Bildnachweis: Schmetterling auf einer Schlehdorn-Blüte - (c) jggrz/Pixabay (Lizenz)
Un petit verre de prunelle
Über bestimmte Sachen gehe ich einfach locker und flockig hinweg, denke mir nicht viel dabei. An anderen Sachen bleibe ich hängen und frage mich: Warum nur? Und plötzlich lese und sammle ich Information über Angelegenheiten, die ich vorher nie für interessant empfunden habe, die mich auch nie beschäftigt haben. Mein Interesse an der Flora ist beispielsweise wirklich klein.
Es sei denn, die Flora wird gekeltert oder destilliert. Dann sieht es ein wenig anders aus.
Lernschritt Nummer 1
Bisher war ich immer davon ausgegangen, dass man das Wort »Zwetschge« in Süddeutschland verwendet und »Pflaume« im Norden. Irgendwer hat mir wohl mal gesagt, dass eine Zwetschge das Gleiche sei, wie ein Pflaume. Nun bin ich ein wenig klüger: Eine Zwetschge ist eine Pflaumen-Unterart. Aber es gibt neben Zwetschgen auch Kriechen-Pflaumen und Mirabellen und noch ein paar mehr. Es ist also nicht ganz so unkompliziert, wie man sich das vorstellt mit diesen Pflaumen.
Ich habe dabei auch mitbekommen, dass Biologen recht garstig sein können, wenn sie sich mit der Systematik von Pflanzen auseinandersetzen. So werden die Unterarten in Frage gestellt, weil ein klärender Schlüssel fehlen würde.
Also vielleicht ist eine Zwetschge doch nur eine Pflaume. Die Pflaumen-Grundlagenforschung wird das gewiss noch klären.
Lernschritt Nummer 2
Die Pflaume gehört zu den Rosengewächsen. Ich will nichts sagen, aber mir wäre das nie in den Sinn gekommen. Es wird schon seine Gründe haben.
Lernschritt Nummer 3
In »Weihnachten bei den Maigrets« heißt es:
Sa femme venait de lui servir un verre de prunelle d'Alsace dont sa sœur lui envoyait de temps en temps une bouteille [...]
Daraus wird in der deutschen Übersetzung (Kampa):
Madame Maigret hatte ihm gerade einen Pflaumenschnaps eingeschenkt, von dem ihre Schwester hin und wieder eine Flasche aus dem Elsass schickte.
Das ist soweit klar, denn Maigret trinkt ja immer Pflaumenschnaps. Was mich jetzt geritten hat, bei »Maigret als möblierter Herr« (in einer Diogenes-Ausgabe) nachzuschlagen, weiß ich nicht. Vermutlich weil ich irgendwie auf den Widerspruch Pflaume/Zwetschge gestoßen war, denn dort heißt es:
Er hatte die Fenster weit geöffnet, sich ein Gläschen Zwetschgenwasser eingegossen.
Ich glaube mich hat interessiert, ob ich im Französischen eine Unterscheidung zwischen Pflaume und Zwetschge auszumachen kann. Das wäre zu erwarten, wo doch die Pflaume als »la prune« und – wie ich jetzt weiß – die Zwetschge als »la quetsche« bezeichnet wird. (Die Schweizer tanzen ein wenig aus der Reihen, da sie von der Zwetschge zum einen das Geschlecht ändern und das Ganze dann mal »le pruneau« nennen.) Statt dessen kommt das hier:
Il avait ouvert les fenêtres toutes grandes, s'était servi un petit verre de prunelle [...]
Aber was hat das jetzt mit dem »prunelle« auf sich? Die Übersetzung dieses Wortes bezieht sich auf eine ganz andere Frucht, nämlich auf den Schlehdorn. Dann trinkt Maigret weder Zwetschgenwasser aus dem Elsass noch Pflaumenschnaps (natürlich auch aus dem Elsass)? Sondern Schlehenschnaps?
Lernschritt Nummer 4
Vielleicht sind Schlehen ja auch Pflaumen, dachte ich mir so. Und siehe da, Schlehen und Pflaumen gehören zur Gattung »Prunus«, wo die Pflaume schon drinsteckt. Aber wenn man soweit geht, hat man alsbald ein Problem, denn Kirschen gehören auch zur Gattung der Prunus. Keiner würde behaupten, eine Kirsche wäre ein Pflaume und alles ist egal. Insofern: Schlehen sind keine Pflaumen.
In der Wikipedia gibt es, was die Etymologie angeht, einen Hinweis, wie es zu einer solchen Verwechslung kommen könnte – also abgesehen von dem einfachen Schluss der nahen Verwandtschaft von »prune« zu »prunelle«. Dort wird erwähnt, dass der Name Schlehe auf die Farbe der Frucht zurückzuführen wäre, der im Mittelhochdeutschen »slēhe« bedeutet; im Althochdeutschen »sleha«. Jetzt kommt der Sprung: Das russische »Слива« (Sliwa) oder das serbokroatische »šljiva« bedeuten Zwetschge. Also eine andere Frucht, aber ein Sliwowitz ist halt ein Pflaumenschnaps, sorry!, Zwetschgenschnaps.
Leichter zu glauben ist aber die Herleitung von »prune«.