Unterschrift

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Was kann es für ein größeres Glück geben, als in Frieden zu leben? Es ist interessant, dass Simenon in seinen Tagebuch-Aufzeichnungen, die unter dem Titel »Als ich alt war« erschienen, schrieb, dass er mit der Epoche, in der er lebte, recht zufrieden wäre. Das war immerhin eine Zeit, in der es zwei große Kriege gab, in der Millionen von Menschen umkamen und die Simenon bewusst und hautnah miterlebt hatte.

Nach gegenwärtigem Stand – es ist unvorhersehbar, was einem noch widerfährt – würde ich sagen, dass ich es noch besser getroffen habe. Ich liege in einem Sessel in meinem Garten und fände sicher auch irgendwelche Gründe, zu jammern. Aber die Sonne scheint, hier schießt niemand auf niemanden, satt und gesund bin ich auch – was sollte ich mehr wollen? Sein eigenes Glück möglichst oft vor Augen halten – um zu schätzen, was man hat.

Simenon war in seinen Memoiren gerade beim Ausbruch des 2. Weltkriegs angekommen. Er schildert in dem Kapitel, dass erst einmal alles so weitergeht wie bisher. Die Deutschen waren damit beschäftigt Polen zu erobern und machten keine Anstalten, nach Frankreich einzumarschieren. Die Franzosen marschierten kurz in Deutschland ein und zogen sich dann wieder zurück. Damit hatte man seine Pflicht gegenüber Polen erfüllt. Mir erscheint dies nicht gerade eine sehr edle Vorgehensweise zu sein, aber die Alliierten haben sich auch schon in der Angelegenheit »Sudetenland« nicht sehr edel verhalten. Im Nachhinein wurde dieser Krieg »Sitzkrieg« und der »Seltsame Krieg« bezeichnet. Allen war klar, dass das nicht so bleiben würde.

Nach und nach verschwanden Männer. Sie wurden eingezogen.

In seinen Schilderungen wechselt Simenon zwischen dem Großen und dem Kleinen. Da ist einerseits die politische Lage, der Feldzug und die Massaker an der polnischen Bevölkerung, die er in seiner Chronik aufnimmt. Auf der anderen Seite gab es Herrschaften in La Rochelle, die ein Vergnügen hatten, andere Leute zu drangsalieren und Verbrecher, die Frauen vergewaltigten. Letztlich gibt es immer noch den Kleinen, der zum Entzücken seiner Eltern die ersten »Ausflüge« unternimmt – ein eklatanter Bruch im Erzählfluss, denn Simenon setzt dem Schlechten bewusst etwas Erfreuliches entgegen.

In Paris

Was ich hier vor mir habe, ist kein Roman. Von dem, was zu der Zeit an der Tagesordnung stand, mag ich im Detail keine Ahnung haben (beispielsweise die Sache mit dem »Sitzkrieg«). Aber mir ist klar, dass die Fortsetzung dramatischer werden würde, es nicht besser würde und es noch einige Jahre so weiter gehen würde. Hitler hatte irgendwann den »Bissen« im Osten verdaut und wendete sich dem Westen zu. Teil dieses West-Happens war auch Belgien, dessen Neutralität Hitler herzlich egal war. In Berlin war man noch nicht einmal der Meinung, man müsste seinem Nachbarn den Krieg erklären. Überfall, Krieg, Kapitulation, Besetzung – das war der Plan.

Für Simenon hieß es wieder Koffer packen und er brach in Richtung Belgien auf. Der Weg führte ihn über Paris und dort wurde an den Bahnhöfen Richtung Norden den belgischen Männer mitgeteilt, dass sie nicht weiterreisen sollten, sondern sich bei der Botschaft in Paris melden sollten. Simenon traf dort ein heilloses Durcheinander an. Er erinnerte sich jedoch, dass er einen Bekannten in der Botschaft hatte, der Botschaftsrat war und nutzte diese Beziehung.

Ich kann mir nicht helfen, aber einiges von dem Simenon schreibt, ist nicht direkt lustig, aber irgendwie amüsant: Er schreibt, dass sie in Nieul nicht nur seinen Wehrpass suchen mussten (ginge mir auch so), sondern dass man auch nach der alten Uniform suchte. Eine Uniform, die er fünfzehn Jahre zuvor getragen hatte. Man vergleiche die Simenon-Fotos aus den frühen Zwanzigern mit denen von Simenon in den Dreißigern und man kommt schnell drauf, dass er in der Zeit einiges an Statur gewonnen hatte. Schließlich ist da noch die ausführliche Schilderung, wie er eine Freundin in Paris besucht und dort die Gelegenheit nutzt, Beine zu streicheln (aber nicht mehr(!)), da er bald in den Krieg ziehen würde und es könnten die letzten Frauen-Beine sein, die er… Meine Frau würde an der Stelle ausrufen: »So ein Schlawiner!«

Die Flüchtlinge

Dazu sollte es nicht kommen. Die französische Regierung hatte Flüchtlingsströme zu verwalten und ordnete an, dass La Rochelle und Umgebung belgische Flüchtlingskontingente beherbergen sollte. Simenon wird von der Botschaft angewiesen, sich nach Hause zu begeben und sich vor Ort, um seine Landsleute zu kümmern.

Wie wichtig seine Arbeit war, wird durch Zahlen verdeutlicht, die Simenon selbst nennt: Die Einwohnerzahl von La Rochelle hatte sich in der Zeit vervierfacht – von fünfzigtausend Einwohnern auf zweihunderttausend. Langeweile hatte er nicht und so schreibt Simenon auch, dass er so manche Nacht im Bahnhof zubrachte. Einige Geschichten und Aspekte, die er in diesen Memoiren erzählt, wurden von ihm auch in Romanen verarbeitet – beispielsweise in die »Die Flucht der Flamen«.

Die Deutschen überrannten nicht nur Belgien, sondern im Anschluss auch Frankreich. Der Jubel über den Waffenstillstand war zumindest in La Rochelle nur von kurzer Dauer, denn nun griffen die Engländer die Hafenanlagen an, die sich in deutscher Hand befanden. Kurzentschlossen verließen die Simenons ihr angestammtes Domizil in Nieul.

Simenon schreibt, dass er das Haus dort, nie wieder zurückkehren sollte.