Alkohol & Autor
Viele Autoren glauben, dass sie ohne Alkohol nicht schreiben können. Die Kombination hat fatale Nebenwirkungen, nicht nur auf die Gesundheit sondern auch auf das soziale Umfeld. Lange Jahre glaubte auch Georges Simenon, dass ihm der Alkohol beim Schreiben hilft, und machte dabei als Trinker eine erstaunliche Entdeckung. Ein Buch berichtet darüber.
Simenon wurde, was Alkohol anging, vom Elternhaus geprägt. Seine Mutter hatte große Angst, da sie mit angesehen hatte, wie mehrere Geschwister von ihr, dem Alkohol verfallen ware. Dieser Alkoholismus wurde von Simenon in seinem späteren Werk auch nicht verschwiegen. Anschaulich werden Szenen dieses Lebens in »Stammbaum« verarbeitet. Der Onkel, der in der Gosse landete, die Tante, die verrückte wurde. Abschreckende Beispiele hatte Simenon genug, Alkohol war im Hause verpönt.
Es wird zwar gesagt, dass Simenon erst in seinen Pariser Jahren begann, zu trinken. Dagegen sprechen zwei Punkte: zum einen werden in »Stammbaum« einige Aktivitäten Simenons (oder seiner literarischen Entsprechung) beschrieben, die darauf schließen lassen, dass er schon einige Erfahrungen mit dem Alkohol hatte. (Ebenso: »Zum roten Esel« und »Die Verbrechen meiner Freunde«.) Zum anderen hat er selbst berichtet, dass er seine spätere Frau Regine sturzbetrunken kennengelernt hat. Er hatte schon früh der Verteufelung des Alkohols »Ade« gesagt.
Donald W. Goodwin hat in seinem Buch »Alkohol & Autor« das Thema aufgegriffen und unter zahlreichen Schriftstellern (Poe, Hemingway, Steinbeck) ist auch Simenon ein Thema, ein Thema, dass allerdings verhältnismäßig knapp abgearbeitet wird. Während Hemingway es auf über vierzig Seiten bringt, wird Simenon in dem Kapitel »Trinken à l’américaine« auf elf Seiten betrachtet. Aufschlussreich sind diese elf Seiten in jedem Fall.
Goodwin unterscheidet verschiedene Trinker. Der französische Trinker trinkt beständig: jeden Tag hat er eine bestimmte Dosis, meist sanfte Getränke wie Bier und Wein. Von diesen kann er aber nicht lassen. Er muss trinken. So trank Simenon auf seinen Kanalreisen, wie er selbst zugab, Wein gegen den Durst. Der französische Trinkertyp wird durch das ständige Training nicht betrunken.
Der amerikanische Trinker ist anders konditioniert. Es wäre zuweit hergeholt, zu sagen, dass in Frankreich dieses Trinken gesellschaftlich akzeptiert wird, im prüden Amerika ist das mit der Trinkerei aber eine andere Sache. Es wird heimlich getrunken (von Simenon übrigens gut in »Schlusslichter« beschrieben), man geht dazu ins Bars, in denen man sich mit Gleichgesinnten oder Gleichabhängigen treffen kann. Der amerikanische Trinkertyp trinkt nur kurze Zeit, dafür aber sehr viel und stürzt dann ab. Nach der Zeit des Absturzes ist er längere Zeit clean und verspürt auch keinen Drang, zu trinken.
Der Autor stellt in seinem Buch fest, dass Simenon eine erstaunliche Entwicklung vollzogen hat: er hatte sich von einem französischen Trinkertyp zum amerikanischen entwickelt. Bis 1945 (der Übersiedlung nach Amerika) war Simenon ganz und gar ein französischer Trinkertyp, mit der Übersiedlung und dem Kennenlernen seiner zweiten Frau, wandelte sich sein Alkoholkonsum. Der Schriftsteller wurde zum Sturztrinker und sagte selbst. »In Amerika lernte ich mich schämen«. Dieses aber nur für kurze Zeit: spätestens ab 1949 begann Simenon (auch getrieben von seiner zweiten Frau) sich vom Alkohol zu entfernen. »Drei Zimmer in Manhattan« war der erste Roman, der gänzliche ohne Alkohol entstand. Eine Qual für Simenon, aber heraus kam eines seiner besten Bücher. Danach sollte er, auch wenn es darüber widersprüchliche Beschreibungen gibt, sich im Großen und Ganzen an Cola gehalten haben.
Donald W. Goodwin
Alkohol & Autor
Edition Epoca – entstand 1988, erschien 1995