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Die Top 3 der unangenehmsten Gespräche, die ich führen musste: Auf Platz 3 ein Gespräch mit einem Kunden, der eine Entscheidung mir auferlegte, wohl wissend, dass es seine Entscheidung war und ich, zu allem Überfluss, nur eine Urlaubsvertretung war. Der zweite Platz gehört einer Konfrontation bei dem gleichen Kunden, bei der ich nur Zuhörer war (damit geht der Gruppensieg nach Heide). Platz 1 gehört dem Wehrkreiskommando Potsdam.
Es gab mal eine Zeit, da fand ich Armee ganz toll. Die hatten coole Technik, so sah es zumindest in den illustrierten Zeitschriften aus, und wenn man dann noch Panzer im Matchbox-Stil zum Spielen hatte, dann klang Offizier nach einer brauchbaren Option für die Berufswahl. Ich war ein sehr unentschlossener Geselle, was die Berufswahl anging, bekam aber alsbald mit, dass bei der Armee weniger gespielt wird und die Herrschaften einen gewissen Hang zur Disziplin hatten. Das konnte nicht wirklich etwas für mich sein, da ich nicht mal mein Kinderzimmer aufgeräumt bekam. Zumindest nicht nach den Maßstäben meiner Eltern. Abgesehen davon, dass ich als Ossi-Kind Westpakete durchaus schätzte (die ich mir dann hätte abschminken müssen), kam noch hinzu, dass man obligatorisch in der Schule sogenannten Wehrunterricht einschließlich Wehrverteidigungslager genießen musste und mehr brauchte es nicht, um meine Offizierslaufbahn zu den Akten zu legen.
Es fand sich jedoch ein netter Herr, der mich mit sechzehn überredete, meinen Grundwehrdienst doch ein wenig zu verlängern. Wenn man die richtigen Schalter bei mir drückt, bin ich leicht zu manipulieren – American Express hat das auch geschafft – und als ich das irgendwann zu Hause erwähnte, vermutlich in einem Nebensatz, waren meine Eltern nur kurz sprachlos und fingen dann ihrerseits an, Schalter an mir zu drücken, andere wohl, aber genauso gut funktionierende (vielleicht erinnerten sie mich an mein früheres Kinderzimmer). Ich verfasste kurz darauf ein Schreiben, in dem ich freundlich mitteilte, das ich von einer Verlängerung absehen würde, auf meine mangelnde Volljährigkeit und die nicht vorhandene Zustimmung der Erziehungsberechtigten verwies und sendete es korrekt frankiert an das Wehrkreiskommando. Diese schienen meinen Widerspruch zu akzeptieren.
Nun ergab es sich, dass ich eine Bestätigung für irgendwas von diesem Amt brauchte. Recht arglos war ich, als ich dort vorsprach. Der Empfang war wenig herzlich. Ich bekam einen persönlichen Ansprechpartner und der mich an diesem Tag betreuende Herr hatte nur eines im Sinn: Er wollte mich zur Sau machen. Ich weiß nicht, wer ihm die falsche Information gegeben hatte, dass man bei Teenagern mit Brüllen etwas bezwecken könnte – also außer Trotz. Aber er zog seine Show ab und besser hätte er mir nicht klar machen können, dass so eine Armee gar nichts für mich ist. Ich bin selbst dreißig Jahre danach noch der Meinung, dass es in meinem Leben kein Gespräch gegeben hat, dass unangenehmer gewesen war. Bevor ich zu Simenon komme, sei mir noch ein kurzes Abschweifen erlaubt: Würde ich eine Liste meiner Todfeinde à la Sheldon Cooper führen, stände der Herr nicht drauf und mein Zeichenlehrer kann sich auch dreißig Jahre danach keine Hoffnung darauf machen, je von Platz 1 verdrängt zu werden. Das wollte ich nochmal gesagt haben. (Wäre auch eine angemessene Fußnote für meinen Grabstein.)
In den Top 3?
Bisher hat Simenon in seinen »Intimen Memoiren« nicht erwähnt, dass er eine Liste von Todfeinden geführt hätte – vermutlich hat er solche Leute in seinen Romanen als unsympathische Figuren eingeführt. Unangenehme Gespräche hatte er sicher auch einige, wer sich zweimal von seinen Frauen trennt, dürfte davor nicht gefeit sein. Allerdings denke ich, dass er das Gespräch mit dem Herren, der bei einem gewissen Louis Darquier de Pellepoix angestellt war und zum Commissariat Général aux Questions Juives gehörte, zu seinen unangenehmsten gezählt haben dürfte. Dieses Kommissariat des Vichy-Regimes war damit beschäftigt, Juden zu finden, zu inhaftieren und zu deportieren. Der Mann sagte Simenon auf den Kopf zu, er wäre Jude (schließlich käme der Name Simenon von Simon, was eindeutig jüdisch ist) und gab ihm vier Wochen Zeit, das Gegenteil zu beweisen. Einwände, dass er Belgier wäre und die Belege aufgrund von Reisebeschränkungen kaum beibringen könne, interessierten den Mann von der Regierung nicht. Man kann es eine altersmilde Einschätzung nennen, wenn Simenon schreibt, dass dieser Vichy-Kommissar kaum etwas mit seinem Maigret zu tun gehabt hat.
Simenons Mutter hatte eine Menge Rennerei in und um Lüttich, um die Belege rechtzeitig zu besorgen und ihrem Sohn zukommen zu lassen. Der Mann stand in der Erwartung, einen dicken Fisch gefangen zu haben, vier Wochen vor der Türe und war ziemlich enttäuscht.
Ich habe im vorherigen Beitrag schon geschrieben, was ich für ein Glück hatte, so aufgewachsen sein, wie ich aufwuchs und so leben zu können, wie ich jetzt lebe – und so werde ich mich hüten, mein unangenehmstes Gespräch mit dem Gespräch zu vergleichen, dass Simenon führen musste. Das spielte in einer ganz anderen Liga, denn Simenon konnte sich sicher sein, dass ihm einiges an Ungemach drohte, wenn er die Papiere nicht beibringen konnte.
Genannter Chef der Abteilung, de Pellepoix, den Simenon auch namentlich erwähnt, flüchtete nach dem Krieg nach Spanien, wurde nie nach Frankreich ausgeliefert und verstarb dort 1980. Man wundert sich immer, wie viele von den Verbrechern letztlich unbehelligt blieben und fragt sich, wie viel Elend so ein kleines Licht, wie der bei Simenon erschienene und Angst verbreitende Mann, Menschen gebracht hat.
Fahrräder für Bücher
Es ist unfassbar, wie häufig Simenon umgezogen ist. In meinem Bekanntenkreis ist niemand, der nur einen Bruchteil der Umzüge absolviert hat. Auf Seite 117 meiner Ausgabe, das habe ich im letzten Beitrag nicht erwähnt, schildert Simenon einen weiteren Umzug. Er hatte gehört, dass an das Schloss Terre Neuve in Fontenay-le-Comte mieten könne. Das stellte sich dann als nur halbwahr heraus: Man konnte nicht das ganze Schloss mieten, sondern nur eine Hälfte. Das Schloss kann man heute besichtigen und auf der Webseite wird Simenon auch ausdrücklich erwähnt. Es hat sich wohl gelohnt, dort als Mieter einzuziehen und es sieht auch ganz danach aus, als würde sich ein Besuch des Schlosses lohnen.
Simenon beschreibt das damalige Leben so:
Wir lebten ungefähr zwei Jahre ein ruhiges und behagliches Leben…
Das Damoklesschwert des frühen Todes schwebte über dem Schriftsteller, das sollte man nicht vergessen – das hatte er auch nicht. Man nimmt ihm ab, dass er jede Sekunde genossen hat und sich intensiv um seinen Sohn kümmerte.
In der Nähe von Fontenay lebend, wurde er zum Teil der bürgerlichen Gesellschaft des Ortes. Spielte im Café Bridge, zog mit den Herren ein wenig herum, ohne über die Strenge zu schlagen. Simenon war eigentlich seit Jahren im Geschäft, verkaufte Bücher, verkaufte Filmrechte. Sein Kommissar Maigret dürfte manchem ein Begriff gewesen sein. Trotzdem schildert er in seinen Erinnerungen, wie überrascht er gewesen sei, als er einen Fahrrad-Fabrikanten auf den Erwerb eines Fahrrads ansprach, ihn dieser als bekannten Schriftsteller identifizierte und statt Geld lieber signierte Bücher als Entlohnung haben wollte. Einerseits ist er mit den Notabeln des Ortes unterwegs, andererseits gibt es dann diese Anwandlungen von Bescheidenheit. Was ihn aber letztlich nicht davon abhält, ein gutes Geschäft abzuschließen – es wird nicht nur ein Fahrrad für ihn, sondern die ganze Familie wird mit Fahrrädern versorgt. Und ein Motorrad. Und Frei-Haus-Lieferung.
Es liest sich so, als wäre alles sehr idyllisch, nur zerstört dieses Bild der Besuch des Vichy-Abgesandten. Diesem kündigt er an, dass ein Umzug ansteht, den er mit dem besseren Klima für Marc begründet – dieser hätte seine Probleme in der sumpfigen Umgebung von Fontenay.
Allgemeinbildung?
Diesmal ging es nach Saint-Mesmin-le-Vieux. Simenon bewohnte in dem kleinen Ort mit seiner Familie eine gemietete Villa. Die Mietdauer: Solang der Krieg dauert.
In Saint-Mesmin solltest du eine neue Welt, eine neue Landschaft entdecken, den Bocage, die Haute-Vendée, wie man sie auch nennt, mit ihren Hohlwegen, wo die Armeen der Revolution sich einst von den Chouanen hatten niedermetzeln lassen.
Das las ich und dachte: Bocage? Chouanen?
Ganz ehrlich: Das muss man nicht wissen und es gehört auch nicht zur Allgemeinbildung.
Zu »Bocage« stellt sich zuerst die Frage »die« oder »der«. In meiner Ausgabe steht »den«, es findet sich bei Google eine deutliche Mehrheit von 4900:10000 für die männliche Form. Da der Duden auch darauf besteht, werden wir diesen Landschaftstyp in seiner maskulinen Form verwenden. Ich durfte also lernen, dass damit beschrieben wird, dass Felder mit Hecken umrandet sind. Ein Landschaftstyp, der auch sehr gängig in der Bretagne und in England ist. Das mit den Hohlwegen hatte ich somit auch verstanden. Man fährt durch die engen Straßen und sieht nichts von der Landschaft, weil durch einen Bio-Tunnel fährt.
Nun stellte sich nur noch die Frage, was es mit den »Chouanen« auf sich hatte. Man kann sich da in Geschichtsbüchern einlesen oder – wie ich – Wikipedia zu Rate ziehen: Die französische Revolution brachte eine Politik mit sich, die gegen die Monarchie und die Kirchen agierte. Das in Kombination mit dem Zentralismus erzeugte insbesondere in der Haute-Vendeé und der Bretagne einigen Unmut, so dass die Gegner sich in kleinen Gruppen organisierten. Hilfreich war nicht, dass der Louis XVI. hingerichtet wurde. So wurden die Gruppen garstig und griffen immer wieder die Revolutionsarmee an. Diese Taktik, die schon die alten Germanen zu nutzten, verpasste den Herrschenden Nadelstiche, die sie nicht ignorieren konnten.
Heute würde man die Chouanen wahrscheinlich Terroristen oder Banditen schimpfen. Irgendwann kamen sie auf die Idee, sich zu organisieren, hofften und bekamen teilweise Hilfe aus England, waren dann aber zu unorganisiert und wurden geschlagen. Daraufhin enstanden wieder Splittergruppen, die für sich kämpften und sehr gut von Überfällen lebten. Es ging auf und ab, es gab Verhandlungen, es gab Kämpfe, Napoleon fing an sich zu kümmern und so zogen sich diese Kämpfe über zwei Jahrzehnte hin. Die Opferanzahl war sehr beträchtlich und man ging miteinander nicht zimperlich um. Im französischen Geschichtsunterricht mag das eine Rolle spielen, hierzulande ganz gewiss nicht.
Zurück zu Simenon: Er arbeitete nicht mehr viel und wenn, dann ging es um Landwirtschaft. Der Mann mit einer der eindrucksvollsten Bars von Paris, war nun damit beschäftigt, seine Kühe zu melken. Schon vorher schildert Simenon, dass er gut mit Tieren umgehen konnte, und der Kuh Milch zu entlocken, war ihm – der nicht von einem Bauernhof stammte – nicht ohne weiteres zuzutrauen.
Ich hatte entdeckt (!), dass eine Kuh nur während einer gewissen Anzahl von Monaten, nachdem sie gekalbt hat, Milch gibt.
Er berichtet in seinen Memoiren über die Gouvernanten von Marc, eine garstige und eine nette, und darüber, wie der Junge sich eine Blindschleiche als Freund erkor und einen alten Esel haben wollte, bekam und ihn ritt.
Nicht verschwiegen werden soll auch Victor, einen Gehilfe Simenons zu der Zeit, der ihm viel Arbeit abnahm. Er hatte ihn schon in Fontenay-le-Comte angestellt. Dort wollte ihn keiner haben, da er ein glühender Kommunist war. Simenon machte dies nichts aus und er wusste die Dienste zu schätzen. Es werden übrigens auch hin und wieder Assistentinnen von Simenon erwähnt (eine musste ihm den Bademantel nach dem Bade im Meer reichen), ich möchte hier aber nicht weiter auf sie eingehen, da sie bisher immer als Fußnoten daher kamen.
Ich glaube, ich gehöre nicht nur einem Land, einem Kontinent, unserem kleinen Erdball, sondern dem Universum.
Simenon schließt mit diesem Satz einen Gedanken ab, dass er überall, wo er lebte, dazugehörte. Er schreibt, dass er sich nie als Ausländer gefühlt hatte, egal wo er gewesen ist. Wenn man das liest, denkt mancher vielleicht: »Oh Gott, wie schrecklich.« Ich glaube, wer so leben kann, der hat viele Probleme nicht. Was ein großes Glück ist.