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Simenon ist überall
Irgendwann hatte auch meine Frau erkannt, dass die Planung des Frankreich-Urlaubs kein Zufall gewesen sein kann und es mir gelungen war, Orte mit Bezügen zum Werk oder zum Leben von Simenon zu integrieren. Das spiegelte sich auch in den letzten Beiträgen wieder. Der Besuch in Doulevant-le-Chateaux sollte jedoch nur der Erholung dienen. Aber wie der Titel schon sagt ...
Das kleine Örtchen in der südlichen Champagne hatte ich nur deshalb herangezogen, weil das Hotel, in das ich eigentlich wollte, ausgebucht war und wir eine Station auf unserer Rückreise benötigten. Ich will gar nicht thematisieren, wie abenteuerlich unsere Ankunft uns vorkam: Wir fanden unsere Unterkunft nicht und waren der Meinung, dass wir einem raffinierten wie auch kostspieligen Betrug aufgesessen waren. Dieses Problem löste sich – Gott sei Dank – in Wohlgefallen auf.
Indirekter Nichtbezug
Ich wurde schon ein wenig hellhörig, als unser Gastgeber bei seiner Restaurantempfehlung erwähnte, dass dieses in dem Ort liegen würde, in dem Charles de Gaulle gestorben war und sich auch sein Grab befindet. Colombey-les-Deux-Églises befand sich nur fünfzehn Minuten von unserem Gasthaus entfernt und es ratterte. Manche sagen, dass Simenon sich von der Figur de Gaulles hatte inspirieren lassen, als er »Der Präsident« geschrieben hatte.
Die Unterschiede jedoch gerade unter Berücksichtigung der Funktion und des Alters, sind dann zu groß. Die Augustin genannte Hauptfigur in dem Roman hatte nicht die Funktion eines Staatspräsidenten inne und zum Zeitpunkt der Entstehung des Romans war de Gaulle nicht so abgekoppelt von der Politik, wie es Augustin war.
Letztlich waren wir zwar in dem Ort und auch in der Nähe des Monumentes, aber richtig Zeit konnten wir uns nicht nehmen – was sich als Glücksfall herausstellen sollte.
Das kleine Städtchen
Colombey war ein Kaff, was ein wenig Wichtigkeit durch die Anziehungskraft seines berühmten Bewohners erzielt. Die zweite Empfehlung unseres Herbergsvaters war der Besuch des Lac d’Orient, ein künstlich angelegter See mit einem netten Restaurant, begleitet von der Empfehlung, unbedingt das Carpaccio zu probieren. Außerdem mögen wir die in der Nähe gelegene Stadt Troyes besichtigen. Beide Anregungen waren von erster Güte. Fairerweise muss erwähnt werden, dass unser Gastgeber hätte erwähnen können, dass das Ziel das Carpaccio wäre und der See halt auch ganz nett wäre.
Wir haben uns in Troyes gleich wohl gefühlt. Nähert man sich der Innenstadt, hat man das Gefühl, dass die Seine-Stadt »liebevoll« eingerichtet worden wäre. Es gibt einen Kanal, die sind verziert mit Springbrunnen und Kunstwerken, die man gern betrachten will. Der Kern der Stadt ist gespickt mit Kirchen von einfacher bis ziemlich mächtiger Größe. Die Häuser sind überwiegend Fachwerkhäuser, denen der Neunzig-Grad-Winkel derart fremd ist und die sich gegenseitig zu stützen scheinen.
Troyes, ich hatte vorher nachgeschaut, fand offenbar keine direkte Erwähnung in einem der Simenon-Romane. In meinen Unterlagen habe ich keine Indizien gefunden – für die Maigrets kann ich es ausschließen, bei den Non-Maigrets bin ich mir sehr sicher.
Aber vielleicht besteht eine kleine Chance, dass Simenon die Stadt gemeint haben könnte, wenn er sie in dem Roman schon nicht direkt erwähnte.
Was Bébé ausplauderte
In der Geschichte die Vergiftung von François Donge geht es darum, warum Bébé Donge versucht hatte, ihren Mann zu vergiften. In Kapitel drei beleuchtet Simenon das Kennenlernen der beiden und den Austausch darüber, wo sie herkommen würden. Zwischen den beiden entspannt sich folgender Dialog:
»Wohnen Sie in Paris?«
»Nein, in der Provinz.«
»Ah! Wir haben bis jetzt in Konstantinopel gelebt. Weil mein Vater gestorben ist, gehen wir nicht mehr zurück. Mama besitzt ein Anwesen im Aube.«
»Wo?«
»In Maufrand. Eine gottverlassene Ecke. Ein alter Familienbesitz. Eine Art Landhaus, das restauriert werden muß.«
»Das liegt fünfzehn Kilometer von uns weg«, konstatierte er befriedigt.
Die Anspielungen in dem Roman, was holländischen Käse angehen, lassen die Leser:innen schon ahnen, dass die Geschichte eher im Norden von Frankreich gelegt worden ist. Wie so häufig, wenn es um die Provinz geht, hat sich Simenon die Mühe gemacht, Ortschaften zu erfinden, die so klingen, als könnten sie real sein, es jedoch nicht sind. Eine Recherche nach Maufrand bringt einen Suchenden nicht sehr weit.
Anders sieht es mit dem »im Aube« weiter, denn die Aube gibt uns einen genauen Rückschluss auf die Gegend. Es handelt sich um einen Fluss mit einer Länge von fast 250 Kilometer, der in die Seine entwässert. Er trägt seinen Teil zu möglichen Hochwassern in Paris bei, weshalb sein Wasserstand just über den künstlichen See in der Nähe von Troyes geregelt wird, an dem ich mein Carpaccio genießen durfte.
Das Department, durch das der Fluss fließt, trägt dessen Namen und der Hauptort ist Troyes. Die Gegend ist nicht sehr bevölkert und Troyes die mit Abstand größte Stadt. Es ist also sehr gut möglich, dass, wenn von Maufrand die Rede ist, Troyes gemeint ist. Und wenn nicht, dann können es die geneigten Leser:innen zu ihrem Maufrand machen.
Als ich das entdeckte, war ich amüsiert: Schließlich hatte ich bewusst eine Gegend gewählt, von der ich meinte, dass sie bei Simenon keine Rolle spielte, und dann stellt sich im Nachklapp heraus, dass dem gar nicht so gewesen ist. Wo man geht und steht in Frankreich: Simenon ist überall.