorbei. Eine gewisse Arroganz ließ sich ihm nicht absprechen, denn einige Friedensangebote, die bitter gewesen wären, aber an seinem Status nicht rüttelten, lehnte er ab. Bis die Feinde vor den Türen von Paris standen und gezwungen wurde, abzudanken. Er sollte seine Tage auf der Insel Elba verbringen, auf die er verbannt wurde. Da hatte man aber die Rechnung ohne Wirt gemacht: Im März 1815 kehrte er aus Elba zurück und übernahm erneut die Macht in Frankreich. Diese Phase ist als die »Herrschaft der Hundert Tage« bekannt geworden. Seine ehemaligen Gegner waren jedoch nicht bereit, diesen Schachzug Napoléons zu akzeptieren und marschierten erneut gegen ihn. 

Am 18. Juni 1815 wurde Napoléon in der Schlacht bei Waterloo endgültig besiegt, was zu seiner zweiten Abdankung führte. Den Siegern war nun aufgegangen, dass es ratsam wäre, mehr Entfernung zwischen den kleinen Korsen und Frankreich zu bringen. Er wurde auf die abgelegene Insel St. Helena verbannt, wo er bis zu seinem Tod am 5. Mai 1821 lebte.

XVII, XVIII, X

Louis XVIII – François Gérard, 1814 – Credits: Public Domain

Louis XVIII – François Gérard, 1814

Credits: Public Domain

Danach kam aber nicht etwa die Zweite Republik an die Macht. Die Gegner von Napoléon Bonaparte waren noch von monarchischen Gedanken beseelt, sodass die Franzosen einen neuen König vor die Nase gesetzt bekamen: Louis XVIII.

Ist ja noch nicht so lange her, dass in diesem Text darüber gesprochen wurde: Der sechzehnte Louis verlor seinen Kopf und nun sollte plötzlich der achtzehnte auf den Thron landen. Was war denn mit dem Siebzehnten? Den wollen wir hier nicht vergessen. Nach dem Tod des unglücklichen Sechzehnten kam sein Sohn an die Macht. Also theoretisch und vielleicht auch nach dem Willen der französischen Monarchisten und der Koalition der europäischen Mächte, die gegen die Revolution kämpften. Praktisch war der »König« aber ein Kind und in Gefangenschaft. In dieser starb er auch. So wurde der jüngere Bruder von Louis XVI. König, als der Titel vakant wurde. Seine Regierungszeit begann eher liberal und auch seine Minister suchte er entsprechend aus. Ein Grund dafür war, dass bei dem Regierungswechsel von den Alliierten erkannt worden war, dass sie nicht das Rad der Zeit zurückdrehen konnten. Errungenschaften wie zum Beispiel die Gleichheit vor dem Gesetz und auch die Religionsfreiheit ließen sich nicht mehr nehmen. Mit der Zeit geriet er aber unter den Druck von Ultra-Royalisten und diese zwangen ihn, mehr den Monarchen zu geben. Die freie Presse hatte nicht viel zu lachen, genauso wenig wie Republikaner und Bonapartisten.

Etwa neun Jahre konnte er sich an seinem König-Sein erfreuen, da ereilte ihn der natürliche Tod. 

Charles X., François Gérard, 1825 – Credits: Public Domain

Charles X., François Gérard, 1825

Credits: Public Domain

Da er keine Kinder hinterlassen hatte, stand in der Erbfolge Charles X. bereit – sein Bruder. Hier gab es kein »neue Besen kehren gut« im Sinne einer liberalen Renaissance, sondern er verfolgte eine reaktionäre Politik, die auf die Wiederherstellung der absolutistischen Monarchie abzielte. Die Kräfte, die ihn dabei unterstützten, hatte er in seinen Ministerien sitzen. Dort wurde die Verfassung untergraben und die Rechte des Parlamentes verletzt. Ein Sturz des Königs war nicht abzusehen. Durch eine Algerien-Expedition versuchte er die Menschen abzulenken von den Sorgen, die sie hatten - zum Beispiel von Hungersnöten durch schlechte Ernten. 

Der Funke waren seine am 26. Juli 1830 erlassenen Juliordonnanzen. Mit diesen wurde die Pressefreiheit eingeschränkt und das Parlament aufgelöst. Die genaue Entwicklung soll hier nicht nachgezeichnet werden – nur so viel: Es war eher eine Sternstunde engagierten Journalismus denn respektablen Parlamentarismus. Da sich diverse Zeitungen nicht an die Einschränkungen hielten, konnten die »Frechheiten« von Charles X. öffentlich gemacht werden. Die restriktiven Dekrete führten zu massiven Protesten und Barrikadenkämpfen in Paris zwischen dem 27. und 29. Juli 1830, bekannt als die »Drei glorreichen Tage«. Angesichts der Unruhen, dem ungeschickten Vorgehen des Militärs in dieser Angelegenheit, woraus ein Verlust der Kontrolle über Paris resultierte, sah sich Charles X. gezwungen, am 2. August 1830 abzudanken und ins Exil nach England zu fliehen.

Damit war die Ära der Bourbonen in Frankreich beendet.

Ein neuer König

Blöd, wenn die Zwischenüberschriften schon verraten, was nun folgte – ein neuer König.

Diesmal stammte er aber aus einem anderen Adelszweig und es gab einen entscheidenden Unterschied: Statt »König von Frankreich« zu sein, hatte der neue Herrscher den Titel »König der Franzosen«. Das machte einen wichtigen Unterschied, denn nun waren die Franzosen nicht mehr Untertanen, sondern des Herrschers Landsleute. Der König stand somit an der Spitze einer konstitutionellen Monarchie, dessen Rechte durch eine Verfassung eingeschränkt waren.

Der Mann, der es an die Macht schaffte, war Louis-Philippe I. Wo kam er denn her? Er entstammte dem Haus Orléans, einer Seitenlinie der Bourbonen. Während der Französischen Revolution diente er als Offizier und identifizierte sich mit den Zielen. Mit der Republik brach er, als Louis XVI. hingerichtet wurde. Er entschloss sich zur Flucht und ging 1793 ins Exil in die Schweiz, nachdem sein Vater hingerichtet wurde. Dort blieb er, bis die Bourbonen 1814 wieder an die Macht kamen.

Die folgenden Jahre musste er um das enteignete Eigentum, zumindest das, was noch da war, kämpfen. Einen großen Teil bekam er für die Familie zurück, schließlich waren die nun Herrschenden mit ihm auch verwandt. Interessanterweise blieb er in seinen Ansichten jedoch liberal, was ihn nach der Juli-Revolution zu dem heißen Kandidaten auf den Königsthron machte.

Louis-Philippe I. / Franz Xaver Winterhalter – Credits: Public Domain

Louis-Philippe I. / Franz Xaver Winterhalter

Credits: Public Domain

Louis-Philippe I. musste lavieren zwischen seinen familiären Befindlichkeiten und seiner Herkunft auf der einen Seite und seinen fortschrittlicheren Ansichten auf der anderen. Dass sich sein Vorgänger unmittelbar ins Exil begeben hatte, war ihm sicher recht gewesen. Ein paar seiner Minister, unter anderem der extrem unbeliebte Jules de Polignac, waren dumm genug, in Frankreich zu bleiben. Während das Volk die Köpfe der Herren forderte, tat sich der König damit schwer – denn sein eigener Vater war schließlich aufgrund politischer Vorwürfe hingerichtet worden. So war er heilfroh, dass es einen Kompromiss gab, der besagte, dass die Todesstrafe für politische Verbrechen nicht mehr ausgesprochen werden konnte.

Der Bürgerkönig förderte die Wirtschaft und den Handel. Ein Augenmerk lag auf der kolonialen Expansion Frankreichs, insbesondere die Eroberung Algeriens. Trotz anfänglicher Beliebtheit nahm seine Popularität schnell ab. Denn so liberal, wie er sich anfangs gab, war der König nicht. Schon Mitte der 1830er-Jahre schränkte er die Versammlungsfreiheit ein und verbietet es, sich in Verbänden zu organisieren. Über die Jahre kommt es immer wieder zu Revolten – eine soll im Nachgang betrachtet werden – und zu einer Reihe von Attentatsversuchen. Das Wahlrecht blieb denen vorbehalten, die genug verdienten und das waren zur damaligen Zeit etwa 2% der Bevölkerung. Die Wähler waren also ein recht exklusiver Klub. Aber mit Parlamentarismus hatte es Louis-Philippe I. letztlich nicht so. Während die Bürgerlichen versuchten, ihre Rechte auszuweiten, meinte der König erkannt zu haben, dass es seine Vorgänger mit dem Absolutismus sehr viel einfacher gehabt hatten.

Insbesondere als sich die wirtschaftlichen Bedingungen in den späten 1840er-Jahren verschlechterten, wächst die Unzufriedenheit in großen Gesellschaftsschichten. Der eigentliche Auslöser für die Revolution war das Verbot eines geplanten Banketts zur Wahlrechtsreform durch König Louis-Philippe am 21. Februar 1848. Wie so oft kam es daraufhin zu Protesten in Paris – Arbeiter und Bürger begaben sich auf die Straße, um sich gegen die Entscheidung zu wehren. Am 22. Februar fanden Massendemonstrationen statt, die sich am 23. fortsetzten. Nur dass an dem Tag die Armee das Feuer auf Demonstranten eröffnete und fünfzig Menschen tötete. Das Volk war nicht amüsiert und plünderte nun Waffengeschäfte und -manufakturen. Barrikaden wurden errichtet und Teile der Nationalgarde schlossen sich bei der Gelegenheit den Revoluzzern an. Am 24. Februar trat zunächstMinisterpräsident Guizot zurück, kurz darauf dankte auch König Louis-Philippe ab und floh ins Exil nach England.

Die Dynastie derer des Hauses von Orléans war damit vom Thron geschubst worden.

Wieder gefühlt einer übersprungen

Just an diesem Tag die Zweite Französische Republik ausgerufen und eine provisorische Regierung gebildet. Diese setzte sich aus Vertretern verschiedener politischer Strömungen zusammen und beschloss einige wichtige Reformen wie die Abschaffung der Sklaverei in den Kolonien und die Einführung des allgemeinen Wahlrechts. Das hört sich für Demokratie-Freunde dufte an, allerdings kam der Angelegenheit unter anderem ein Napoléon-Nachfahre in die Quere.

Während die Abschaffung der Sklaverei sicher eine großartige Sache für die Sklaven war, war das mit dem allgemeinen Wahlrecht schon mal so eine Sache. Knapp fünfzig Prozent des Volkes wurde dieses Recht nicht zugesprochen: den Frauen. Aus unserer heutigen Perspektive hört sich da »allgemein« sehr ambitioniert an, auch wenn es natürlich ein großer Schritt nach vorn war.

Für die Bevölkerung gab es eine Reihe von Verbesserungen in den ersten Monaten: Da wurde die allgemeine Schulpflicht eingeführt und für die Arbeitenden wurde der Arbeitstag auf zehn bis elf Stunden beschränkt. Da es viele Arbeitslose gab, kam man auf die Idee, sogenannte »Nationalwerkstätten« einzurichten. 

Nach kurzer Zeit wurde erkannt, dass diese eine enorme Summe an Geld verschlangen, jedoch wenig effektiv waren – und wurden wieder abgeschafft. Das führte dazu, dass die Arbeiter unzufrieden waren und war sicher auch ein Grund dafür, dass es zu Juni-Aufständen kam. Diese wurden blutig niedergeschlagen und kosteten vielen Menschen das Leben. 

Nun kam es zu einer Entwicklung, die fatal für die Republik war – denn sowohl die Bürgerlichen wie die Landbevölkerung fremdelten mit den republikanischen und liberalen Ideen, die teilweise sehr links waren.

Napoléon III. / Hippolyte Flandrin / 1862 – Credits: Public Domain

Napoléon III. / Hippolyte Flandrin / 1862

Credits: Public Domain

In dessen Folge konnte sich jemand in das Präsidentenamt wählen lassen, der schon früher unter dem Namen Charles-Louis-Napoléon Bonaparte für Furore gesorgt hatte. Der Napoléon Bonaparte war sein Onkel gewesen, also war es keine direkte Linie, die ihn mit dem Kaiser verband. 

Schon früh hatte sich dieser Mann einen Namen gemacht: Er wuchs nicht in Frankreich auf, dazu hatten sein Onkel und sein Vater in den Augen vieler zu viel Schaden angerichtet. So lebte unter anderem in Deutschland (Großherzogtum Baden) und in der Schweiz. In Augsburg ging er eine Zeit lang zur Schule. Nach einer Karriere in der Schweizerischen Armee. 

Nachdem in Frankreich Louis-Philippe I. an die Macht gekommen war, konnte er dorthin zurückkehren und diente dort in der Armee. Am 30. Oktober 1836 versuchte er einen Putsch, der aber schnell niedergeschlagen wurde. Der König war gnädig mit ihm und schickte ihn ins Exil in die USA. So recht schien es ihm dort nicht gefallen zu haben, weshalb er nach Europa zurückkehrte und sich wieder in der Schweiz niederließ. Die Franzosen waren nicht sehr erbaut, als sie davon erfuhren, und forderten die Schweizer auf, Charles-Louis-Napoléon auszuweiten. Nun kennt man die Schweizer, die lassen sich nichts sagen. Also mobilisierten die Franzosen schon mal ihr Herr, aber bevor es zu arg wurde, entschloss sich das Ärgernis nach London auszureisen.

Eigentlich war sein Exil in den USA nicht mehr als ein Ausflug, denn in Europa war ein Jahr später schon wieder. In England hielt es ihn dann drei Jahre, bevor er 1840 den Versuch eines zweiten Putsches unternahm, diesmal in Boulogne-sur-Mer. Schlug auf fehl, woraufhin er zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt wurde. Abgesessen hatte er davon sechs Jahre, dann gelang ihm die Flucht.

Nun wollte er mit seinen Putschversuchen Frankreich sicher nicht mit Demokratie beglücken, sondern es ging ihm darum, »Frankreichs Größe und Ehre« wiederherzustellen. Ganz so, wie es seinem Onkel auch immer vorschwebte.

Zurück im Jahr 1848: Charles-Louis-Napoléon wurde Präsident. Seinen Kontrahenten Louis-Eugène Cavaignac, der als amtierender Ministerpräsident für das Amt kandierte, besiegte er klar. Seinem Gegner wurde gerade von den Arbeitern und Kleinbürgern vorgehalten, dass er im Juni zu hart gegen die Aufständischen vorgegangen war. Hinzu kam, dass der Name »Napoléon« natürlich bei vielen noch gut tönte und der Anwärter der geborene Populist war, der überall im Land für sich Werbung gemacht hat. Eine Taktik, die er auch beibehielt. 

Im Rückblick lässt sich immer leicht kichern, aber hier hatte man wirklich den Bock zum Gärtner gemacht.

Die Regierungen unter ihm wechselten häufig und er verstand es, sie mit Leuten zu besetzen, die nach seinem Geschmack waren. Bestimmte Regelungen aus der Verfassung gefielen ihm überhaupt nicht: Zum Beispiel war die Amtszeit des Präsidenten auf eine Periode beschränkt. Dafür musste eine Lösung her. Entweder man erlaubte eine mehrfache Kandidatur oder man löste sich von der zeitlichen Befristung einer Präsidentschaft. Dieser Kunstgriff gelang ihm durch einen Staatsstreich, in dem er sich zu einem Diktator mit einem Kaiser-Titel machte.

Er wurde zu Napoléon III. – und hier kommt vielleicht die Frage auf, was denn mit Napoléon II. passiert war: Bei Franz Bonaparte handelte es sich um den Sohn von Napoléon Bonaparte, der theoretischer Kaiser nach der Abdankung seines Vaters geworden war. Aber einerseits wurde er praktisch an der Ausübung seiner Macht durch die Umstände gehindert und zum zweiten war der Aspirant 1832 in Wien gestorben, alt war er übrigens nicht geworden – 21 Jahre.

Nun war es so, dass Louis-Philippe I. von einem liberalen König zu einem konservativen geworden war; bei Napoléon III. war es ein bisschen andersrum. Anfangs war es so, dass das Parlament nur Gesetze, die von der Regierung vorgelegt wurde, absegnen konnte. Für den Fall, dass es zu widerspenstig war, gab es noch eine zweite Kammer. Auf diese Weise hatte der Kaiser sein Gesetzgebungsverfahren immer unter Kontrolle.

Die Wahlen, die in Frankreich in den Folgejahren stattfanden, hatten etwas eher Folkloristisches. Die Regierung veröffentlichte Empfehlungen, wer zu wählen sei und mit den Wahlzetteln der Opposition gab es immer wieder Probleme. Regierungsbeamte waren sich auch nicht zu schade, Wahlwerbung, die ihr nicht genehm war, aus dem Straßenbild zu entfernen. Um weiterhin populär zu bleiben, setzte man auf eine expansive Außenpolitik: Da waren der Krim-Krieg, der Sardinische Krieg und die Einvernahme Vietnams als Kolonie.

Mit seinem Namen werden auch zwei wesentliche Infrastruktur-Projekte verbunden. Das Paris, was wir heute kennen, basiert auf seinen Vorstellungen. Er ließ komplette Stadtteile einebnen, damit die großartigen Armeen entstehen konnten. War das eine Frage der Ästhetik? Sicher nur zu einem Teil. Auf den breiten Boulevards war es für Ordnungskräfte leichter, Aufstände niederzuschlagen. Und natürlich für die Gegenseite auch aufwendiger, Barrikaden zu errichten. Und während seiner Regierungszeit wurde das französische Eisenbahnnetz ausgebaut. Allerdings wurde dabei sehr zentralistisch gedacht, sodass alle Linien nach Paris führten. Blöd für die, die von einer Küste zur anderen wollten, beispielsweise von Marseille nach Bordeaux.

In den 1860er-Jahren begann er das politische System zu liberalisieren. Es gab mehr Freiheiten für die Presse und sogar Gewerkschaften wurden zugelassen. Aber sein Ende wurde durch einen Krieg eingeleitet: Er kam auf die Idee, Deutschland den Krieg zu erklären. Die Stärke des Gegners wurde durch die Generalität Frankreichs völlig unterschätzt und die eigene überschätzt. Da gab es die paradoxe Situation, dass die Grande Nation zwar den Krieg erklärt hatte, aber die Deutschen kurz darauf vor Paris standen. 

Aber das war es natürlich nicht allein: Napoléon III. hatte auch mit mehr Groll anderer Länder gegen Preußen und deren Kriegseintritt gerechnet, was jedoch nicht passierte. Hier kam wohl einmal mehr Bismarcks Geheimdiplomatie zum Tragen, der die verschiedensten Bündnisse geschlossen hatte, von denen die anderen aber nie etwas wussten.

Frankreich kapitulierte, der Kaiser dankte ab, begab sich in deutsche Gefangenschaft und ging dann nach England ins Exil, wo er – mitten in den Planungen für seine Rückkehr nach dem Vorbild seines Onkels – verstarb.

Er war der letzte Monarch aus der Dynastie Napoléon, der in Frankreich auf einem Thron saß.

Simenon verpflichtet

Damit sich hier mit einem Thema beschäftigt wird, braucht es immer eines extrinsischen Impulses von Simenon. Adel stand schon hin und wieder im Fokus von Betrachtungen, diesmal geschah dies durch einen Nebensatz in der Erzählung »Philippe«[RFP] aus den Richter-Froget-Geschichten. In dieser war folgende Passage zu lesen, in der es um die Charakterisierung und den Werdegang von Jules-Raymond-Claude Forestier ging:

Dann Privatsekretär des Grafen von B., eines Anhängers des Legitimismus. [...] Sie verdienen sich ihr Geld mit Trickbetrug. Bei diesem Kaliber konnte freilich nicht nur von kleineren Betrügereien die Rede sein. Forestier war zum Bourbonen-Preller geworden, wie er in der Folge genannt wurde.

Nun war mir durch vorherige Beschäftigung mit der französischen Geschichte durchaus klar, was es mit den Bourbonen auf sich hat – und ihnen dürfte durch den kleinen Exkurs hier, auch ein Einblick verschafft worden sein. 

Und das Motiv, von dem in der Kurzgeschichte die Rede gewesen ist, war eine Masche, die Simenon in »Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet«[MVMG] nochmals aufgriff: 

Vor einer gewissen Zeit, vermutlich drei oder vier Jahre nach seiner Verheiratung, ein oder zwei Jahre nach dem Tod seines Schwiegervaters, hatte Émile Gallet in den alten Jahrgängen der Soleil gestöbert, die er geerbt hatte.
Die Zeitung erschien nur in sehr kleiner Auflage und wurde fast ausschließlich von ein paar wenigen Abonnenten bezogen. Sie stammte aus der Feder eines Préjean und schürte bei manchen Landjunkern die Hoffnung, ein Bourbone werde wieder den Thron Frankreichs besteigen.
[...]
Das musste Gallet auf die Idee gebracht haben, zum Royalisten-Schwindler zu werden. Er hatte ihre Adressen, wusste aus diesen Listen sogar, wie stark er die Einzelnen schröpfen und an welches Gefühl er jeweils appellieren konnte.

Die Zeitung, von der hier die Rede ist, ist – wie der Name nahelegt – war ein Sonnenschein unter den royalistischen Publikationen gewesen. Gegründet wurde »Le Soleil« im Jahr 1873. In ihren besten Zeiten hatte sie fast 40.000 Abonnenten in ganz Frankreich gehabt. Allerdings schlug sich sie sich während der Dreyfus-Affäre auf die Seite des Angeklagten, was bei ihrem Publikum nicht sehr gut ankam und sie verlor einen großen Teil ihrer Leserschaft. Sie hatte jedoch den Ruf, eine der Zeitungen zu sein, die eine fundierte internationale Berichterstattung pflegte.

Aber in ihr finden sich durchaus Hinweise auf die Aktivitäten der Ligue d'Action française, die man als Hardcore-Monarchisten bezeichnen konnte. Im Eid, den man bei einem Beitritt ablegen musste, war nicht die Rede davon »auf einen Wechsel mit demokratischen Mitteln hinarbeiten« zu wollen, sondern »man wolle sich aller Mittel bedienen«. Was nach einem monarchistischen Kampfverband klingt. Solche Töne führten dazu, dass man diesen Verband seit seiner Gründung im Jahr 1905 geheimdienstlich überwachte und er am Ende verboten wurde (was dann Mitte der 1930er-Jahre erfolgte).

Und da kommen wir zu dem Problem, was die französischen Royalisten bei einer Wiedereinführung der Monarchie hätten. Wer sollte denn neuer König werden? Schließlich konkurrieren drei verschiedene Dynastien um den Thron und sind auch heute noch, wenn es um die Frage geht, wer Thronanwärter ist, auf amüsante Weise sehr unentspannt.

Simenon kam mit dem Begriff der »Legitimismus« um die Ecke. Die Bedeutung unterscheidet (oder unterschied) sich ein wenig zwischen Deutschland und Frankreich. Hierzulande werden unter Legitimisten Menschen angesehen, die der Meinung sind, dass ein Monarch der Herrscher eines Volkes sein muss. Toleranz gibt es da nicht. Monarchisten sind für Legitimisten quasi schon des Teufels. Denn diese befürworten zwar eine Monarchie, aber sie halten es auch unter einer anderen Regierungsform aus und rebellieren nicht (sofort).

In Frankreich war der Legitimismus nicht so Larifari wie hierzulande. Ein Anhänger dieser Ideologie wäre nie auf die Idee gekommen, Louis-Philippe I. oder gar Napoléon III. als Monarch anzuerkennen. Nur ein Nachfolger der Bourbonen hatte demnach einen Anspruch auf den französischen Thron. Man sieht also schon, wo sich die Geister schieden. Der Trend entstand in den 1830er-Jahren, nachdem Karl X. abdanken musste. 

Einige Quellen behaupten, dass sich die Bewegung von dieser absoluten Forderung mit dem Tod des Grafen von Chambord verabschiedete. Mit ihm ging der letzte Vertreter der älteren Bourbonen-Linie kinderlos aus dieser Welt. Während nun einige Legitimisten auf die Orléans-Linie schworen, hielten andere zu einer anderen Bourbonen-Linie – der Anjou-Linie. Allein in der royalistischen Ligue d'Action française waren in den 1930er-Jahren noch 60.000 Mitglieder engagiert. Der überwiegende Teil kam paradoxerweise aus dem Bürgertum, der Anteil der Arbeiter war verschwindend gering.

Man kann sich gut vorstellen, dass dies bei der Zeitung, deren Abo-Liste Émile Gallet besaß, ähnlich gewesen sein. Anhand der Namen wird er identifiziert haben, welche Zeile sehr lohnenswert gewesen sind.

In der Geschichte wird es nicht näher ausgeführt, aber man kann davon ausgehen, dass auch Jules-Raymond-Claude Forestier genauso vorgegangen war. Der Graf wird in irgendeiner Art und Weise organisiert gewesen sein und Adresslisten gehabt haben, die Forestier dann ausgeschlachtet hat. Spekulativ ist hier natürlich, ob erst eine dieser Listen geklaut hatte und dies zu seiner Entlassung führte; oder ob er eine solche Kundenliste als »Abfindung« hatte mitgehen lassen.

Bei den Schilderungen hat man das Gefühl, dass es sich bei den Royalisten um Dummköpfe handelt, die sich von den Männern haben um den Finger wickeln lassen. Aber das ist das Geschick, das Betrüger haben und so ähnlich funktioniert es heute noch. Als Außenstehender denkt man oft – und völlig überheblich –, wie die Leute auf die Masche hereinfallen konnten oder auch »Gier frisst Hirn«. Tut man aber in der Regel nur so lange, bis man selbst an einen solchen Profi gerät und hereinfällt. Es muss halt nur jemand kommen, der den richtigen Trigger bei einem findet.

Deshalb sollte es nicht an uns sein, über die Opfer urteilen und sie zu beschämen, sondern nur über die Täter – also Forestier und Gallet.

Hochfeine Herrschaften

Für sogenannte Reality-Shows habe ich so überhaupt gar nichts übrig. Für eine könnte ich mich eventuell aber doch begeistern. Liegt daran, dass ich sie mir selbst ausgedacht habe. Liest man in den Biografien der derzeitigen »Dynastie«-Endpunkte, so hat man weder bei den Bourbonen noch bei den Orléans und Napoléons den Eindruck, dass diese wirklich mit ihrer Regierungshistorie abgeschlossen haben. Sie glauben auch heute noch, dass sie einen Anspruch auf den Thron hätten, wenn er denn wieder eingeführt werden sollte.

Damit man sich zu dem Zeitpunkt nicht über drei Typen ärgern muss – und ja, es sind immer noch nur Männer –, sollte weit im Vorfeld ein königlich-ritterlicher Wettbewerb abgehalten werden, um die Ansprüche zu klären. Das könnte sehr gut einen Bürgerkrieg verhindern.

Gut vorstellbar wäre eine Mischung aus Fort Boyard und Dschungelcamp. Der Thronanwärter (oder ein Vertreter aus der Dynastie) stellt sich den Aufgaben und die Verlierer-Dynastie hat im Anschluss nur noch die Klappe zu halten. Und um hier kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Es ist kein Kampf einen Thron, der zu besteigen ist, sondern nur darum, rumheulen zu dürfen, dass man mal eine königliche Dynastie gewesen sei, und bei der Einführung einer Monarchie auch ein Wort mitzureden hätte.

Die Aufgaben dürften auf keinen Fall charmant und edel sein. Auch sollten die Herrschaften nicht geschont werden, Glück darf keine Rolle spielen. Wenn das verbindlich geklärt ist, sind hoffentlich bürgerkriegsähnliche Zustände im Falle eines Übergangs von der Republik zur Monarchie in Frankreich nicht mehr zu erwarten.

Aber das ist natürlich nur ein frommer Traum. Die Herrschaften werden sich dafür viel zu fein sein.

So wird man weiterhin darüber lesen, dass die eine Dynastie einen Anspruch konstruiert und die anderen sagen, »Häh, ihr sitzt aber anderswo auf dem Thron. Ihr dürft das hier nicht!«, worauf hin diese erwidern: »Das spielt keine Rolle, das gab’s früher auch schon.« … und so weiter.

Zur allgemeinen Beruhigung: Obwohl es auch in Frankreich Menschen gibt, die sich einen König zurückwünschen, ist dieses Thema weit davon entfernt, auf irgendeine Agenda gesetzt zu werden.