Colette – »Mitsou«


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Wer sich ein wenig mit Simenon beschäftigt hat, dem wird auch der Name Colette mal untergekommen sein. Das war die Frau, die Simenon in den 20er Jahren die Empfehlung gab, so einfach zu schreiben wie möglich und alle überflüssigen Wörter wegzulassen. Ein Rat, den sich der junge Simenon zu Herzen nahm. Ein Rat, der den Stil von Simenon prägen sollte.

Die Schriftstellerin Colette ist hierzulande aber kaum bekannt: Ihr vollständiger Name, der seltener genannt wird, lautet Sidonie-Gabrielle Claudine Colette und sie wurde am 28. Januar 1873 in einem kleinen Ort im Departement Yonne im Burgund geboren. Um die Bedeutung der Schriftstellerin in Frankreich verdeutlichen, seien zwei Fakten genannt: Sie war die erste Schriftstellerin, die in die Académie Goncourt berufen wurde und sie die erste Frau, die in Frankreich nach ihrem Tod am 3. August 1954 ein Staatsbegräbnis bekam. Also durchaus kein Leichtgewicht.

1889 lernte sie Henry Gauthier-Villars kennen, damals 30 Jahre alt, den sie 1893 heiraten sollte. Dieser hatte sich einen Namen als Salonlöwe gemacht, galt aber auch als Literat. Ihr Mann erkannte das Schreibtalent, er lernte sie an und nutzte sie aus. Im Mittelpunkt ihres frühen Schaffens standen die unter dem Namen Willy, ein Pseudonym ihres Mannes, publizierten Claudine-Romane. Von ihrem Mann trennte sie sich 1905 und damit auch von den Rechten an den von ihr verfassten Romanen.

Es folgten Ausflüge auf die Bretter von Variété-Bühnen und Colette nahm Schauspielunterricht.

Sie schrieb weiter, allerdings unter dem Namen Colette Willy. Ein großer Erfolg sollte der Roman La Vagabonde werden, der autobiographisch geprägt war. Der Roman erschien zunächst in einer Zeitschrift und mit diesem Werk kam sie in die engere Wahl für den Literaturpreis Prix Goncourt.

Sie erhielt ihre eigene Rubrik im Feuilleton des Le Matin. Liiert war sie in der Zeit mit dem Chefredakteur der Zeitung Baron Henry de Jouvenel des Ursins, den sie 1912 auch heiratete. Den Krieg verbrachte sie erst als Krankenschwester und als sich ihr Enthusiasmus etwas gelegt hatte, als Reporterin für Le Martin in Italien. 1919 wurde sie Leiterin des literarischen Feuilleton des Le Martin und es erschien der Roman Mitsou, auf den später noch eingegangen werden soll. Ein Jahr später erschien ihr bekanntester Roman Chérie, in dem sie die Liebe eines jungen Mannes zu einer älteren Frau beschreibt. Etwas später sollte der Roman zu einem Theaterstück verarbeitet werden, in dem sie auch hin und wieder die Rolle der weiblichen Hauptdarstellerin übernahm.

Die Ehe ging indes in Brüche. Was Untreue anging, nahmen sich beide Partner nichts.

1925 lernte sie den Perlenhändler Maurice Goudeket kennen, den sie zehn Jahre später heiraten sollte. Es gelang ihr im zweiten Weltkrieg ihren Mann, der aus einer jüdischen Familie stammte, aus der Haft zu befreien und ihm beim Untertauchen zu helfen. Ihr 80. Geburtstag 1953 soll ein nationales Ereignis gewesen sein.

Der aktuelle Anlass für die Zeilen ist die Ausgabe von Colettes Roman Mitsou im Rahmen der Süddeutschen Bibliothek. Mich interessierte der Roman aus einem formalen Grund: Schrieb Colette einen ähnlichen Stil wie Simenon. Die Antwort auf die Frage ist ein klares jein. Was die Prägnanz der Formulierungen angeht, kann man sehr wohl Vergleiche ziehen. Es gibt kein überflüssiges Wort, und trotzdem beschreibt sie Personen und Umgebungen präzise. Selbst die Story des Romans könnte glatt als eine Simenon-Geschichte durchgehen, wenn man nicht wüsste, wer es geschrieben hat.

Zumindest in diesem vorliegenden Roman gibt es zwei eklatante Unterschiede in der Form, wie ich sie bei Simenon nie angetroffen habe. Ein Teil des Buches wirkt wie ein Theater-Skript: Die Personen treten auf, ihre Mimik wird kurz und knapp beschrieben, genau wie ihre Handlungen. Im Mittelpunkt steht der Dialog und das Gespräch. Mitsou arbeitet in einem Varieté als Darstellerin und eine Kollegin versteckt in ihrem Raum zwei junge Offiziere, von denen einer hübscher ist als der andere. Vielleicht verliebt sie sich sofort, vielleicht ja auch erst ein klein wenig später. Sie bekommt die Adresse des blauen Offiziers, Robert, der ihr besonders am Herzen liegt und beginnt einen Briefwechsel mit ihm.

Eine so ausführliche Briefform hat Simenon in keinem Roman verwendet, nimmt man das autobiographische »Brief an meine Mutter« einmal aus. Interessanterweise wählt Colette für einen Zwischenpart der Geschichte, in der sich Robert mit Mitsou während eines Fronturlaubs trifft, die einen üblichen Prosa-Stil. Womit man mit drei Formen in einem Roman zu tun hat. Den Lesefluss hindert dies überhaupt nicht. Das dünne Bändchen, knapp über hundert Seiten, ist innerhalb von wenigen Stunden ausgelesen. Und die knapp sechs Euro für Mitsou sind gut angelegtes Geld.