Ausklang


Gold war damals auch Gold, aber im Fernsehen halt noch schwarz-weiß. Maigret trat von der großen Leinwand, auf der er meisterhaft von Jean Gabin verkörpert wurde, in die kleine Kiste und mit dieser wurde Rupert Davies zum Sinnbild für Maigret. Zumindest für die Engländer und Deutschen.

Mal was ganz Anderes: Finden Sie nicht, dass das Wort »Klang« besonders schön klingt? Lassen Sie es sich einmal auf der Zunge zergehen. Mit dem Wort »Ausklang« ist es nicht viel anders, nur das eine etwas melancholische Note hinzukommt, eine gewisse Wehmut.

In dieser kleinen Abhandlung sei nur am Rande erwähnt, dass Rupert Davies und Gino Cervi das Fernsehpublikum verzauberte, das Jean Gabin in den Sechzigern seinen letzten Auftritt als Maigret hatte und sich auch Heinz Rühmann als Maigret versuchte, in einer Verfilmung, die meine Gnade mein Lebtag bekommen wird. Heinz Rühmann, der Pennäler aus der unvergessenen und von mir hochgeschätzten »Feuerzangenbowle«, spielt plötzlich einen eigentlich großen, wuchtigen, mit Übergewicht kämpfenden Kommissar? Man konnte mir viel verkaufen: Star Trek, Star Wars, E.T. - ich weiß, dies ist nicht echt, das ist Unterhaltung - aber die Charaktere sind glaubwürdiger [natürlich, wenn ich an dieser Stelle schon in Pop-Kultur abschweife, will ich nicht vergessen anzumerken: die alten Star Wars- und Star Trek-Filme]. Heinz Rühmann, mit Verlaub, ist kein echter Kommissar Maigret. Um Bezüge zur »Echtzeit« herzustellen: Brad Pitt und Johnny Deep wären es auch nicht. Da fehlt es nicht an schauspielerischer Größe, sondern am richtigen Format. Damit will ich das Thema für diesen Artikel beschließen und meinen Blutdruck nicht in ungeahnte Höhe schießen lassen.

Schon Ende der fünfziger Jahre gibt es eine Phase, in der es scheint, als ob die Maigrets privater werden. Nicht in dem Sinne, dass Maigret ausführlicher ausgeleuchtet wird. Nein, Maigret betritt Bühnen, die keine Außenstehenden zulassen. Beispielsweise die Familie Lachaume, die eine Keksfabrik besitzt und wirtschaftlich im Niedergang begriffen ist. Wie sich der Kommissar auch dreht und wendet, die Ermordung von Léonard Lachaume ist eine Privatangelegenheit der Familie, so wird ihm bedeutet, und er möge sich da bitte schön raushalten. Natürlich kann sich der Kommissar nicht so abspeisen lassen. Wer möchte als Krimileser auch lesen: »... und da drehte sich Maigret schwerfällig um, ging in sein Büro und legte den Fall zu den Akten. Wenn sie nicht wollen, murrte er, mich interessiert es auch nicht.«? Im Gegenteil, die Neugierde wird durch solches Verhalten natürlich angestachelt und der Kommissar interessiert dann schon fast weniger, warum ein Mensch umgebracht wird. Mehr noch wird sein Spürsinn durch die Frage geweckt, was die Leute veranlasst so zu reagieren.

Weitere sehr private Fälle sind die Beschreibungen in »Maigret und die alten Leute« und »Maigret und die braven Leute«. Im ersteren Fall geht es um den Tod eines alten Mannes, der Zeit seines Lebens in eine Prinzessin verliebt war. Wie das so ist, war die Prinzessin aber mit einem Hochadligen verheiratet und die Liebe war da, konnte aber nicht gelebt werden. Man möchte dem Kommissar zurufen, tritt zurück, was hast Du hier zu suchen? Aber natürlich geht das nicht. Man sieht auch keinen Grund, warum Monsieur Josselin erschossen wurde. Einfach so. Maigret forscht hier, seine Kollegen forschen woanders. Man durchleuchtet das Leben jedes einzelnen Familienmitglieds und es findet sich kein Grund, warum der Ruheständler erschossen wurde. Es wird sehr privat, und muss sehr gekratzt werden, ehe herausgefunden wird, dann man es zwar mit sehr braven Menschen zu tun hat, aber jede Familie seine Leiche im Keller hat.

Genauso privat ist der Tod des faulen Diebs in dem gleichnamigen Buch. Dieser kundschaftete penibel seine nächsten Beuteobjekte aus und machte es sich dann in den Wohnungen der Verreisten gemütlich, leerte die Speisekammern und die Weinvorräte. Der Mann hatte Geschmack. Würde sich es sich jemand in meinem Haus so gemütlich machen, glücklich wäre ich gewiss nicht. Aber einen Grund einen solchen Mann, der nichts verwüstet hat, umzubringen, sehe ich nicht.

Die Ursuppe
Es war keine leichte Geburt, dieser Maigret. Staatliche Ausmaße erfolgen hohen Einsatz. Ganz so, wie Simenon es später schilderte, ist der Kommissar wohl nicht geboren worden. Uns ist es egal, Hauptsache er ist gesund und hat sich prächtig entwickelt. 
Wie ein Bär
Müssten wir den ersten der Maigrets nicht preisen? Schließlich ist es der Beginn einer Reihe, die viele Menschen fasziniert und unwahrscheinlich gern gelesen wird. Der Beginn eines Serie, mit der Simenon eine Popularität erzielte.  
Das schleichende Ende
Dem ersten (offiziellen) Maigret folgten eine ganze Reihe von Maigrets, denen man erfreulicherweise eine steigende Qualität bescheinigen konnte. Allerdings war nach drei Jahren schon wieder Schluss. Aber nur so halb. 
Kleine Maigrets
Lang dauerte Abschied von Kommissar Maigret nicht. Mitte der dreißiger Jahre kehrte Simenon zu seinem Kommissar zurück und machte ihn in Kurzgeschichten zum Schnell-Ermittler. Der Kommissar bereitete sein Comeback vor. 
Die große Zeit
Die Kurzgeschichten waren nur ein Zwischenspiel, Fingerübungen für Simenon. Anfang der 40er Jahre kehrte Maigret zurück und sollte gedeihen. Er gewann an Format und Erfahrung. Simenons Anfängerfehler, wenn man sie so nennen will, sind in diesen Romanen nicht zu finden. 

Zwei Klassiker, aber aus ganz anderem Grunde, entstanden in den frühen sechziger Jahren. Klassiker, im schulischen Sinne. »Maigret und der Clochard« und »Maigret und das Gespenst« stehen in den Lehrplänen für Französisch-Unterricht. Man könnte die Maigret-Umsätze des Diogenes-Verlages ordentlich ankurbeln, wenn sich die Schulbehörden entschließen würden, die Maigret im Jahresturnus auszutauschen. Aber nein, man bleibt immer bei den gleichen Romanen und so bin jetzt schon der festen Überzeugung, dass der im Februar 2009 im Rahmen der Werkausgabe erscheinende Clochard-Roman zuerst ausverkauft sein wird. Jede Wette!

Apropos Clochards: Im Maigret-Werk spielen diese keine herausragende Rolle. Hin und wieder ist mal von einem die Rede, meist als Zeuge. In den sechziger Jahren aber schaffen sie es gleich zweimal in die Hauptrolle. Der eine Clochard überlebt gerade so, der zweite spielt als Toter die Hauptrolle (»Maigret und der einsame Mann«). Interessant bei der Darstellung der Clochards in den Maigrets ist, dass es keine Menschen sind, die durch eine wirtschaftliche Zwangslage als Clochards endeten. Vielmehr ist es so, dass man noch nicht einmal den Terminus »endeten« wählen sollte, da es sich um bewusste Entscheidungen der beiden Männer zu Handeln scheint. Sie wollten als Clochards leben. Mag sein, dass normale Clochards - solche, die wirklich durch Schwierigkeiten beispielsweise Arbeitslosigkeit, familiäre Probleme, Alkohol, Drogen, Pech in diese Situation gelangten - für Simenon als literarische Figuren uninteressant waren. Die beiden Clochards, die er in seinen Maigret-Romanen ausführlicher beschreibt, sonderten sich von dem Rest auch ab. Freundlich und verbindlich waren sie, aber eine Verbrüderung mit den anderen ihrer Straßenkollegen gab es nicht.

Ein kleiner Höhepunkt ist für mich der Roman »Maigret in Kur«, in dem Simenon mit seiner Lebensfreude (sprich seiner Zuneigung zu fettigem Essen und alkoholischen Getränken) konfrontiert wird. Um sich ein wenig auszukurieren, schickt ihn der Arzt nach Vichy und dort muss er nun die verschiedensten Wässerchen trinken. Vichy ist ein netter Ort, aber ein wenig verschlafen und langweilig. Zumindest dann, wenn man nicht gerade ein Faible für Kurkonzerte und Heilwasser hat. Interessant wäre es vielleicht mal gewesen, einen ganzen Maigret-Roman lang zu schildern, wie sich der Kommissar tödlich langweilt und sich über die magere Kost ärgert. Damit hätte uns Simenon wohl mal wirklich überrascht. Aber ganz so arg kommt es dann nicht, es wird eine Frau ermordet, die gemeinsam mit den Maigrets Kurkonzerte besucht hatte und Maigret ermittelt zusammen mit seinen Kollegen im Schongang.

Mit dem letzten der Maigret - »Maigret und Monsieur Charles« - habe ich mich nie so richtig anfreunden können. Er plätschert so vor sich hin. Und dann ist sie da: die Melancholie.