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Im sechsunddreißigsten Kapitel seiner Memoiren erzählt Simenon, wie die Scheidungsmodalitäten von Tigy finalisiert wurden. Auf den Ehevertrag, der mit Denyse abgeschlossen werden sollte, geht Simenon nicht weiter ein. Wieder einmal stand einer Haushaltsauflösung vor der Tür und Simenon hatte sich von einigem zu trennen. Sie sollte es weitergehen?
Die schönste Jahreszeit in der Gegend um Carmel war der Mai. Anderswo wäre dieser Monat mit einem Wechsel des Wetters verbunden. Dort jedoch war es anders: Man konnte es am ehesten an der Natur festmachen, wie Seelöwen sich verhielten, wie die Fischschwärme sich änderten. Die alten Damen wurden sehr aktiv im Garten und der Schriftsteller hatte großen Respekt vor diesen, denn die konnten jede einzelne Pflanze in ihrem Garten benennen. Dieses Talent hatte er nicht, und nach seiner Beobachtung, war er von zahllosen Experten umgeben, denn diese Damen stellten die Mehrheit an der Bevölkerung in Carmel.
Sie überlegen, wo sie sich niederlassen, wenn die Scheidung herum wäre. Vielleicht Monterey, was nicht sehr weit von Carmel war, oder auch San Francisco. Simenon liebte diese Stadt, aber als sie sich ein Haus anschauten, fühlte er sich an seine Kindheit in Outremeuse erinnert, und da konnte die Stadt so schön sein wie sie wollte, er wollte nicht mehr dorthin ziehen. Interessanterweise führt das Simenon nicht weiter aus, denn er schwelgte wenig später in Erinnerungen an seinen Großvater und die Familie in Lüttich. Seine Herkunft, das kann man bei der Betrachtung des Werkes ohne Zögern feststellen, wurde von ihm nicht verdrängt. Es war so etwas wie sein Kapital. In seinen Memoiren und anderswo habe ich nie einen Hinweis gefunden, dass er mit einer Rückkehr nach Lüttich geliebäugelt hätte. Aber jedoch keine Erklärung, warum er dies nicht einmal in Erwägung gezogen hatte.
Die Familie wollte weiterziehen und nicht in Carmel bleiben. Die Regelungen, die Simenon in seinen Scheidungsvertrag mit Tigy hatte schreiben lassen, sollten die Verhältnisse zwischen ihnen grundlegend ändern.
Denyse war dagegen
Nun waren Tigy und er Gegner. Weder seine Noch-Ehefrau noch er sahen das so. Da nun zwei Rechtsanwälte mit im Boot waren, ergab sich das. Schließlich hatten die beiden Juristen diese ihrer Mandaten zu wahren und die Interessen der beiden waren höchst unterschiedlich. Tigy, die auf die fünfzig zuging, war ihre materielle Absicherung wichtig, denn sie hatte nie ein eigenes Einkommen gehabt. (Woraus sich schließen lässt, dass die Malerei, denen sie sich die ersten Jahre widmete, finanziell nicht sehr erfolgreich gewesen war.) Simenon ging es darum, den Kontakt zu seinem Sohn halten zu können – denn hier war er nach dem Gesetz in einer benachteiligten Position.
Simenon war auch über dreißig Jahre später der Meinung, dass sie viel von ihm verlangt hätte. Genau genommen, so sah er es, alles, was er besaß. Dazu gehörte unter anderem das Haus in Nieul, seine Aktien, Gemälde von seinen Freunden und sie verlangte einen Unterhalt, der sich fast auf dem Niveau eines amerikanischen Botschafters befand.
Das war ganz gewiss in Großteil seines Besitzes, allerdings darf man an der Stelle relativierend einwerfen – Simenon hatte sein Werk, von dem sich gut leben ließ, und mit dem er sein Kapital mehrte. Aus gutem Grund ließ er sich auch nicht darüber hinaus, was er auf der hohen Kante hatte. Die Sorge, dass er plötzlich am Hungertuch nagen würde, bestand nicht. Simenon war ihr nicht böse, weil er sich an die harten Zeiten erinnerte, die sie gemeinsam überstanden hatten, in der sie nur eine Mahlzeit am Tag hatten. Genauso wenig hatte er vergessen, dass es der Verkauf eines Gemäldes war, der ihnen den ersten Aufenthalt auf Porquerolles finanzierte.
Denyse schäumte vor Wut, wenn sie von den Forderungen und Vereinbarungen hörte. Sie fand es unverschämt von Tigy und war der Auffassung, dass jede Frau für ihren eigenen Unterhalt zu sorgen hatte. Simenons Rechtsanwalt pflegte einzuwerfen, dass Tigy schon fast fünfzig wäre, aber Denyse ließ sich von ihrer Meinung nicht abbringen. Ihren künftigen Ehemann mochte sie damit nicht überzeugen, er sah es anders.
Der Grund dürfte gewesen sein, dass sich Simenon nicht als Verlierer fühlte: Ihm war eine Klausel wichtig, in der es um das Sorgerecht für Marc ging. Darin wurde vereinbart, dass Tigy nur in einem Umkreis von sechs Meilen vom Wohnsitz Simenons wohnen durfte. Dabei wurde nicht festgelegt, wo dieser Wohnsitz war – was hieß, dass die Ex-Frau in den nächsten Jahren immer gezwungen sein würde, umzuziehen, wenn es ihr ehemaliger Gatte auch tat. Da konnte sie schon einmal gespannt sein, wohin es ihn ziehen würde. Würde die Vereinbarung von ihr nicht eingehalten oder könnte nicht eingehalten werden, dann hätte sich das Sorgerecht umgekehrt und sie hätte nur Anspruch auf gewisse Zeiten und Ferien gehabt.
Da sich alle Sachen auch positiv auslegen lassen: Tigy und Georges verstanden sich so gut, dass der Aufenthalt des anderen in einem Umkreis von sechs Meilen kein Problem für sie darstellte. Da gibt es viele Paare, für die das nicht genug Abstand gewesen wäre.
In Erinnerung war Simenon auch ein kurzer Schlagabtausch von Denyse mit dem Rechtsanwalt, der sagte:
»Madame Simenon ...«
Weiter kam er damit nicht, denn Denyse wandte ein:
»Madame Simenon werde ich sein!«
Womit sie natürlich recht hatte, denn das war der Plan. In diesem Moment gab es aber nur eine Madame Tigy Simenon. Woraufhin sie der Rechtsanwalt auch hinwies, in dem er sagte, dass sie im Augenblick der Scheidung noch die Geliebte wäre – danach könne sich das ändern.
Die letzten Tage
In diesem Kapitel gibt Simenon auch preis, wie er an die Namen seiner Figuren gekommen ist. In seiner Biografie hört es sich danach an, als ob dieses Vorgehen Amerika-spezifisch war, aber das muss nicht unbedingt der Fall gewesen sein:
Um die Namen meiner Romanfiguren zu wählen, kaufte ich mir später die Telefonbücher der meisten Gegenden, insgesamt etwa sechzig, die ich in Ruhe durchblätterte. Fast keine französischen Namen, aber in jeder Stadt, vor allem im Osten, ein Überangebot an italienischen und irischen Namen. In Chicago waren es deutsche, russische, polnische Namen, und im Middle West holländische und deutsche Namen, die den Ausländeranteil beherrschten, während im Deep South die schottischen mit den spanischen Namen wetteiferten.
Simenon ist in diesem Abschnitt bei einem anderen Thema, denn er überlegte, wie er die gewonnene Freiheit nutzen konnte. Wo sollte der nächste Wohnort sein? Es konnte Kalifornien sein, es gefiel ihm dort ausnehmend gut. Er springt dann, wie man an dem Zitat sieht, zu den Telefonbüchern und Neuengland, kommt davon aber wieder ab und schwelgt kurz in den Erinnerungen an die Reise durch die Südstaaten. Dort fand er es auch sehr schön.
Zu diesem Zeitpunkt war er noch nicht in der Lage, eine Wahl zu treffen. Er war damit beschäftigt, den Haushalt in Carmel aufzulösen. Viel persönlichen Besitz hatte er nicht – hauptsächlich waren es Bücher, seine Bücher, und natürlich ein paar Schallplatten. Da er nicht wusste, wohin es nach Reno gehen sollte, verkaufte er auch sein Auto. Sie hätten, so seine Überlegung, mit dem Wagen durch die Wüste fahren müssen und das wäre mit einem Kleinkind nicht lustig. Würden sie sich entscheiden, in Richtung Osten zu gehen, müssten sie hohe Pässe befahren – auch da hatte Simenon seine Bedenken. Da Tigy die nächsten Jahre an ihn gebunden sein würde, brauchte sie das kalifornische Auto nicht mehr. Weshalb es Simenon für sie verkaufte.
Wäre noch die dritte Frau: Boule wusste nicht, wohin mit sich. Wo würde ihr Platz sein? Mit Johnny hatte sie sich angefreundet, so wie sie es mit allen Kindern konnte. Tigy würde sie akzeptieren, aber es war nicht vergessen, dass sie sie zwei Jahre in Europa zurückgelassen hatte. Da war die Frage berechtigt, wie es mit Denyse werden würde, der künftigen zweiten Ehefrau ihres Geliebten. Denn das war Simenon immer noch. Der Trost, den sie empfing, bestand auch aus Sex. Eine Änderung seiner Gewohnheiten in dieser Beziehung stand für Simenon offenbar nicht zur Debatte.
In den letzten Wochen lernte Simenon über seinen Sohn Marc noch einen interessanten Mann kennen, den er – ohne einen Namen zu nennen – beschreibt. Der Mann arbeitete beim Militär und war nicht dort beheimatet. In der Gegend gab es eine Schule, in der Militärangehörigen Sprachen beigebracht wurden. Der Vater von Marcs Freund lernte dort Türkisch, um in dem Land als Militärattaché zu dienen. Das war zumindest die Geschichte, die er Simenon erzählte – denn dieser fügte an, dass sich herausstellte, dass man in dieser Institution nicht nur zukünftiges diplomatisches Personal ausbildete, sondern auch Spione.
Reno
Der Unterschied zwischen einer Scheidung und einer Hochzeit besteht auch darin, dass man bei letzterer persönlich anwesend sein musste. Für die Scheidungsverhandlung gab es diese Notwendigkeit nicht, weshalb Simenon darauf verzichtete. In Reno ging es für Simenon vielmehr um die Hochzeit. An die hatte er keine prägenden Erinnerungen. In seinen Memoiren schreibt er nur, dass man dies schwerlich eine Zeremonie nennen konnte. Sein Rechtsanwalt hatte ihm empfohlen, dem Standesbeamten (trotzdem) ein Trinkgeld zu geben.
Was passierte noch? Es gab einen Stromausfall, der sehr ärgerlich war, da Simenon und seine neue Frau in einem Hotelzimmer wohnten, welches in der 42. Etage lag. Und er hatte ein wenig Glück an einem Glücksspielautomaten.
Konnte das schon ein Omen sein? Heißt es nicht: Glück im Spiel, Pech in der Liebe? Und/oder umgekehrt?