Unterschrift

Seite 375


Simenon fieberte, in Carmel wohnend, der Scheidung entgegen. Seinen Ausführungen konnte man entnehmen, dass es mit der Trennung so lang brauchte, da Tigy und Georges in jungen Jahren nicht an einen Ehevertrag gedacht hatten und deshalb mühsam alles ausgehandelt werden musste. Das Geschäft hatten sie in die Hände von Rechtsanwälten gelegt.

Simenon hatte konkrete Vorstellungen, wie es das nächste Mal laufen sollte: mit Ehevertrag. Tigy hatte sich einen sehr guten kalifornischen Scheidungsanwalt besorgt, der auch die ganzen bösen Paragrafen kannte. So wies er darauf hin, dass Tigy die Scheidung beschleunigen könne, indem sie Simenon ins Gefängnis schicken würde. Entsprechende Ansatzpunkte würde sein Verhalten hergeben – vermutlich irgendwelche obskuren Regelungen, wie es sie auf Staatsebene immer noch gibt. Tigy erzählte ihrem Noch-Ehemann davon, beruhigte ihn aber, in dem sie zu verstehen gab, dass sie ihrem Rechtsanwalt mit auf den Weg gegeben habe, dass dies für sie keine Option sei.

Ob »Abkühlung« das richtige Wort ist, vermag ich nicht einzuschätzen. Die Tatsache, dass Johnny nun da war, hatte aber etwas an der Beziehung zu Tigy geändert. Wahrscheinlich realisierte sie, dass es ihrem Mann mit der Scheidung wirklich ernst war. Das Kind hatte Tatsachen geschaffen, die die Trennung beschleunigten.

Simenon spricht in diesem Zusammenhang Boule an. Diese hatte in den ersten Monaten auch mit Marc gefremdelt. Nun war Johnny da, Sohn einer weiteren Frau, und dies verkomplizierte ihre Beziehung zu Simenon nochmals. Sie betrachtete den kleinen Jungen und meinte »Er ist hübsch.«, was eine sehr wenig enthusiastische und im besten Fall höfliche Bemerkung zu einem Kind ist, welches einem nahestehenden Menschen geschenkt wurde.

Bei der Scheidung reichte es in Nevada, wenn ein Partner anwesend. Das scheint eine praktische Regelung gewesen zu sein, wobei die Praktikabilität eingeschränkt wurde durch die Tatsache, dass einer der beiden Partner auch sechs Wochen in dem Bundesstaat leben musste. Tigy erklärte sich bereit und an der Stelle kommt einem nicht zum ersten Mal der Gedanke, was für einen Schatz Simenon dort gehen ließ.

Er nahm die Schuld auf sich und um keinen Partner mit der Begründung zu brüskieren, gab man als Grund »dreijährige Weigerung, die ehelichen Pflichten zu erfüllen.« an, welches jedem einleuchtet, der von der neuen Beziehung Simenons wusste. In dem Zusammenhang schreibt Simenon noch einmal zu verstehen, dass ihm die Formalitäten seit seinem zwanzigsten Lebensjahr zuwider waren. Sie würde dazu dienen, das Leben schwieriger zu machen. 

Im Laufe meines Lebens konnte ich erleben, wie viele Träume meiner Jugend, von denen ich nicht geglaubt hätte, dass sie sich eines Tages erfüllen, Wirklichkeit wurden.
Eine größere Freiheit der Sitten und als Folge davon eine größere Freiheit des Individuums. Ich wage nicht zu sagen seine höchste Entfaltung, denn davon sind wir noch weit entfernt. Die sexuelle Freiheit wird nur noch von einigen Fanatikern verdammt, über die sich die Jungen lustig machen.

Mir scheint die Ansicht, dass man Anfang der Achtzigerjahre »die sexuelle Freiheit« erreicht hatte, aus der heutigen Perspektive sehr optimistisch. Ich würde sagen, dass wir noch sehr fern von dem Ziel sind. Die Diskussionen, die heute darum geführt werden, sollten genügen, um das Thema realistischer einzuschätzen. Auf dem Weg sind wir nicht mehr Anfang, wir sind unterwegs.

Was die Ehe angeht: Eine Partnerin, die über die Jahre die Kinder groß gezogen hat und deshalb in ihrer Karriere zurücksteckte, dürfte sehr ambivalente Gefühle einer Trennung entgegenbringen, wenn er sie nach Jahrzehnten wegen einer Jüngeren verlässt. Und dann auch noch mit Gütertrennung oder gar keine Ehe. Welche Vorzeichen gesetzt werden ist egal – Mann/Frau, Frau/Mann, Frau/Frau, Mann/Mann … was auch immer  – gerecht klingt mir das nicht. 

Einerseits kann ich für Simenons Perspektive, der viel Geld für Rechtsanwälte ausgegeben hat, ein wenig Verständnis für seine Verbitterung und Verärgerung aufbringen. Andererseits scheiterte die Ehe nicht an der Untreue von Tigy.

Beobachtungen

Unwillkürlich vergleicht der Mensch. Simenon schaute, wie Tigy war und wie sich Denyse gab. Und natürlich auch Boule. Er beobachtete, wie sich die Kinder entwickelten und was sie für ein Wesen hatten. Er spricht in dem Kapitel direkt Johnny an und erzählt ihm, dass sein Bruder – noch überglücklich, dass er jetzt der große Bruder sein konnte – ein Kind gewesen war, welches immer gelächelt hatte. Es lachte jeden an, sogar »die Sonnenstrahlen«. Der jüngste Spross war dagegen ein Beobachter. Er fixierte schon als Baby jeden mit seinem Blick und starrte ihn zugrunde. Johnny interessierte die große Welt und Simenon war es so, als würde er sich seine Gedanken machen.

Marc war nicht nur als Baby ein Sonnenschein. Er schätzte es, jederzeit im Haus seines Vaters sein zu können und den kleinen Bruder sehen zu dürfen. Wann immer es möglich war, kam er von Tigy und Boule herüber, und wenn das Essen nach seinem Geschmack war, ließ er seinen Vater im Mutterhaus anrufen und mitteilen, dass er auswärtig speisen wolle.

Der Appetit von Johnny war sehr prächtig. Der Kinderarzt hatte eine Empfehlung, die den durch die französische Küche geprägten Simenon gewiss erst einmal verwunderte – aber er nahm die Entwicklung als eine wunderbare Sache an: Kinderbrei, den man im Supermarkt kaufen konnte. Der Arzt, der mit dem Tipp um die Ecke kam, beruhigte die Eltern: Die Lebensmittel würden strengstens überwacht. Simenon kann sich für die Menüvielfalt erwärmen und ist begeistert, dass sein Jüngster nun Kalbsleber mit Gemüse schnabulieren konnte. Diese Begeisterung färbte auf den älteren der Söhne ab, denn auch Marc begeisterte sich für die Brei-Speisen aus dem Glas.

Preise, Literatur und Vollmachten

Irgendwann, irgendwo hatte Simenon in den Dreißigern angekündigt, dass er innerhalb der nächsten zehn Jahren den Nobelpreis für Literatur gewinnen würde. Damit hatte es weder in den zehn Jahren noch später geklappt. Simenon berichtet in dem Kapitel von zwei Preisen, die er in Amerika gewann. 

Er hatte erfahren, dass seine Erzählung »Sieben Kreuzchen in einem Notizbuch« waren mit dem Edgar-Allan-Poe-Preis ausgezeichnet worden. Die Auszeichnung war mit 2.000 Dollar dotiert. 

Zwei Jahre später gab es einen Preis der Vereinigung amerikanischer Kriminalschriftsteller – die Auszeichnung bestand aus einem alten Revolver – und er wurde für den besten Kriminalroman des Jahres vergeben. Simenon verrät nicht, welcher das gewesen war. Auf der Webseite der Organisation »Mystery Writers of America« wird Simenon zweimal als Gewinner eines Edgars verzeichnet: Einmal 1959 für eine Verfilmung eines Maigrets (»Inspector Maigret«, wobei es sich um »Maigret tend un piège« [»Maigret stellt eine Falle«]) handeln dürfte) sowie einmal als »The Grand Master« im Jahr 1966. Es gibt auch eine American Crime Writers League – aber ich halte diese nicht für die Preisgeber.

In die Zeit fällt die Produktion von drei Maigrets – »Maigret und die alte Dame«, »Madame Maigrets Freundin« sowie »Weihnachten bei den Maigrets«. Letztgenannter wurde der letzte Roman, den Simenon in Kalifornien schrieb, und er entstand im Mai, als man »in einer geschützten Bucht, hundert Meter von uns entfernt, im Meer baden konnte«.

An Non-Maigrets entstanden in der Zeit »Die grünen Fensterläden«, dessen Verfilmung übrigens nächstes Jahr erscheinen soll und in dem die Hauptrolle Gérard Depardieu spielt, sowie »Das Begräbnis des Monsieur Bouvet«.

Noch in Tucson hatte sich Simenon für einen neuen amerikanischen Verleger entschieden. Ein wenig später erzählt Simenon, dass Denyse in eine Domäne eindrang, die ihm immer sehr lag und die er allein verwaltete:

»Es ging mir höchstens gegen den Strich, sie immer mehr in meinen Bereich eindringen zu sehen, das heißt in die Verwaltung meiner Arbeit. Was meine Verleger und Produzenten in Europa betraf, legte sie keinen zu großen Wert darauf, aber wenn es um die Rechte in England oder Amerika ging, handelte sie zu oft so, wie es ihr gefiel.«

Er ließ es zu und gab zwei Erklärungen dazu ab: Zum einen war er noch verliebt und wollte nur sein Glück. Zum anderen:

»Ich wollte glücklich sein. Ich wollte, dass alle um mich herum glücklich waren.«

Ein frommer Wunsch, der selten in Erfüllung geht.

Bing

Image Lightbox

Seelöwen in San Simeon – aufgenommen im Mai 2011

Credits: maigret.de

Abschließend bleibt noch zu erwähnen, dass in diesem Kapitel die Seelöwen eine Rolle spielen, die sich in der Gegend niedergelassen hatte. Simenon beobachtete mit seinen Kindern gern das Gewimmel und Gehabe der Tiere. Ich kann nicht verhehlen, dass ich bei einem Besuch in der Gegend ebenfalls Zeit dort zugebracht habe, gestaunt und gelacht habe.

Nicht vergessen werden sollte auch, dass auch in diesem Kapitel die obligatorische Erwähnung von Bing Crosby und seiner Kinder nicht vergessen wurde. Schon wieder. Da bleibt mir nur ein Zitat über, welches Simenon als letzten Satz in diesem Kapitel verwendete: »Uff!«