Bildnachweis: Um den Kopf eines Mannes - Filmtitel
Um den Kopf eines Mannes
Den Hinweis, der beim offiziellen Georges-Simenon-Account bei Twitter zu finden war, kann man als pures Gold bezeichnen. Bei arte sollte der Film »La Tête d’un homme« ausgestrahlt werden. Flugs erkundigte ich mich, ob der Beitrag synchronisiert gesendet würde (nein, wurde er nicht) und ob man ihn in der Mediathek finden könnte (was der Fall war).
Mit alten Streifen ist das so eine Sache. Sie sind »schrecklich« altmodisch und vertragen sich nicht mit dem Stil, mit dem man heute Filme dreht. Vieles wirkt aus unserer Sicht betulich und läuft Gefahr, schnell zu langweilen. Das trifft insbesondere Liebes- und Kriminalfilme. Insofern war ich einer gewissen Skepsis verfallen und hegte keine großen Erwartungen. Hinzu kam noch, dass ich Filme nicht gern mit Untertiteln sehe – ich habe dabei die Befürchtung, dass ich mehr mit dem Lesen beschäftigt bin als mit den darstellerischen Leistungen und Ereignissen auf der Leinwand. In meinem Fall gab es keine große Leinwand, sondern nur den Bildschirm des Rechners.
Die Technik
Im Vorspann war zu lesen, dass es sich um eine restaurierte Fassung handeln würde und diese stände in 4K zur Verfügung. Wow, was für ein Aufwand! Aber was hat das nun für eine Auswirkung auf den Film? Das Bild war wirklich sehr angenehm. Hin und und wieder hatte ich den Eindruck, dass es ein wenig weich wäre, als hätte jemand einen der gleichnamigen Filter über das Zelluloid gelegt. Das ist aber ein Missempfinden aus der Information der Verbesserung und dem Ignorieren der Tatsache, dass es um die Schärfe damals noch nicht so toll bestellt gewesen war, wie das heute der Fall ist.
Während an dem Bild kaum etwas kritisieren war, sieht es mit dem Ton ein wenig anders aus: Stellenweise hatte man den Eindruck, es wäre kein Ton präsent – wobei man komischerweise Hintergrund-Geräusche von der Straße wahrnahm. Auch hörte er sich zeitweise so blechern an, wie man es von alten Filmen gewöhnt ist. Das fiel auf, da diese Passagen mit anderen wechselten, die einen anderen Eindruck vermittelten.
Hin und wieder gab es ungewöhnliche Schnitte, an denen man sah, dass etwas fehlte oder Kompromisse gemacht werden müssen.
Für den deutschsprachigen Zuschauer, der auf die Untertitel angewiesen war, kommt als Schwierigkeit hinzu, dass in einigen Szenen gesungen und gleichzeitig gesprochen wurde. Beides wurde übersetzt und man hatte leichte Probleme, das auseinander zuhalten: Was war jetzt noch Lied-Übersetzung und was gehörte zum Dialog.
Der Gesang und die Stille
Es dürfte die musikalischste Maigret-Verfilmung gewesen sein, die mir bisher untergekommen war. Es gab immer wieder Musik zu hören: Entweder von Straßen-Sängerinnen, Begleitmusik in den Bars oder verträumt, traurige Songs, die zum Besten gegeben wurden. Wie zuvor erwähnt, hätte man die Übersetzung in den Untertiteln durchaus weglassen können, die Stimmung dürfte jeder Zuschauer erfassen. Gerade an den Stellen, in denen es drauf ankam, mag der Text poetisch gewesen sein – aber auf den genauen Sinn kam es nicht an.
Der Kontrapunkt war die Stille. Zwar hatte ich den Eindruck, dass an einigen Stellen diese Ruhe technisch bedingt war. An anderen Szenen hatte der Regisseur Julien Duvivier die Lautlosigkeit absichtlich eingesetzt. Es gab keine dramatische, gruselige Musik, wenn es zu solchen Momenten kam – es war leise. Erzeugte den gleichen Effekt der Spannung, bevor man zum Beispiel den Schatten einer riesigen Hand sah.
Ungelenk
Alexandre Rignaults Filmografie ist beeindruckend. Fast fünfundfünfzig Jahre war der 1901 in Paris geborene Schauspieler auf der Leinwand präsent. Es sah nicht unbedingt danach aus, als würde er diese Karriere einschlagen. Ursprünglich war er Angestellter in einem Gaswerk, bevor er sich als Laienschauspieler betätigte und sich dann einer Theatergruppe anschloss. Wenn ich es recht sehe, war der Maigret-Film seine zweite Kinoproduktion überhaupt.
Hätte man den Film strickt nach dem Buch gedreht, so wäre es Rignault gewesen, der den ersten Auftritt gehabt hätte. Der Schauspieler gab den Riesen Joseph Heurtin. Die Figur wirkte wie im Buch ein wenig neben sich stehend, beschränkt trifft es auch – gleichzeitig stur. Während er einen ungelenken Eindruck beim Gehen und Stehen machte, war er artistisch genug veranlagt, um seinen Verfolgern von der Polizei irgendwann zu entkommen.
Heurtin wird nicht, wie im Buch, zum Tode verurteilt und wartet auf seine Hinrichtung, während er von Maigret aus dem Gefängnis »befreit« wird. Man fasst ihn ganz »normal« und bringt ihn zu einer denkwürdigen Tatortbegehung. Man kauft ihm ab, dass er das, was er dort vorfindet, so nicht erwartet hatte. Seine Zuversicht schwand und Rignault spielt den Verdutzten und Verängstigten wirklich sehr gut.
Aber es geht Heurtin im Film genauso wie dem Heurtin im Buch – er verschwindet im Hintergrund. Nicht so der Schauspieler – Rignault verstarb nach einem arbeitsreichen Schauspielerleben hochbetagt im Jahr 1985. Im gleichen Jahr wurde ein letzter Film veröffentlicht, in dem er eine Rolle spielte.
G & G
Zu schön, weil es auch noch nett aussieht. Gina Manès und Gaston Jacquet sind in diesem Film die Auslöser für das Verbrechen.
Sie lernt der Zuschauer als erstes kennen. Gaston Jacquet spielt den Lebemann Willy Ferrière, der von allen gemocht wurde, dem die Frauenherzen zufliegen, der allerdings kein Geld mehr hatte. Er ließ bei dem Wirt anschreiben und machte sich gleich daran, noch mehr nicht existente Moneten zu verlieren. Für seine Probleme gab es eine Lösung: der Tod seiner reichen Tante. Diese Lösungsmöglichkeit hatte er anscheinend nicht nur im Stillen durchgespielt, er musste sie auch laut geäußert haben. Ihm wird ein Zettel in der Bar zugesteckt, in der ihm angeboten wird, den Mord zu erledigen.
Er müsse nur einen Plan und einen Schlüssel an eine Postadresse senden – dann würde alles seinen Lauf nehmen. Geld würde es kosten, das soll nicht verschwiegen werden. Dass er eine geheimnisvolle Notiz »empfangen« hatte, bekam seine Freundin Edna mit, gespielt von Gina Manès. Sie klaubt den Zettel aus der Manteltasche von Ferrière und war so auf dem Laufenden.
Sie bestärkt ihren Freund darin, dieses Vorhaben umsetzen zu lassen. Die Rolle der Frau an der Seite war als die einer starken Frau ausgelegt. Sie bestärkt ihn und sie stellt sich vor seine Gegner. Die Motivation dafür wird nicht nur Liebe gewesen sein.
Gaston Jacquet begann seine Karriere in der Stummfilmzeit und spielte regelmäßig bis Ende der 1930er-Jahre. Mit Beginn der 1940er-Jahre hört seine Aufstieg abrupt auf und er wurde nochmals für einen Film im Jahr 1957 engagiert, wiederum ein Streifen von Julien Duvivier. Zu dem Zeitpunkt ist er schon 74 Jahre alt. Warum er seine Karriere im Alter von 58 Jahren zu beenden schien, darüber habe ich keine Information – vielleicht konnte er sich einfach zur Ruhe setzen. Ein wenig anders sah es bei Gina Manès an. In den zehn Jahren vor dem Maigret-Dreh war sie ein Leinwandstar in Frankreich. 1931 war ihr Stern jedoch am Erkalten, obwohl sie auch in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts ihr Auskommen gehabt hatte. In den 40ern wurden die Rollen rarer, obwohl sie nochmals eine Rolle in einem Maigret-Film – »Les caves du ›Majestic‹« mit Albert Préjean – spielte, da allerdings eine Nebenrolle als Servicekraft. Sie ging Ende der 40er-Jahre zurück in ihre Heimat nach Marokko und eröffnete dort eine Schauspielschule. Sie dürfte die einzige Schauspielerin gewesen sein, die in einem Maigret-Film mitspielte und bei einer Zirkusnummer von Tigern verletzt wurde. Im Alter von fast achtzig Jahren hängte sie die Schauspielerei an den Nagel und starb erfreulich hochbetagt mit 96 Jahren.
Der Auftragnehmer
Im Vorspann wurde er noch als Inkijinoff angekündigt, aber der wahre Name des Schauspielers lautete Valéry Inkijinoff, in Irkutsk geboren. Er hatte schon in der Sowjetunion einiges an Renommee erlangt und war in Kiew Leiter einer Schauspielschule, bevor er ein den Westen ging. Dort wurde er oft als Bösewicht eingesetzt, als osteuropäischer Schurke versteht sich. So wie er in dieser Maigret-Verfilmung den Radek gab.
Ich will nichts sagen, aber ich bin mir nicht sicher, ob Maigret die Hauptrolle in dieser Verfilmung darstellt. Es ist Radek, der im Rampenlicht steht und Inkijinoff, der alle an die Wand spielt. Er hat zügig sowohl Heurtin wie auch mit seine Auftraggeber Willy Ferrière und Edna Reichberg in der Hand und verwickelt sie in ein teuflisches, durchkalkuliertes Spiel. In diesem Film muss nicht geraten werden, wer der Täter ist, wir erfahren es sehr, sehr schnell. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Frage, ob Radek damit durchkommt. Während man sich heute bei Verfilmungen nicht sicher sein kann, ob nicht ein Bösewicht gewinnt und ungestraft bleibt, bin ich mir bei den alten Filmen nicht ganz sicher: Gehörte es nicht zur Moral der Geschichte, dass der Halunke am Ende drauf geht?
So rational er seine Planung angeht, hatte ich zum Ende hin den Eindruck, dass er den Verstand verliert. Mir ist nur nicht klar, warum. Entsprach das den damaligen Gewohnheiten (in also gehörte zur Moral der Geschichte) oder kann man es auf seine Krankheit zurückführen? Die Frage bleibt unbeantwortet.
Ich war mehr als angetan von seiner Darstellung und sehr beeindruckt.
Was bleibt für Maigret?
Der Maigret-Darsteller Harry Baur war ebenfalls ein Leinwand-Star der damaligen Zeit. Schon im Jahr 1913 hatte der damals 33-jährige Baur sein erstes Engagement beim Film, er kam also auch aus der Stummfilm-Zeit und hatte diese gut überstanden. Nachdem die Deutsche einmarschiert waren, hatte er eine Rolle in der Produktion »Symphonie eines Lebens«, aber so froh sollte er nicht sein. Er spielte gut, auch Goebbels war der Meinung, aber es kamen Vorwürfen auf, er wäre Jude. Das ein Jude in einem Film hat mitspielen können, das schmeckte den Nationalsozialisten nicht und so wurden sowohl er wie auch seine Frau verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Schwer erkrankt wurde er nach ein paar Monaten aus dem Gefängnis entlassen. Er starb ein Jahr später, von den Folgen der Haft hatte er sich nicht mehr erholen können.
Auf mich wirkte dieser Maigret wie ein Onkel, aber wie ein kluger, zurückhaltend agierender Onkel. So konnte Radek den Eindruck gewinnen, der Kommissar könne mit ihm nicht mithalten und er müsse ihn nicht ernst nehmen.
Ein wenig gebeugt, wenn er mit seinem Polizeichef sprach, auch nicht aufbrausend, als ihm der Fall entzogen werden sollte. Eigensinnig, dass er den Fall trotzdem weiter verfolgt und dazu steht, seine Entscheidungen getroffen zu haben. Er wusste, dass er mit seinem Vorgehen seine Stelle riskiert. Es ging darum, ein Menschenleben zu schützen.
Ich muss gestehen, dass Harry Baur und seine Darstellung des Maigret, dem Kommissar, wie ich ihn mir vorstelle, sehr nahekommt. Wenn es nur um Äußerlichkeiten gehen würde: Ein paar mehr Haare hätte ich ihm gegönnt, vielleicht den Haarschopf von Jean Gabin. Aber die Art, wie er den Maigret gibt, die gefiel mir sehr gut.
Wie erwähnt, bin ich mir nicht sicher, ob es wirklich Maigret ist, der die große Hauptrolle hat. Wenn ja, dann hat er sich sie mit dem Verbrecher geteilt. Das dürfte für einen Maigret-Film einmalig sein.
Drumherum
Eine der schönsten Einstellungen war gleich zu Anfang zu sehen: Ein junger Inspektor bittet Maigret darum, an den Ermittlungen teilhaben zu dürfen. Lucas durfte im Büro bleiben. Daraus stürmt der junge Mann ins Inspektorenzimmer: Wer sich das als Großraumbüro vorstellt, der liegt komplett falsch. Eigentlich sah es aus wie eine Kneipe. Auf den langen Tischen standen Getränkeflaschen, alles war verraucht und alle redeten durcheinander. Wenn man es genau nimmt, ein Albtraum für jeden Experten für Arbeitsschutz und wohl auch für jeden Chef.
Die Inspektoren erledigen anfangs die Ermittlungsarbeit und Maigret tritt nicht in dem Maße in Erscheinung, wie das in späteren Verfilmungen der Fall ist.
Wer die Gelegenheit hat, sollte sich den Film anschauen. Es lohnt auf jeden Fall. Zu den filmischen Aspekten kommt ein anderer hinzu: Keinem der Filme danach kann es gelingen, authentischer zu sein als ein Streifen aus dieser Zeit.