Unterschrift

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Mit dem ersten Kind kommt die große Aufregung. Nicht alles geht glatt. Simenon berichtet, dass Tigy nicht genug Milch hatte und nach ein paar Tagen »ausgetrocknet« war. Es fand sich eine Lösung und der Sohn sollte nicht darunter leiden. Der junge Vater war fürchterlich besorgt um sein Kind und geht sogar die aus Lüttich angereiste Großmutter an, sie solle ja vorsichtig mit dem Jungen sein. Gemeint ist dabei seine Schwiegermutter.

Das Handling von Kindern in jeder Größe dürfte seiner Schwiegermutter durchaus vertraut gewesen sein, viel besser vertraut, als Simenon. Es brauchte einige Zeit, bis das Verhältnis wieder gerichtet war, denn die Frau hatte einige Kinder zur Welt gebracht. Simenon erklärte sich Mutter Renchon und sie verzieh ihm.

Die andere Großmutter ließ sich wohl auch blicken. Es bleibt im Ungefähren, denn Simenon hat keine Erinnerung und kann keine Anekdoten erzählen. Vorstellbar ist es – eine konkrete Erinnerung hat er aber nicht. So ganz zufrieden ist Mutter Simenon mit der Ehe immer noch nicht und wird es wohl auch nie werden.

Dann wäre da noch Boule. Zwanzig Jahre lebte sie nun schon mit den Simenons und irgendwie hatte sich der frischgebackene Vater wohl mehr Enthusiasmus von Boule gewünscht. Mehr als das Zugeständnis, dass es sich um ein hübschen Jungen handeln würde, ist ihr anfangs nicht abzuringen. Simenon vermutet in dem Abschnitt, der immer noch direkt an Marc adressiert ist, dass Boule durch ihre Kindheit gestählt ist. Ein Kind mehr oder weniger, spielt keine Rolle. Kam der Vater von Boule auf Landurlaub, so war es ganz normal, dass nach neun Monaten die Familie Zuwachs hatte. Die Distanz, die Boule anfangs pflegt, legte sich aber schnell und Marc wird schnell zu ihrem »ihrem Frosch«.

Das Schloss

In Frankreich wurde alles für die Heimkehr der Familie vorbereitet. Simenon blieb aber noch:

Ich ließ mich also im Schloss von Tervueren nieder, ganz alleine, buchstäblich ganz alleine, denn ich merkte schnell, dass es keinen anderen Gast als mich gab.

Mich hat interessiert, wo dieses Schloss liegt. Die Gemeinde grenzt an Brüssel und sehr weit hatte es Simenon nicht. Er fuhr regelmäßig seine Tigy und seinen Sohn besuchen.

Das mit dem Schloss ist so eine Sache, die ich bisher nicht verstehe. Nicht, dass es kein schlossähnliches Gebäude dort gäbe – es gibt ein sehr großes. Aber dieses beherbergt das Königliche Zentralafrika-Museum und welches 1899 gegründet wurde und 1910 eingeweiht wurde. Nirgendwo wird ein Hotelbetrieb im Zusammenhang mit diesem Gebäude erwähnt und bei näherer Betrachtung sieht es zwar schlossähnlich aus, scheint aber keines gewesen zu sein. Dann gibt es noch ein Koloniënpaleis, aber da mochte sich auch nicht so richtig ein Treffer einstellen.

Zu klein kann das geschilderte Gebäude nicht sein, denn ich hatte den Eindruck, dass Simenon auch hochbetagt noch sehr beeindruckt von dieser Unterkunft war. Das er einiges gesehen hat, von einfach bis zu luxuriös dürfte sich verstehen. Der Frühstücksraum war riesig und Simenon drängte sich in das äußerste Eck, damit es nicht ganz so einsam ist. Des Weiteren erzählt er, dass es ihnen nach Rollmöpsen gelüstete und dazu Bier. Ich glaube, damit könnte klar werden, woher Maigret den Hang zu frühen Alkoholkonsum hatte – wie der Herr so’s Gescherr. In dem hochvornehmen Haus konnten sie mit dem Bier dienen, schwieriger war es mit den Rollmöpsen und Simenon musste sich mit Heringsfilets »zufrieden« geben.

So besorgte er sich ein großes Glas Rollmöpse, brachte sie mit zum Frühstück und bekam diese dann auch serviert. Dazu sein Bier.

Zurück in der Vendée

​Simenon geht in diesem Abschnitt des Kapitels darauf ein, dass er Marc taufen ließ. Er begründet es (nochmals) damit, dass er seinen Kindern den Stress ersparen möchte, die komplette Prozedur absolvieren zu müssen, bevor sie eventuell einen katholischen Partner ehelichen. Als Erwachsene wäre es ungleich schwieriger als als Kleinkind. Er fand das ganze Prozedere nicht so toll, zumal weder Tigy noch er gläubig waren. Nicht genug kann er betonen, dass es an seiner Mutter lag, die einer alleinigen standesamtlichen Trauung nicht zugestimmt hätte.

Wenn schon, denn schon - das ist wohl das Motto von Simenon: So musste es eine schöne Taufe werden und das ganze Dorf war mit dabei gewesen.

Im Krieg

Deutschland griff Polen an, Frankreich und England erklärten daraufhin Deutschland den Krieg. Simenon war nicht klar, wie sich Belgien entscheiden würde. Für ihn war Belgien neutral, aber er erinnerte sich, dass dies 1914 auch nicht half und Deutschland Belgien überrannte. Ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, dass sich Hitler noch acht Monate Zeit ließ, bevor er im Rahmen einer West-Offensive Belgien eroberte. Die Neutralität Belgiens war ihm dabei egal.

Simenon war mit seiner Sekretärin in einem Café in La Rochelle, also er aus einem dort laufendem Radio erfuhr, dass die Regierung Frankreichs gemeinsam mit England den Kriegseintritt verkündet hat. Simenon schilderte nur die Reaktion eines Fischers, der meinte, dass sie nun für Danzig krepieren sollten und dies mit einem »Merde!« beschloss.

Es war noch Champagner von der Taufe übrig und den köpfte Simenon nach seiner Rückkehr. Nicht wie bei einer Feier, wie Simenon betont, sondern um sich Mut zu machen.

Manchmal braucht es einen Augenblick, bis sich gewisse Situationen in meinem Kopf zurechtrücken. Denn Simenon schreibt, dass man eine zweite Flasche öffnete und Boule und den anderen die Nachricht auf diese Art und Weise beibrachte: Also, dachte ich mir, gib den Leuten ein Champagner-Glas in die Hand und dann kommt ein: »Ach übrigens, wie haben jetzt Krieg mit Deutschland.«

Dann wurde mir klar: Woher sollten die anderen es denn wissen? Radio-Geräte standen nicht in jedem Zimmer, die Zeitung hätten die Nachricht erst am nächsten Tag gebracht – wenn überhaupt eine Zeitung im Haus gehalten wurde. (Und Simenon betonte vorher, dass das bei ihnen nicht der Fall gewesen wäre.) In Großstädten gab es noch Extra-Ausgaben, bis in das letzte Dorf der Vendée wurden diese aber ganz gewiss nicht ausgetragen.

Es war also eine sehr charmante, schonende Art, eine sehr schlimme Nachricht zu überbringen.