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Was ich wirklich faszinierend finde, wie schnell man manchmal Beziehungen zwischen dem eigenen Erlebten und Simenons Leben und Werk herstellen kann. Letztes Wochenende hatte ich das zweifelhafte Vergnügen die Auslegware unseres Wohnzimmers zu reinigen, das Wochenende davor war aber wirklich schön: Da waren wir in Berlin und erlebten das erste Deutschland-Konzert von Burt Bacharach.
Einer seiner größten Hits als Komponist war »Raindrops Keep Fallin’ on My Head«. Laut Wikipedia gibt es über 140 Cover-Versionen von dem Titel. Die Melodie dürften viele sofort im Kopf haben, zumal der Titel auch noch in jüngeren Film-Produktionen wie Spiderman 2 gern eingesetzt wurde (den Mittelalten unter uns dürften wohl alle »Forrest Gump« gesehen: Bazinga!). Ein Klassiker halt. Abgesehen davon, dass wohl die meisten Anwesenden dieses Konzert als legendär in Erinnerung behalten werden, gab es einen Aspekt, der uns wieder zurück zu Simenon führt: Burt Bacharach war schon einmal in Berlin für ein Konzert, allerdings arbeitete er damals für Marlene Dietrich und stand nicht derart im Rampenlicht, wie nun in Berlin.
Am Ende dieses Kapitels in den »Intimen Memoiren« stieg Simenon im »Claridge« in Paris ab und traf in der Lobby auf Jean Gabin, von dem Simenon berichtet, dass er sich die Haare im Stile amerikanischer Filmstars blondiert hatte, und Marlene Dietrich.
Interludium
»Hat Papa nicht was davon erzählt, dass dieser Maigret-Typ früher in der Nähe gewohnt hat?«
»Kann ich mich nicht dran erinnern.«
»Nein, nein. Du musst Dich erinnern. Dieser berühmte Schriftsteller – reich, berühmt.«
»Sagt mir nichts.«
»Doch, Papa hat gesagt, der hatte seine Manuskripte für Wohltätigkeitszwecke gespendet.«
»Hmm.«
»Erinnerst Du Dich jetzt langsam?«
»Ist das der, von dem Papa später erzählt hat, dass der mit tausend Frauen geschlafen haben will?«
»Glaub ich, ja. Der war das. Hat Papa nicht mal erzählt, dass Opa auf einer dieser Auktionen mal signiertes Manuskript ersteigerte? Nur eine Kurzgeschichte?«
»Stimmt. Die Geschichte haben sie sich immer an Weihnachten erzählt, nachdem der Cognac fast leer war.«
»Sie hatten dann immer Tränen in den Augen vor Lachen.«
»Nee, Schwesterchen, das waren keine Lachtränen.«
»Ach was - aber warum?«
»Weil Opa die Seiten des Manuskriptes zum Einwickeln von Fisch verwendet hatte. Die Zeitungen waren aufgrund eines Streiks ausgegangen.«
Übertrag
Das Vorausgegangene habe ich mir natürlich ausgedacht. Simenon berichtete im Vorgänger-Kapitel darüber, dass er kaum noch Manuskripte aus dieser Zeit haben würde, da er viele zu Wohltätigkeitsauktionen gegeben hätte. Er kommt deshalb drauf, da zu der Zeit Kuchen-Auktionen zugunsten von Kriegsgefangenen stattfanden, bei denen Marc leidenschaftlich Kuchen gewann. Sein Vater tat ihm den Gefallen und bot immer Höchstpreise.
Ebenso, ein letzter Übertrag aus dem vorangegangenen Kapitel: Simenon bekam einen Rippenfell-Entzündung. Er wird von seinen beiden Damen gepflegt und letztlich wird er ein Experimentierobjekt seines Arztes. Gern hätte dieser Simenon an einen Spezialisten überstellt, aber wie man es schon ahnt: Die Zeiten war nicht nicht danach und die Spezialisten nicht reichlich gesät. Der Doktor hatte jedoch von einem der Spezialisten eine Beschreibung bekommen, wie man eine Lumbalpunktion durchführt.
Zwei meiner Lieblingsserien sind M*A*S*H und Dr. House. Bei ersterer Serie spielen Lumbalpunktionen überhaupt keine Rolle. Gut kann mich jedoch an den Respekt der Ärzte erinnern, wenn im Princeton-Plainsboro Teaching Hospital solch ein Eingriff bevorstand. Man nimmt ein wenig aus diesen Serien mit, auch wenn sie einen nicht zum Arzt machen: Hängen geblieben ist, dass damit Rückenmarksflüssigkeit entnommen wird und so fragte mich, warum machte denn ein Arzt bei einem Patienten, der Probleme mit einer Rippenfell-Entzündung hat, eine Lumbalpunktion. Meine Vermutung ist, dass vielmehr eine Pleurapunktion gemeint war. Bei der wird mit einer ebenso unheimlich aussehenden Spritze wie bei einer Lumbalpunktion, Flüssigkeit aus dem Pleuraspalt – der sich zwischen Lungen- und Rippenfell befindet – geleitet. Aber vielleicht belehrt mich jemand eines Besseren.
So gut wie Kur
Um dem Kranken auf die Beine zu helfen, entschließt man sich, in Richtung Les Sables d’Olonne an der Atlantikküste zu wechseln und dort zu Kurlauben. Man kommt dort im Hotel »Les Roches Noires« unter, welches an der Promenade lag (bzw. liegt). Man nahm zwei Zimmer – der kleine Marc hatte sein eigenes Zimmer, in dem anderen nächtigten Boule und der Meister. Tigy war weiter in Richtung Nieul gefahren. Simenon schilderte die Wirtsleute als wohlbeleibt und sehr nett. Sie waren die einzigen Gäste in dem Hotel und entsprechend kümmerten sich die Wirtsleute um ihren Gast, der wieder hochgepäppelt werden musste.
In den befreiten Gegenden wurde aufgeräumt und geschaut, wer mit den Besatzern zusammengearbeitet hatte. Neben dem Hotel wohnte eine Frau, berichtet Simenon in dem Kapitel, welcher die Haare kurz geschoren worden wären. Nach einer Bestrafung im Rahmen eines Prozesses hörte sich das Vorgehen nicht an und Selbstjustiz gibt in der Regel dem Betroffenen auch nicht die Chance, sich zu verteidigen – insofern halte ich sie für verabscheuungswürdig. Zudem konnte die Frau sich glücklich schätzen, dass es nur ihre Haare gewesen waren, die ihr geschoren wurden – der Selbstjustiz vollstreckende Pöbel hatte wohl noch anderes im Sinn. Nun wusste Simenon nicht, was der Frau genau vorgeworfen worden war und er fragte auch nicht nach. Die Frau war Lehrerin und wurde von Simenon als Lehrerin für Marc engagiert.
Wechsel
In Sables erreichte Simenon ein Brief von Sven Nielsen. Der Simenon bis dahin unbekannte Mann kündigte Korrekturfahnen eines norwegischen Schriftstellers an und bat, dass Simenon doch ein Vorwort für dieses Buch schrieb. Er war von dem Werk ziemlich begeistert und schrieb ein sehr langes Vorwort. Nielsen wiederum erfragte, was ihn das Kosten würde und Simenon antwortete, dass Vorworte doch nicht bezahlt würden. Ein Irrtum, wie er kurz darauf erfuhr. Aber diese Episode läutete einen Wechsel ein. Bisher erschienen die Werke von Simenon bei Gallimard; aber sobald der Vertrag auslief, wollte Simenon zu dem Mann wechseln, der noch keinen Verlag hatte: Sven Nielsen und seinen späteren Verlag Presses de la Cité,
Rückfall und Rückkehr
Das Klima am Meer ist für viele Sachen gut, aber offenbar nicht für Leute, die unter einer Rippenfell-Entzündung gelitten hatten. Simenon bekam einen Rückfall und lag wieder danieder. Wieder gab es viele Untersuchungen.
Kaum genesen, gab es Änderungen im Gefüge: Simenon stellte eine Sekretärin ein, Tigy kam nach Les Sables d’Olonne und bekam im Hotel ihr eigenes Zimmer. Nach einiger Zeit ging es für Tigy, Boule und Marc zurück nach Nieul. Simenon und seine neue Sekretärin machten sich im Auto in Richtung Paris auf. Ein geplatzter Reifen ließ sie vor einem Hotel zum stehen kommen und Simenon bezog dort ein einfaches Zimmer, mit seiner Sekretärin. Das Hotel war so einfach, dass die Zimmer kein Badezimmer hatten. Nachts irrten sie dann im Hotel umher, weil sie die Toiletten nicht fanden. Die Besitzer verwiesen darauf, dass sich die Örtlichkeiten sich auf dem Hof befanden. So wenig Luxus war Simenon dann doch nicht mehr gewöhnt.
Angekommen in Paris traf Simenon die anfangs erwähnten Promis. Frühjahr 1945.