Das (letzte) Gespräch


1984 wurde im Männermagazin »Jet Set« ein Interview mit Georges Simenon angekündigt. Da man besondere Aufmacher benötigt, wurde laut behauptet, es wäre das letzte Interview mit dem Schriftsteller.

1984 wurde im Männermagazin »Jet Set« ein Interview mit Georges Simenon angekündigt. Da man besondere Aufmacher benötigt, wurde laut behauptet, es wäre das letzte Interview mit dem Schriftsteller. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob es wirklich wahr ist. Warum sollte Simenon mit 81 beschließen, keine Interviews mehr zu geben und selbst wenn, wer sagt, dass er es sich nicht später nochmal anders überlegt hat.
Die Interviewer trafen einen aufgeräumten Simenon. Das vierseitige Gespräch beginnen die Autoren mit einem kurzen Abriss von Simenons (damaliger) Lebenssituation, sie beschreiben ausführlich das Wohnzimmer des Schriftstellers (karg), um dann einen Ausflug in die Biographie Simenons vorzunehmen.
In diesem Abschnitt gibt es schon Passagen, die ich einfach nicht glauben mag, zum Beispiel:

»Überflüssige Adjektive und Adverben habe ich immer gehasst, ich pflege einen möglichst knappen Stil.«
»Wie Hemmingway?«
»Ja – ich habe sogar in seinem Haus gewohnt!«

Ausrufezeichen sollte man sich immer für wichtige Sachen aufheben, sage ich immer, aber hier wird eine Frage knapp und präzise beantwortet, um im Anschluss mit einer nicht dazugehörigen Informationen, die, mehr oder weniger, peinlich wirkt herauszuplatzen. Man könnte fast denken, dass es die Tatsache, dass Simenon einmal im Haus von Hemingway gewohnt hat, gewesen ist, die bewirkte, dass er seinen knappen Stil schrieb.
Genausowenig wie Ausrufezeichen mag ich Sätze wie:

Er lieferte genügend Stoff für die Skandalpresse – und nicht zuletzt wegen seiner vorletzten Lebensgefährtin Denise, die offenbar ebenso geil auf seine Männlichkeit (Titel ihres verleumderischen Buches: »Der goldene Phallus«) wie auf seine Millionen war.

Mag sich Simenon auch entrüstet darüber gezeigt haben, dass das Verhältnis zwischen ihm und seiner zweiten Ehefrau sich über die Jahre zu einem arktischen Winter entwickelt hatte, so weiß ich nicht, ob es besonders clever von den Journalisten war, dieses auch so zu formulieren. Charmant ist es jedenfalls nicht. (Ohne es jetzt felsenfest zu behaupten, ist mir aber so, als ob Simenon alle Prozesse gegen seine Frau bezüglich des erwähnten Buches verloren hatte.)
Ich habe mich schon in »Über Geld« über Simenon gewundert, insofern ist die Antwort von Simenon auf die Frage, zu seinem Vermögen auch nicht mehr ganz so überraschend.

Ich kenne das Wort Vermögen nicht. Ich betrachte mich selber nicht als vermögend, auch wenn ich, ohnn es wirklich zu wollen, sehr viel Geld verdient habe. Ich habe es auch mit vollen Händen wieder ausgegeben, um, wie ich schon sagte, alle Schichten der Gesellschaft kennenzulernen…

Die 10.000 Frauen werden auch erwähnt. Gut, das muss man tolerieren. Schließllich ist es ein Interview für ein Männermagazin. Die Antwort darauf fällt aber dürftig aus:

Wenn ein Frauenheld ein Mann ist, der die Frauen liebt und ausgeprägte »fleischliche Bedürfnisse« spürt, dann bin ich ein Frauenheld. Eigentlich mag ich aber diesen Ausdruck nicht. Ich habe nie eine Frau, auch keine Prostituierte, nur als Spielzeug oder als Blume für mein Knopfloch betrachtete. Sexuelle Beziehungen können auch mit sehr viel Zärtlichkeit verbunden sein, selbst wenn es nur »fleischliche« Zärtlichkeit ist.

Simenon betrachtete sich als liebevollen Vater, gibt aber zu, ein untreuer Ehemann gewesen zu sein. Eine Erklärung hält er auch dafür parat:

Ich habe das Leben vieler Persönlichkeiten der Geschichte studiert, und ich habe Treue, im wirklichen Sinne des Wortes, nie gefunden. Bei einigen, leider nur bei wenigen, fand ich wenigstens Treue gegenüber ihren Ideen…

Das Simenon sich zwar verheiratete, aber im hohen Alter nichts von der Ehe hielt, ist bekannt. Seine Argumentation, dass jemand der mit zwanzig heiratet eigentlich nicht wissen kann, wem er lebenslange Treue halten soll, ist auch nachvollziehbar. Simenon begründet dies damit, dass sich alle Zellen im Menschen in der Zeit geändert hätten, man also gar nicht mehr das gleiche Wesen lieben würde, welches man vor zig Jahren geheiratet hätte.
Zum Tode von Marie-Jo mag er nichts sagen, gibt aber im Gespräch zu, dass der Selbstmord in bestimmen Fälle eine Befreiung sein kann. Interessanterweise kann er kaum etwas anderes behaupten, finde ich, denn allzu viele Menschen haben in seinen Romanen diesen Weg gewählt. Simenon, der Bücher geschrieben hat, die sich besonders aus seinen Erlebnissen und Erfahrungen speisten, hat damit seit jeher illustriert, dass er Selbstmord als Lösung für Menschen in schweren Konflitksitationen akzeptierte. Das mag auf seine Tochter allerdings nicht zutreffen und so ist die einsilbige Antwort in dem Interview auch zu verstehen.
Dann die alles entscheidende Frage:

Wie entstand Kommissar Maigret?
Die Figur wurde 1929 in Holland, genauer: in Delfzijl, wo heute sein Denkmal steht, erschaffe. Er ist damals eher zufällig in einem Buch erschienen, das das erste einer lange Reihe der Abenteuer von Kommisar Maigret wurde. Ich habe dieses Buch (»Pietr der Lette«) auf hoher See geschrieben, auf dem ich während zweieinhalb Jahren lebte. Natürlich war darin die Person von Maigret noch nicht so genau definiert.

... und ...

Eigentlich ist Maigret ja ein Beamter. Warum?
Achtung! Auch als Beamter ist Maigret ein Anarchist! Fast ebenso Anarchist wie ich! Er hasst es, gegen Leute, die er verhaftet hat, als Zeuge aufzutreten. In meinem Roman »Maigret vor dem Schwurgericht« merkt man sehr gut, dass ihm davor graut. Es kommt sogar oft vor, dass Maigret mehr Sympathie für die Kriminellen als für die Justiz besitzt.

Simenon betrachte seine Kriminalromane, heißt die Maigrets, als Halbliteratur, als Ware. Auf die Frage, ob der Kriminalroman nicht etwas Positives hätte, denn er würde die Botschaft verbreiten, dass am Ende das Gute siegt, meinte Simenon.

Das ist keine Botschaft, das ist eine Philosophie. Im gewöhnlichen Kriminalroman muss das Gute stets über das Schlechte triumphieren. Im Leben – oder in der alten griechischen Tragödie – ist das anders: da geht es um menschliche Krisensituationen. Aus diesem Grunde habe ich mich immer gescheut, mit Autoren von Kriminalromann in Kontakt zu treten. Und als ich meinem Verleger die ersten drei »Maigrets« anbot, da sagte er: Das sind keine Kriminalromane, da fehlt das Schwarz- Weiß, da fehlt das Rätsel, da man wie ein Schachproblem auflösen muss, da gibt es keine Liebesszene und außerdem gehen sie fast alle schlimm aus.

Die Fragesteller fragen Simenon, ob es stimmen würde, dass er Journalisten nicht mögen würde. Das verneint er, schließlich habe er selbst als Journalist angefangen. Die Journalisten wenden ein, dass er von ihren Berufskollegen aber verfolgt worden wäre. Das bejaht Simenon, meint aber dazu, dass er es nicht abgelehnt hätte, Antworten zu geben. Es wären aber halt nicht immer die Antworten auf die gestellten Fragen gewesen.
Die obligatorische Frage, die man alten Leuten zu pflegen stellt:

Wenn Sie Ihr Leben noch einmal beginnen könnten…
Ich habe keine Lust, mein Leben noch einmal zu beginnen!

Quelle:
JET SET Juni 1984 - Seiten 28 bis 33