Unterschrift

Seite 327


Auf Seite 315 angekommen, hätte ich ein wenig weiterblättern und stöbern können. So wäre mir der Unfall von Denyse, bei der sie von einem Pferd fiel, nicht so unwichtig vorgekommen, und ich hätte ihn erwähnt. Nachher ist man immer klüger, heißt es – und auch in diesem Fall stimmt es. In Kapitel 31 gibt es starken Tobak.

Denyse war nicht einfach von einem Ross gefallen. Sie behauptete, eine Schlange hätte sich um das Bein ihres Pferdes gewickelt, woraufhin dieses wild geworden wäre. Da weder Marc noch Simenon selbst eine Schlange gesehen haben, taten sie das als Fantasterei ab. Auch dem Arzt, dem Denyse die Story erzählt hatte, hatte erhebliche Zweifel und Simenon schrieb, dass ihm eine solch Szenario nie zu Ohren gekommen wäre.

Sie wurde in einem Krankenhaus im etwa 25 Kilometer entfernten Nogales versorgt. Simenon ist voller Sorge, denn Denyse war ordentlich lädiert und man stellte – wenn man erst einmal in den Händen von Ärzten ist – eine Venenentzündung festgestellt. Diese Phlebitis musste behandelt werden und das konnte sich ziehen. Der Arzt beruhigt aber Simenon dahingehend, dass er nicht die Verwandtschaft informieren müsse. An der Stelle dachte ich erst »Drama, Drama!«, bevor mir klar wurde, dass er mit Denyse noch nicht verheiratet war und damit im Falle einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes überhaupt nichts entscheiden konnte.

Simenon erzählt, dass Denyse eine Unfallversicherung hatte, die in diesem Fall aufkommen würde, und berichtete davon, dass er sich in dem Hospital, dass von Ordensschwestern betrieben wurde, mit einer Oberin auseinandersetzen und sich dabei viel Papierkram ansammelte. Die Nonne scherzte, dass sich auch in diesen Kreisen die Bürokratie durchgesetzt hätte.

Mich erinnerten die Schilderungen des Krankenhausbetriebes an »Maigret macht Ferien«, aber der Roman wurde zuvor geschrieben und so konnte Simenon nicht von diesem Krankenhausbesuch inspiriert worden sein.

Die kleine Indianerin

Es gab da eine Bar, die von Denyse und Simenon hin und wieder besucht wurden. Junge Frauen boten sich dort an und Denyse motivierte ihren Freund, sich eine der Damen auszusuchen und mit ihr zu verlustieren. Simenon verschwand mit seiner Wahl und sie wartete. Es erinnert mich an einen Film mit Steve Martin – »L.A. Story« – bei der die junge Geliebte von Harris K. Telemacher namens SanDeE* in einer sogenannten offenen Beziehung lebt. Das Konzept hat deshalb keine Chance, da SanDeE* Erfolg bei Männern hat, ihr Freund jedoch nicht. Auch hier ist die Sache einseitig, denn man hört zwar davon, dass Denyse Simenon die Freiheit gibt, sich mit anderen Frauen zu verlustieren. Mir ist aber noch gut in Erinnerung, dass Simenon ein sehr eifersüchtiger Mann war, der sogar Schwierigkeiten mit Denyse Freunden aus der Vergangenheit hatte. Schon mit wenig Fantasie kann man sich ausmalen, dass dieses Ungleichgewicht, zu Problemen führen könnte.

Im Krankenbett liegend erinnerte Denyse ihren Lebensgefährten daran, dass es da diese nette Zugehfrau gab, die auch noch gut aussah. Es handelte sich um eine Indianerin und mit einer solchen hätte er es doch nie getrieben, meinte Denyse. Es sind nicht die Worte, die Simenon wählte, aber irgendwie passen sie ganz gut. Zumal Simenon Denyse korrigieren musste, schließlich war er vor längerer Zeit durch den Panama-Kanal gefahren und bei der Gelegenheit… Kurz: Er hatte in der Vergangenheit schon die Chance gehabt, und er hatte sie genutzt.

Problematisch war ein anderer Aspekt: Die Indianerin war erst dreizehn Jahre alt.

Glaubt man den Ausführungen Simenons, so war das nicht das Problem von Denyse. Das Mädel wäre gewiss geschlechtsreif (wobei sie mit zum Besten gab, dass sie selbst schon mit neun Jahren so weit gewesen wäre, was Simenon nicht glauben mochte) und die Schwester der Indianerin hätte  mit zwölf ihr erstes Kind bekommen.

Ich nahm sie widerwillig mit.

Ach was, dachte ich mir. Besser wäre es wohl gewesen, wenn er sie dagelassen hätte, wo sie war.

Wenig später schildert Simenon, dass die Aktivität von dem Mädchen ausging und sie versuchte, ihn anzutörnen. Dass er seine Erregung nicht verbergen konnte, erboste ihn. Das wäre eine gute Gelegenheit gewesen, das Mädchen nach Hause zu schicken. Er wählte jedoch einen vermeintlichen Mittelweg, in dem er sie mit der Hand befriedigte. Nach heutigen Maßstäben wäre es sexueller Missbrauch.

Oft ist von Einvernehmlichkeit die Rede. So, wie es in den Memoiren geschildert wird, ist der Sex nicht einvernehmlich – Simenon hatte sich beinahe gewehrt. Für mich hört es sich so an, als hätte Simenon einen Kompromiss gesucht: Er weiß, dass es nicht rechtens ist, aber komplett kann er es nicht sein lassen. 

Auch wenn der Sex willentlich gewesen war, und damit der Schilderung entspricht, gibt es das Problem, dass das Kind nach heutigen Erkenntnissen nicht wissentlich einstimmen konnte. Das wird damit begründet, dass Kinder nicht alle Informationen zur Verfügung haben. Damit ist gemeint, dass ein Kind nicht in der Lage ist, sich in das Gefühlsleben eines Erwachsenen hineinzuversetzen. Sie sind durchaus sexuell interessiert, ihnen fehlt aber die passende Perspektive und Erfahrung, um mit den erfahreneren Älteren körperlich zu interagieren. Der Erwachsene ist in einer solchen Konstellation immer überlegen und aus dieser Melange entsteht der Missbrauch – auch wenn das Kind selbst willig ist.

Zur Verteidigung könnte angehört werden, dass es in unterschiedlichen Kulturkreisen die verschiedensten Entwicklungsstufen gibt. Vielleicht ist die europäische Sicht im 21. Jahrhundert eine zu hart urteilende und es ist durchaus angemessen, was passierte. Allerdings konnte ich mich nicht des Eindruckes erwehren, dass Simenon selbst Skrupel hatte – irgendwie gab es eine moralische Warnleuchte, die angefangen hatte zu blinken.

Es gibt einen weiteren Aspekt, der mir in den Sinn kam: hier ein wohlhabender, wenn auch älterer Mann und dort ein indianisches Dienstmädchen. Ein Wohlstandsgefälle in der Beziehung dürfte auf jeden Fall zu verzeichnen sein, sodass sich Simenon hätte fragen können, warum das Mädchen willig war. Das ist jedoch nur eine Vermutung. 

In jeder Hinsicht ist das eine der fragwürdigsten Passagen in dem Buch, welches an problematischen Passagen nicht arm ist.

Die Rückkehr der D.

Die Fahrerei nach Nogales hatte ein Ende, als Denyse wieder auf die Ranch zurückkehrte. Der Arzt hatte die Kanadierin unter der Bedingung aus dem Krankenhaus entlassen, dass eine medizinische Betreuung sichergestellt war. Deshalb engagierte Simenon eine Krankenschwester zur Pflege, ein Wort, welches er übrigens überhaupt nicht mochte und sich sehr schwer damit tat.

In der Folge wird offenbart, dass die beiden zum Sex zurückfanden und Simenon gibt preis, dass er schon geraume Zeit nicht mehr auf Verhütung beim Sex achtete. Simenon war so weit und mit dem Ende des Kapitels 31 wendet sich Simenon von Marc und begrüßt Johnny als frisch Gezeugtem.