Béarn (ca. 1937)

Schlecht beraten


Spione müssen sich auch hin und wieder mal erholen. Belesenere unter ihnen greifen dabei gewiss zu einem belletristischem Werk. Wenn diese sich darauf verlassen würden, was in einer Erzählung – zum Beispiel von Georges Simenon – steht und es weiter melden würden, da wären sie schlecht beraten. Mal ganz ehrlich: Irgend einem Geheimdienst wird das wohl mal widerfahren sein.

Wieder gibt uns der Erzähler der G7-Geschichte in seiner Porquerolles-Geschichte einen Anhaltspunkt, was sich um die Insel herum tat. Militär war anwesend, machte auch ordentlich Lärm und das offenbar mit einer beeindruckenden Präsenz. Er berichtet:

Ich war nicht wenig verblüfft, als sich der Himmel auf einmal verdunkelte. Im nächsten Augenblick sah ich, weniger als zweihundert Meter vom Ufer entfernt, den Panzerkreuzer Béarn über den seidenblanken Wasserspiegel gleiten. Dann erblickte ich etwas weiter entfernt vier Schiffe der gleichen Klasse, zwei Torpedoboote und ein halb abgetauchtes U-Boot.

Die Ausgangsfrage war an der Stelle: Gab es dieses Schiff? Denn schon so manches Mal war Simenon gerade bei Marineeinheiten sehr exakt gewesen und hat sich nicht irgendetwas ausgedacht. So ist es auch in diesem Fall. Das französische Militär besaß ein Schiff, dass den Namen trug und welches in den 1920er-Jahren vor Toulon operierte.

Dieser kleine Moment der Triumph der Klarheit sollte ausgekostet werden, denn wird ein gebohrt, dann wird es zügig neblig. Simenon schreib im Original:

L'instant d'après, j'apercevais, à moins de deux cents mètres du bord, le cuirassé Béarn qui glissait sur l'eau soyeuse.

Die Frage, was eine »cuirassé« ist, ergibt sich im Französischen offenbar aus dem Kontext: Es handelt sich dabei entweder um ein Panzerkreuzer oder um ein Schlachtschiff. Nun machen uns Sprachen die Freude, dass es für ein und das selbe verschiedene Begriffe gibt. Die Alternative ist, dass es einen Begriff für verschiedene Sachen gibt. In diesem Fall trifft das Letztere zu, gibt es doch fundamentale Unterschiede zwischen den beiden Schiffstypen.

Kreuzer sind Kriegsschiffe mittlerer Größe, die ursprünglich dazu dienten, Aufklärung und Überwachung zu betreiben, Blockaden zu errichten und sie agierten oft küstennah. Wer alte Piraten- und Seefahrer-Filme mag, in denen es von Segelschiffen wimmelt – wenn die Schauspieler von Fregatten oder Korvetten reden, dann entspricht das den späteren Kreuzern. 

Unter Schlachtschiffen werden die großen Brüder in der Seekriegsmaschinerie verstanden. Diese sind nicht nur besonders schwer gepanzert, sondern ihre Bewaffnung übertraf die der Kreuzer um einiges. Wie die Kreuzer entstand die Kategorie im Ende des 19. Jahrhunderts und mit Beginn des 20. Jahrhunderts. Im deutschen Sprachgebrauch wurden sie anfangs als Linienschiffe bezeichnet, was darauf zurückzuführen ist, dass sie in der Schlacht in einer Linie positioniert wurde – ein wenig so, wie die Truppen früher am Land vorrückten. In Frankreich und Italien werden sie bis heute als Panzerschiffe bezeichnet. 

Als ein Meilenstein der Entwicklung von Schlachtschiffen gilt die HMS Dreadnoughts, gebaut für die britische Royal Navy. Zehn Geschütze auf fünf Zwillingstürmen sollten helfen den Gegner zu bekämpfen. Vereinheitlicht wurden auch die Kaliber, mit denen geschossen werden sollte, denn man hatte gemerkt, dass die verschiedenen Munitionstypen die Mannschaft hinderten. Gleichzeitig wurde durch neue Antriebstechnik dafür gesorgt, dass die Schiff niedriger wurde und damit auch schwerer zu treffen war. Mit der Einführung dieses neuen Types war der Nutzen der alten Schlachtschiffe entwertet – gegen die Deadnoughts, wie die neuen Schiffe genannt wurden, hatten sie keine Chance.

Die Béarn

Bei dem von Simenon erwähnten Kriegsschiff ist es noch ein Tacken schwieriger. Das Schiff war als fünftes Exemplar der Normandie-Klasse geplant, welches die letzte Reihe einer Serie von Schlachtschiffen der französischen Marine werden sollte. Fertiggestellt wurde das Schiff aber nicht. Seine vier Schwesterschiffe wurden demontiert, aber aus diesem Schiff sollte etwas ganz besonderes werden: ein Flugzeugträger.

Die Franzosen hatten bei den Briten gesehen, wie ein Flugzeugträger aussehen kann und die Mitglieder der Delegation waren begeistert gewesen. Die großen Pläne, die daraufhin entstanden, wurden von der Realität eingeholt und statt einiger Flugzeugträger, wurde es nur einer. Das sollte bis 1945 auch so bleiben. Die Béarn war seit 1920 ein Flugzeugträger und die Test bezüglich Start und Landung liefen auch erfolgreich. Nur mochten sich die Militärs mit diesem schmucken neuen Stück nicht anfreunden. Erst 1928 wurde das Schiff gemäß seiner Bestimmung verwendet.

Ich fasse es kurz zusammen: Es sollte ein Schlachtschiff werden, wurde ein Flugzeugträger und war der einzige bis 1945. So ist das Folgende schwierig:

Dann erblickte ich etwas weiter entfernt vier Schiffe der gleichen Klasse, [...]

Meine Interpretation war an dieser Stelle, dass es sich um vier Schiffe der gleichen Klasse wie die Béarn handelt. Das wäre, da die Béarn der einzige Flugzeugträger der französischen Marine war, nicht möglich. Vielleicht wollte Simenon zum Ausdruck bringen, dass es sich um vier weitere Schiffe handelte, die von der gleichen Klasse waren. 

Da er aber im zweiten Teil des Satzes sehr spezifisch wird und beschreibt, dass die Flotte durch zwei Torpedoboote und ein U-Boot ergänzt wurde, würde ich eher von der ersten Möglichkeit ausgehen.

Im Übrigen war ich auch ein wenig verwundert, zu lesen, dass sich das Schiff nur in zweihundert Meter Entfernung vom Ufer bewegte. Das ist für ein Gefährt dieser Größenordnung ziemlich nah am Ufer.

Ungeliebtes Kind

Das Schiff wurde noch zweimal umgebaut. Beide Male in den frühen 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Aber auch die Umbauten sorgen nicht dafür, dass die Luftstreitkräfte ihre Liebe zu der Béarn entdecken können. Ein Grund dafür war sicher auch, dass das Schiff recht langsam war.

Der Unterschied zwischen Kreuzern und Schlachtschiffen ist, dass Kreuzer flotter unterwegs sind. Die Béarn war mit 21,5 Knoten unterwegs. Die Briten hatten ihre ersten Flugzeugträger nicht auf Basis von Schlachtschiffen gebaut, sondern Kreuzer genommen. Diese waren fast 9 Knoten schneller.

Es hatte einige Kampfeinsätze, wurde aber auch dafür verwendet, im Mai 1940 Gold der Französischen Staatsbank in die USA zu transferieren, um dort gekaufte Flugzeuge zu bezahlen. Praktischerweise stand der Transporter für die Fluggeräte mit dem Schiff gleich zur Verfügung. Da während der Überfahrt zurück nach Frankreich ein Waffenstillstand mit den Deutschen ausgehandelt wurde, wurde die Béarn zu den Antillen umgeleitet.

Nachdem Krieg wurde es als Unterstützung für die französischen Einsätze in Indochina eingesetzt, bevor es 1967 demontiert wurde.

Kommen wir auf die Ausgangssituation zurück: Die Angaben von Simenon in der Geschichte dürfte, so sie denn weitergeleitet worden wäre, dürften die Schlapphüte ganz schön irritiert haben. Besser, dass sich der Agent nicht auf die Angaben in der Geschichte verlässt, und einfach die Geschichte weiter genießt.