Zuhälter oder Banker
Maigret hatte den Kerl, der den abgelegenen Gasthof in den Sümpfen der Vendée betrieb, wiedererkannt. Vor seiner bürgerlichen Leben in der tiefsten Provinz hatte er die Gegend um den Place des Ternes unsicher gemacht und war Tätigkeiten nachgegangen, die unweigerlich dafür sorgten, dass sich die Gesetzeshüter für ihn interessierten.
Bei dem Mann handelte es sich um Frédéric Michaux, auch »Fred der Boxer« genannt – wobei der Name lustig ist, da ich es unmittelbar zuvor mit »Fred dem Clown« zu tun hatte. Überraschend fand ich die Beschreibung seiner früheren beruflichen Interessen, die auf eine gewisse Bandbreite seiner kriminellen Aktivitäten hindeutet:
Zuhälterei im Ternes-Viertel, Schlägereien, verbotene Wettspiele, Geldautomaten...
Hin und wieder schalte ich nicht ganz so schnell. Was, dachte ich mir, ist denn an Geldautomaten jetzt schlecht? Ich meine, wenn man Geld benötigt, ist es doch gut, wenn man sich welches an einem Automaten ziehen kann. In der Zeit, bevor der bargeldlose Zahlen sich auch hierzulande durchgesetzt hat, gehörte der Besuch an einem Geldautomaten zu einem häufigeren Bankgeschäft.
Die Geschwindigkeit, mit der ich schaltete, dürfte an einen alten Zuse Z2 geglichen haben. Es brauchte ein wenig, bis ich die endgültige Erleuchtung hatte: Die Erzählung entstand 1939 – gab es da Geldautomaten? Das Ergebnis überraschte mich, lässt sich diese Frage mit »Ja« beantworten. Die Wahrscheinlichkeit, dass Simenon von so einem Wundergerät gewusst hat, ist sehr klein und wir können davon ausgehen, dass der Belgier davon keine Ahnung hatte Die heutige Citibank nahm in dem Jahr einen Geldautomaten in Betrieb, der von George Luther Simjian konstruiert worden war. Das Gerät fand keinen großen Anklang bei den Kunden, weshalb die Kiste nach einem halben Jahr außer Betrieb genommen wurde. Ende der 60er-Jahre begann dann die ernsthafte Entwicklung von solchen Geräten, die dann nach und nach Einzug in den Alltag hielten.
Die Frage nach den Geldautomaten stellt sich nicht, denn ein Blick ins Original enthüllt, dass Simenon ganz anderes im Sinn hatte.
Vagabondage spécial dans le quartier des Ternes, coups et blessures, paris clandestins, machines à sous...
Den letzten Begriff kenne ich gut, da musste ich nicht nachschlagen. An einem verregneten Frühlingstag in der Normandie probierten meine bessere Hälfte und ich unser Glück in einem Kasino. Roulette und Kartenspiele interessierten mich nicht. Faszinierender waren die einarmigen Banditen, wie ich sie aus amerikanischen Filmen kannte – »Machines à sous«. Es war ein erfolgreicher Nachmittag, ich hatte Anfänger-Glück. Es ist ein schönes Gefühl, wenn das Personal eines Kasinos Geld nachschießen muss, weil der Automat bei der Auszahlung des Gewinns leer war.
Auf die Idee, diese Geräte »Geldautomaten« zu nennen, käme mir nicht. Denn üblicherweise steckt man dort Geld hinein und nur mit Glück, viel Glück genau genommen, sind diese Apparaturen bereit, etwas herzugeben. Die Erwartungshaltung bei den Geräten, die wir üblicherweise als »Geldautomaten« bezeichnen, ist, dass sie – Solvenz vorausgesetzt – zuverlässig Geld hergeben. Insofern ist diese Übersetzung von »machines à sous« weniger gelungen.
Aus dem Kontext wird klar, dass nicht ein normaler ATM gemeint ist. Wenn jemand wie Fred der Boxer ein Faible für Zuhälterei hat (hier verwendete Simenon übrigens den schönen und nicht sehr geläufigen Begriff »vagabondage spécial«), kombiniert mit Schlägereien und unerlaubtem Glücksspiel, dann liegen Glücksspielautomaten viel näher als seriöse Geldausgabeautomaten. Das ist schon logisch. Andererseits ist Klarheit auch eine gute Sache bei Übersetzungen und ein Service an den Leser:innen.
Kleine Anmerkung: Der Text bezieht sich auf die Übersetzung in den »Meisterzählungen«. In dem Band mit den Maigret-Erzählungen, der 2009 ebenfalls bei Diogenes mit dieser Erzählung erschien, werden die Glücksspielautomaten komplett unterschlagen.