Unterschrift

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Ausgerechnet in dem Kapitel, in dem es mehr oder weniger um die Geburt seines Sohnes John gehen sollte, kommt Simenon ins Plaudern und beginnt ausführlicher über ein Werk, an dem er schrieb, zu berichten. Er befand sich noch in Arizona und so geht es in seinen Ausführungen um »Maigret in Arizona«, wie der Titel hierzulande heißt.

Langweilig wird einem mit diesem Kapitel nicht. Simenon schafft es, eine ganze Reihe von Informationen unterzubringen, die in ihrer Beiläufigkeit trotzdem interessant sind. Mit der baldigen Niederkunft von Denyse und der anstehenden Scheidung von Tigy darf man die dritte Frau in Simenons tagtäglichem Leben nicht aus den Augen verlieren: Boule. Diese ist sehr beunruhigt. Entweder hat sie Entscheidungen zu fällen, aber viel wahrscheinlicher ist es noch, dass Entscheidungen über ihr weiteres Leben getroffen werden, die sie entweder abnicken kann oder sie müsste die Familie komplett hinterlassen. Für jemand, der schon Vierteljahrhundert bei einer Familie als Dienstmädchen und Geliebte unterwegs ist, dürfte das eine Katastrophe sein. Simenon hatte den Zustand seiner Boule zur Kenntnis genommen und erwähnt in diesem Zusammenhang, dass er sie immer gesiezt hat. Man reibt sich schon die Augen über diesen formvollendeten Gentleman, der es schafft, fünfundzwanzig Jahren sein Dienstmädchen/Geliebte nicht zu duzen.

Er trieb die Scheidung weiter voran, hat aber einen Passus in einem Gesetz in Arizona gefunden, der ihn sehr beruhigt. Das galt auch, wenn die Eltern nicht miteinander verheiratet sind, ja selbst wenn einer der Partner noch anderweitig verheiratet ist, bleibt der Nachwuchs »legitim«.

Das Hochwasser, welches in dem letzten Kapitel schon angesprochen wurde, beschäftigt das Pärchen auch ein wenig. Der Strom ist immer noch reißend, aber der Rancher hat ein Stahlseil drüber gespannt und darüber erfolgt der Austausch von Sachen. Auch das schon erwähnte Indianer-Dienstmädchen muss auf diese Art und Weise übersetzen und das wird zum Ereignis.

Der Arzt, der die Schwangerschaft von Denyse betreut, ist ein wenig in Sorge: Es ist keine Untertreibung, wenn man sagt, dass Tumacácori ein wenig ab vom Schuss liegt. Er müsste im Notfall einen Hubschrauber schicken, und da wird Simenon klar, dass es besser ist, sich in Richtung Stadt zu bewegen und sie treffen Anstalten wieder zurück nach Tucson zu ziehen – wo sie ein Haus mieteten und auf die Niederkunft zu warteten.

Ein wenig lächeln musste ich, als Simenon in dem Kapitel davon schreibt, dass es eine Empfehlung von Hygienikern gegeben hätte, dass man seine Haare mit hundert Strichen durchs Haar zu bürsten hätte. Offenbar hielten sich nach Simenons Beobachtung die Leute daran. Spannend, wofür die Menschen so Zeit haben.

Kalifornien

Liest man die Memoiren, zumindest geht es mir so, wird man, was das Leben des Schriftstellers angeht, irgendwann sehr kritisch. Er hatte nicht immer Entscheidungen getroffen haben, die gut für die Kinder gewesen waren. Sie waren jedoch nie direkt gegen die Kinder gerichtet. Aber Kollateralschaden blieben nicht aus. Ich nehme ihm die abgöttische Liebe zu seinem Nachwuchs ab, man spürt seine Liebe zu seinen Kindern in jedem Kapitel.

Er teilte Tigy mit, dass es für ihn nicht akzeptabel wäre, von Marc getrennt zu sein. Sein Sohn solle in seiner Nähe leben. Da er für sich entschieden hatte, in die Umgebung von San Francisco zu ziehen, und er das auch Tigy mitgeteilt hatte, hieß das für sie, dass sie sich dort niederzulassen haben. 

Sie geht den ersten Schritt: Tigy evaluiert die Umgebung und lässt sich in der Nähe von Carmel-by-the-Sea nieder und sucht eine Schule für Marc aus, die mehr als respektabel war und von den Kindern vieler Prominenter besucht wurde. Es ist eine Gegend, in der es sich aushalten lässt. Viele Künstler, wenig Wirtschaft, kein Dreck. Das ist wohl heute noch genauso wie damals.

Zu der Zeit waren Denyse und er noch in Arizona und warteten auf die Ankunft des Neuankömmlings. Marc wurde zu seiner Mutter »zurückgeschickt«: Er wurde in einen Luxuszug gesetzt, in die Obhut eines Stewarts gegeben, um in sein neues Zuhause zu reisen.

Interessant wird es sein, zu lesen, wie sich diese Vorstellung von Simenon – sein Sohn in seiner Nähe – mit der Realität vereinbaren lässt. Denn die unmittelbare Folge war, das auch seine künftige Ex-Frau für einen längeren Zeitraum nicht weit von ihm zu leben hatte. 

Die amerikanische Filmindustrie war anders, notiert er in seinen Memoiren. In Frankreich bemühten sich Produzenten und Regisseure zu den Schriftstellern, um über den Stoff zu verhandeln. Ein Studioboss in L.A. würde nie auf die Idee kommen. Wollte Simenon über einen Stoff verhandeln, dann hatte er sich zu den Filmchefs zu bewegen.

Es war im Frühjahr, da wird vom Arzt die Geburt des Kindes für August 1949 angekündigt. Oben hatte ich erwähnt, dass der Mediziner die Patientin näher an der Stadt haben wollte, und deshalb die Unterkunft in Tucson besorgt wurde. An der Stelle berichtet Simenon auch, dass er Charles Laughton, der den Maigret in einer Geschichte »Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes« geben sollte, bei Verhandlungen kennenlernte. Das Kennenlernen von Laughton irritiert weniger, als vielmehr die Tatsache, dass dies erst im Jahr 1949 passiert sein soll. Bei den Vorlaufzeiten von Filmproduktionen hätte man sich viel früher mit Simenon geeinigt und einen Vertrag abgeschlossen. Im Dezember lief der Film auf den Leinwänden der amerikanischen Kinos – das nenne ich mal flott. Oder es geht irgendetwas durcheinander.

Simenon besuchte in der Zeit das erste Mal ein Autokino. Er war eindeutig fasziniert, denn diese Erfindung hatte es bisher nicht nach Europa geschafft. Ein Grund dafür mag gewesen sein, dass es nicht ganz so viele Autos gab; der andere Grund, dass man in den Jahren nach dem Krieg gewiss andere Sorgen hatte. In der deutschen Übersetzung steht, dass man den Ton erst bekommt, wenn man sich ein Mikrofon eingehängt: Ich hätte gedacht, dass die Geräte, die man zum Empfang der Töne »Lautsprecher« heißen. Witziger ist, dass Simenon beschreibt, dass die Amerikaner sich in ihren Wagen wie in einem Wohnzimmer fühlten und teilweise in Schlafanzughose in das »Drive-in Theater« fuhren.

Louis de Rouvroy

Jede Woche kam ein Gärtner, um sich um unseren Rasen und die Beete mit halbtropischen Blumen zu kümmern. Der Professor hatte mich davon unterrichtet. Dieser Gärtner verwirrte mich. Er war sehr groß, sehr dünn, und ich wusste, dass er so, mit seinem Lieferwagen voller Gartengeräte, die Gärten vieler Villen pflegte. Nun war er, sogar in seinem blauen Overall, von einer erstaunlichen Eleganz, und ein populärer Romanschriftsteller hätte sein Gesicht bestimmt als aristokratisch bezeichnet.

Simenon war in Tucson in das Haus eines Professors gezogen, der in den Ferien war. Da die Ferien aufgrund der Hitze in der Gegend ein wenig länger waren, war es kein Problem für das Paar, das Haus bis September zu mieten. Dieser Gärtner sah also aristokratisch aus. Ich frage mich, wie das aussieht: So wie Charles Philip Arthur George, Prince of Wales oder wie sein Sohn Prince Henry Charles Albert David, Duke of Sussex – schaut man sich die beiden Herren an, liegen da Welten zwischen. Nimmt man noch den ältesten Sohn von Charles dazu – Prince William Arthur Philip Louis, Duke of Cambridge – dazu, dann weiß ich schon gar nicht mehr, wie ich das Attribut »aristokratisch« einordnen soll.

Bleiben wir bei dem Wort »elegant« und da gebe ich zu, das ist mir nie in den Sinn gekommen, wenn wir mal einen Gärtner für unseren Garten engagiert hatten und diese bei uns vor der Haustür standen. Wenn der Mann das geschafft hat, ist das wahrlich bemerkenswert.

Aus irgendeinem Grund versucht Simenon den Namen seines Gärtners zu verschleiern, und meint in seinen Erinnerungen:

Der Comte de R. (er ließ sich R. nennen, ohne den Titel) war ein direkter Nachfahre des Duc de Saint-Simon, des Verfassers der außergewöhnlichen, klassisch gewordenen Mémoires.

Bevor ich die allgemeine Neugierde befriedige, was es mit dem Memoiren-Schreiber auf sich hat, kann ich nicht verhehlen, dass es sich hier um eine der schlechtesten Anonymisierungen handelt, die man sich vorstellen kann. Wenn schon von einer direkten Linie die Rede ist, dann wird der Gärtner seinen Namen von Louis de Rouvroy de Saint-Simon geerbt haben. Es ist doch sehr wahrscheinlich, dass »R.« für »Rouvroy« steht. Der Mann hatte jedoch eine jüngere Geschichte, die für einen Kitsch-Roman geschaffen war: Reich geboren und aufgewachsen in einem feudalen Schloss mit allem, was dazu gehört, hatte er geheiratet. Es war keine gute Beziehung und die Eheverträge waren noch schlechter. 

Irgendwann verliebte sich R. erneut und mit der neuen Liebe begann sein gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Abstieg, der damit endete, dass in Tucson in Villen die Gärten in Schuss hielt. Simenon führt das ein wenig genauer aus, allerdings finde ich solche Geschichten immer nur mäßig interessant.

Aber wenn wir an der Stelle schon bei dem Thema »Ehevertrag« angekommen sind, dann habe ich eine gute Überleitung, wenn es auch eine Abschweifung ist: Tigy war zwar noch die offizielle Ehefrau, aber Denyse machte sich schon Gedanken über das Kommende. Sie hatte erklärt, dass sie eine Gütertrennung wolle und legte dar, dass sie einen erfolgreichen Mann heiraten würde, dieser Erfolg aber nicht ihr Verdienst sei. Würde es nicht klappen, hätte sie keinen Anspruch auf den literarischen Erfolg von Simenon. Dieser kann sich mit dem Gedanken anfreunden, zumal die Regelung mit Tigy bestimmt anders aussehen würde.

Zurück zu dem bekannten französischen Memoiren-Schreiber. Dieser trat im Alter von sechzehn Jahren in den Dienst des königlichen Hofes und startete eine Militärkarriere. Diese war nicht nur theoretisch, sondern dank der Pfälzischen Erbfolgekriege konnte der junge Mann gleich praktisch einarbeiten. Der Krieg läuft auch unter dem Namen Neunjähriger Krieg und Louis XIV. – der den Krieg angezettelt hatte – schaffte es, große Teile Europas gegen sich aufzubringen. Eigentlich wollte er nur mal kurz in die Pfalz einfallen und sich mit damit holen, was er meinte, ihm gehören würde und dann wäre Schluss. Das klappte nicht und da Frankreich nach kurzer Zeit schon immense Kosten zu tragen hatte und der Krieg nicht nur auf europäisches Gebiet begrenzt war, drohte daraus ein Fiasko zu werden.

Der junge Mann quittierte den Militärdienst 1701 ein, man war in Europa offenbar nicht hundertprozentig kriegsmüde, weshalb zu dem Zeitpunkt der Spanische Erbfolgekrieg begann. Er war am Hof, aber er lebte auch in Opposition zum König. Das hatte zum einen religiöse Gründe (was bekanntermaßen nicht ungefährlich war, in dieser Zeit), zum anderen hatte er auch Vorbehalte gegen die Menschen, die Einfluss auf den König hatte. Insbesondere mit Madame de Maintenon, eine Mätresse des Königs, mochte er nicht und hielt sie für zu einflussreich. Gegen sie sprach in seinen Augen, dass sie nur aus einem niedrigen Adel stammte. Prinzipiell war er der Meinung, dass sein Vorgesetzter auch den Bürgerlichen zu viel Einfluss gewährte. Insofern kann man eine gewisse Ironie darin sehen, dass ein direkter Nachfahr bei Bürgerlichen in den Gärten herumputzte.

Wenn es etwas gab, was ihm nicht gefiel – dann rannte er zum König und beschwerte sich. Er notierte sich die Herabsetzungen im Zeremoniell und schrieb es später nieder. Was ihm das nicht brachte, war Beliebtheit. Ob der König ihn mochte? Sicher nicht, nachdem er einen Brief von dem Duc de Saint-Simon bekommen hatte, in dem dieser ihn für das ganze Übel verantwortlich machte.

Erfolgreicher wurde der Mann erst, nach dem Louis XIV. 1715 verstarb. Er gewann an politischen Einfluss und wurde Mitglied des Kronrates. Man kann nicht sagen, dass er besonders lange Einfluss auf die politischen Geschicke hatte. Keine acht Jahre später wurde er aufs Abstellgleis geschoben, da war er noch keine fünfzig Jahre alt. 

Er schlug eine schriftstellerische Karriere ein und fünfzehn Jahre später begann er damit, seine Memoiren zu schreiben. Im Mittelpunkt stand seine Höflingskarriere. Diese sind über zehn Jahre entstanden und wurde 1750 von ihm fertiggestellt. Veröffentlich wurde seine Memoiren aber erst fünfundsiebzig Jahre nach seinem Tod.

Sein Werk hatte eine ganze Reihe von Fans, unter anderem Marcel Proust. Simenon geht nicht weiter auf die Memoiren des Duc ein, auch nicht darauf, ob er die Memoiren gelesen hätte. Für ihn zählte der Gärtner und seine interessante Geschichte mehr. Die beiden Paare der verkehrten miteinander und Simenon lobt die leckeren Kuchen, die Madame de R. mitbrachte.

Werke und Briefe

In Tumacácori verfasste Simenon einen weiteren Roman. Die dritte Geschichte, die in Stud Barn entstand, war »Mein Freund Maigret« – einer der Maigrets, die man als Klassiker betrachten kann. In seinen Erinnerungen wird nur ein kleiner Rückblick auf die Zeit auf Porquerolles geworfen, auf das Buch und seine Entstehung geht er nicht ein. 

Anders sieht es mit »Maigret in Arizona« aus: Simenon schreibt, dass das Buch fast eine Reportage war, in die er Maigret hineinversetzt hatte. Er hatte einem Prozess in Tucson verfolgt, der über drei oder vier Tage ging. Verhandelt wurde der Tod einer jungen Frau, die von einem Zug überrollt worden war. Involviert waren vier Soldaten, die mit der Toten zuvor zusammen waren. Waren sie an dem Tod schuldig, schließlich hatten sie kurz vor noch mit ihr geschlafen. 

Simenon beschreibt eine sehr unaufgeregte Stimmung:

Richter und Anwälte sprachen friedlich miteinander, wie unter alten Freunden, was vielleicht auch der Fall war. Ein Experte von der Eisenbahngesellschaft zeichnete Pläne auf seine schwarze Tafel, die auf einem Gestell stand.
Der Coroner, mit rotem Gesicht, auch er hemdsärmelig, berichtete von seiner Untersuchung.
Im Saal plauderten die Leute, schlossen vielleicht Wetten über die Schuldfrage ab. Von Zeit zu Zeit schlug der Richter mit seinem Hammer auf das Pult.

Fast hätte ich erwartet, dass seine alten Wurzeln als Journalist wieder hervorkommen und er verrät, wie es im »echten Fall« ausgegangen war. Aber dazu notiert Simenon, dass ihn das nichts angegangen ist und so erfahren wir an der Stelle nicht, wie Jury und Richter entschieden haben.

In dem Zeitraum entstand ein weiterer Roman: »Les quatre jours du pauvre homme« (»Die letzten Tage eines armen Mannes«) – mit der Geschichte habe ich mich sehr, sehr schwer getan und benötigte mehrere Anläufe, bis ich den Roman ausgelesen hatte. Mir ist völlig unklar, wie Simenon in einer Zeit freudiger Erwartung und voller Glück, eine Geschichte schreiben konnte, die mir schwer im Magen lag.

Zu Marc konnte er in der Zeit nicht. Die beiden schrieben sich Briefe. Da sein Sohn eine französische Schule nie von innen gesehen hatte, konnte er nur Englisch schreiben. Simenon schreibt, dass seine Sprachkenntnisse schon viel besser geworden waren. Er las zu der Zeit jeden Tag drei Zeitungen und dazu kamen noch Wochenmagazine. Sein Sohn war großer Fan der Dodgers und so studierte Simenon die Sportberichte, um darüber mit Marc zu fachsimpeln. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich würde meinen, dass es die erste ernsthafte Erwähnung von Sport in dem ganzen Buch ist. 

André Gide schrieb ihm auch und kündigte ihm einen Besuch an, der letztlich nicht stattfand, da der Arzt dem über 80-jährigen die Reise verbot. Simenon hatte ihm von Denyse vorgeschwärmt, aber Gide war der Meinung, dass Beziehungen im Schöpfungsprozess störend sein könnten und das Schaffen von Simenon leiden könnte. Er wusste wahrscheinlich nicht über die Eskapaden seines Briefpartners Bescheid, der sich in diesem Kapitel darüber auslässt, dass er normalerweise dreimal am Tag geschlechtlich verkehrte.

Angekommen

Am 29. September 1949 wurde Jean-Denis-Chrétien Simenon geboren – genannt John. Der Vater durfte bei der Geburt nicht dabei sein, er durfte seinen Sohn die ersten Tage auch nicht sehen. Sobald die Blumenläden geöffnet hatten, besorgte er so viele Rosen, dass die Schwester im Krankenhaus anmerkte, dass das ein Zimmer für Wöchnerinnen wäre und kein Garten.