Der Name Simenon zählt nicht


Als Produzent von Groschenromanen muss man in kurzer Zeit viele Worte aufs Papier bringen. Der eigene Name wird aus dem Geschäft herausgehalten. So müssen Christan Brulls und Georges Sim erst einmal herhalten.

Es gab schon vor dem Umzug nach Paris eine Vereinbarung zwischen Tigy und ihrem Mann: Zuerst sollte sie Karriere machen und danach sollte Georges seine Chance bekommen. Sie hatten diese Entscheidung getroffen, da Tigy schon eine Ausstellung in Lüttich absolvierte hatte und auf der künstlerischen Leiter etwas höher stand als Georges, der zwar schon Bücher veröffentlicht hatte, aber diese mehr oder weniger in Eigenregie veröffentlicht hatte.

Es war also an Simenon für einen gedeckten Tisch zu sorgen und dafür, dass die Wohnung warm war. Dabei hatte das Paar nicht den gesamten Verdienst für sich. Von den 600 Francs, die die Simenons im Monat zur Verfügung hatte, schickte Simenon noch einmal 250 Francs nach Lüttich zu seiner Mutter.

Simenon unterstützte seine Frau nach Kräften bei ihrer Karriere. Er machte sich für Tigy auf die Suche nach Modellen, zumindest wenn es um die weiblichen ging. Tigy malte allerdings nicht nur Akte, sondern versuchte sich an den verschiedensten Stilen.

Schule, warum nicht?
Was hätte aus dem Mann werden können? Er ging auf ein humanistischen Gymnasium und seine Mutter Henriette hatte ihn für das Priester-Beruf vorgesehen. Eine Mädchen-Geschichte sollte dafür sorgen, dass sich Simenons Bildungsweg etwas änderte. 
Meister gesucht!
Was willst’e denn werden? Die Frage dürften auch den jungen Sim genervt haben. Wie schon beim der Gymnasiums-Auswahl war es auch hier die Mutter, die den ersten Beruf für Simenon aussuchte: Nach ihrem Willen würde er als Konditor glücklich werden. Wenn das geworden wäre, hätten wir heute vielleicht eine weltberühmte Tarte Maigret und würden den Kommissar missen. 
Erste Gehversuche
Der Journalismus ist der Wahrheit verpflichtet. So halten es viele Journalisten. Die, die es nicht so damit haben, sollten vielleicht Schriftsteller werden. So wie Georges Simenon, der seine Stärken eindeutig im Fiktionalen sah. Erst nahm er sich die Kurzgeschichte als literarische Form vor, dann den Roman. Erste Gehversuche eines Schriftstellers. 
Ein Belgier erobert Paris
Sie haben nicht auf ihn gewartet: Jeden Tag kamen an den Bahnhöfen von Paris Menschen an, die ihr Glück in der Stadt versuchen wollten. Wie Simenon es selbst in seinen Romanen beschrieb, waren es oft Leute aus dem Norden: Polen, Deutsche und halt auch Belgier. Wie Simenon, der am 14. Dezember 1922 in Paris eintraf. 
Unstet
Nimmt man es genau, so schrieb Simenon nur über Orte, die er schon einmal gesehen hat. Was wäre uns entgangen, wenn er nicht so häufig gereist und umgezogen wäre? Auch die dreißiger Jahre verbrachte er recht stets auf der Suche nach einer Heimat. Im Anmarsch: Der Krieg und das erste Kind. 
Im Krieg
Simenon machte um den Krieg einen großen Bogen, schließlich hatte er im ersten Weltkrieg den Einmarsch der Deutschen erlebt. Er kümmerte sich um belgische Flüchtlinge und machte Geschäfte mit deutschen Filmfirmen. Das mochte Geld bringen, aber auch Ungemach... 
Neuanfang
Ein neues Land, neue Gewohnheiten, eine neue Sprache und eine neue Frau. Simenon reist nach und durch Amerika, unstet wie immer, begibt sich in eine ungewisse und komplizierte Beziehung. Am Anfang war natürlich nur Sonnenschein. Simenon zeigt neue, nicht unbedingt positive Seiten. 
Lakeville
Glück ist immer relativ: Simenon sollte auch nach dem Leben auf der Shadow Rock Farm beruflich erfolgreich sein. Was das familiäre Glück jedoch betraf, begannen schwierige Zeiten. Ein Abriss über die letzten wirklich glücklichen Jahre Simenons, Besuche in Europa und den ersten Brüchen. 
Fortsetzung der Krise
Simenon suchte Wege, seine Frau aufzuheitern. Eine Chance sah er in der Rückkehr nach Europa, aber es wurde nicht besser sondern immer schlimmer. So begann sich bedingungslose Liebe in bedingungslosen Hass zu wandeln. Interessanterweise merkte man es den Romanen nicht an. 
Altern im Unglück
Was nützt der berufliche Erfolg, wenn das Privatleben keine Erfüllung bringt: die Frau war Weg, geblieben war nur Hass, der in der Öffentlichkeit ausgetragen wurde; die Tochter liebte einen abgöttisch und verursachte damit neue Probleme. Der Maigret-Autor schien irgendwie merkwürdig zu sein. 

Die Produktivität Simenons in diesen Jahren war enorm. In seinem besten Jahr in den Zwanzigern produzierte er bis zu 44 Romane. Dazu kamen noch einmal sechzig Geschichten zu je 1000 Wörtern und drei längere Geschichten zu 20.000 Wörtern - im Monat versteht sich. (Zum Vergleich, dieser Artikel hat in etwa 9000 Wörter.)

Agenten hatte man damals wohl noch nicht, und so musste Simenon seine Verträge selbst aushandeln. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen hat Simenon nie in einem Literaturverlag gearbeitet. Es war in Frankreich durchaus üblich, dass Schriftsteller halbtags in einem Verlag arbeiteten und in der restlichen Zeit schreiben. Nicht so Simenon. Trotzdem hatte Georges Simenon enormes Wissen, was die Verlagsprozesse anging wie auch die Kalkulation der Verleger. Anfangs zählte sein Name noch nicht. Da er aber wusste, was er dem Verlag einbrachte und konnte sich es ab einen gewissen Zeitpunkt auch erlauben, entsprechende Forderungen zu stellen.

1924 war ein arbeitsreiches Jahr - zum urlauben kam das junge Paar nicht. (Als Flitterwochen, so scheint es, müssen wohl die Reisen mit dem Grafen de Tracy gewertet werden.) Aber 1925 sollte es soweit sein: Georges und Tigy machten Urlaub in der Normandie. Dabei lernten sie Henriette Liberge kennen und kurzerhand wird die Achtzehnjährige als Dienstmädchen eingestellt. In den Augen von Tigy und Simenon war das notwendig geworden, weil das Schicksal einen etwas anderen Verlauf genommen hatte, als ursprünglich geplant. Wenn man ehrlich ist, hatte es einen besseren Verlauf genommen als erhofft. Denn Simenon, der Tigy den Rücken für die Karriere freihalten sollte, war so erfolgreich, das Tigy einen großen Teil der täglichen Verrichtungen vornahm, die Georges aufgrund der Arbeit nicht mehr schaffte. Mit Henriette hatte man wohl das ideale Dienstmädchen gefunden.

Simenon indes konnte sich wieder einmal mit dem Namen nicht anfreunden. Ein Grund mochte sein, dass ihn der Name gewiss an seine Mutter erinnerte. Das musste nicht sein - von daher hieß sie fortan Boule. Henriette kam aus einer Fischerfamilie und wurde in Bénouville, in der Nähe von Fécamp, geboren.

Wenn man die Frauen Simenons nimmt, und sich anschaut, mit welcher Frau er am längsten zusammenlebte, so ist Boule übrigens ungeschlagen. Bis in die sechziger Jahre wich sie Simenon nicht von der Seite. Auch in späteren Interviews ließ sie auf ihren Arbeitgeber (und Liebhaber) nichts kommen.

Neben Boule schaffte es noch jemand in die Familie: Olaf, die dänische Dogge.

1926 veranstaltete Tigy erfolgreich eine Ausstellung und verkaufte mehrere Bilder, zu Preisen, an die sie selbst nicht geglaubt hätte. Spontan entschloss sich das Paar, Urlaub zu machen und stießen in einem Reiseführer auf die Insel Poquerolles. Sie beschlossen die Gage von Tigy zu verjubeln und machten auf der Insel, die damals noch einen ursprünglichen Charme hatte, ihren Urlaub. Damals soll es nur zwei Hotels gegeben haben, ansonsten lebte man eher von der Fischerei denn vom Nichtstun.

Die Produktivität von Simenon hatte sich herumgesprochen. Er selbst forcierte auch recht früh Berichte über sich: Simenon der Marketing-Experte, was seine Person anging. Eine der berühmteren Episoden soll das Schreiben in einem Glaskäfig gewesen sein: Das war die Idee von Eugène Merle. Dieser hatte 1919 eine Zeitschrift gegründet, die man politisch-satirisch nennen kann und deren interessantes Geschäftsmodell einem aus der Biographie von Simenon bekannt vorkommt und wenn man die Romane des Schriftstellers liest, stößt man immer wieder auf Spuren solcher Zeitschriften. Merle hatte sich darauf kapriziert, Skandale in der Wirtschaft, mit Vorliebe bei Banken auszuforschen. Nicht jeder dieser Artikel wurde veröffentlicht - gern wurde die Veröffentlichung auch gegen günstiges Geld aufgehoben.

Simenon schreib für die Blätter von Merle und stand oft mit anderen Gläubigern in Merles Verlagshaus, weil wieder mal Schecks geplatzt waren. Irgendwann platzte nicht nur ein Scheck, sondern Simenon auch der Kragen und er platzte in das Büros Merles, um sich heftig zu beschweren. Dessen Reaktion war recht gelassen (in der Art: Ich unterschreibe so viele Schecks, das kann schon mal daneben gehen.) und man wurde sich einig, später freundete man sich auch an.

Dieser Merle gründete nun eine neue Zeitung in Paris, die auf den Namen Paris-Matinal hören sollte. Ein Zugpferd sollte einn fortgeschriebener Roman sein, der von Simenon in einem Glaskäfig produziert werden sollte. Simenon willigte ein, die 50.000 Francs Vorschuss und das vereinbarte weitere Honorar von 50.000 dürfte sicher geholfen haben - zumal es auch für Simenon ein Marketing-Event gewesen wäre. Wäre, ist das Stichwort. Denn bevor Simenon in dem Glaskäfig landete, wurde die Zeitung eingestellt und es blieb nur bei dem Vorschuss. Einem Vorschuss für kein Wort Arbeit - nicht schlecht.

Interessanterweise erinnerte sich diverse Zeitzeugen daran, wie Simenon in dem Glaskäfig gesessen hat und seinen Roman schrieb. Es lässt sich also festhalten, dass die Werbekampagne von Merle wirkte. Simenon versichert, keine Minute in einem Glaskäfig gesessen zu haben (auch wenn es einen Roman gibt, der den Namen trägt).

In Paris lernte Simenon auch Josephine Baker kennen. Sie war damals ein Star. Simenon konnte sich mit der Berühmtheit einer Josephine Baker nicht messen. Simenon wurde ein Liebhaber von Josephine Baker und sie musste sich in Simenon ein wenig verliebt haben, denn das spätere Weggehen des Schriftstellers notierte sie in ihren Tagebücher in einem traurigen Ton. Simenon fürchtete um seine Ehe mit Tigy und meinte, er hätte keine Lust gehabt, als Mr. Baker durchzugehen. Er flüchtete 1927 in die Ferien, um der Beziehung zu Josephine Baker zu entkommen. So bleibt dies eine Episode, wenn auch eine interessante.

Nach der Rückkehr aus den Ferien, wurde Tigy und Georges Simenon in Paris langweilig. Sie merkten, dass die Parties und Halb-Orgien, wie sie Simenon nannte, nicht mehr das Wahre waren und sie auch die Bar, die Simenon in die Wohnung am Place des Vosges hatte einbauen lassen, nicht mehr richtig zog. Resultat der Überlegungen, wie man der Langeweile entkommen konnte, war der Kauf eines Bootes. »Ginette« hieß das Boot, was nicht sehr groß war, und die Simenons machten sich auf eine große Tour durch Frankreich. Sie lernten das Land mit ganz anderen Augen ändern. Ergebnis dieser Tour, die von Paris über Epernay, Lyon, Carcassonne, Toulouse, Bordeaux und Orléans wieder zurück nach Paris führte, waren nicht nur zahlreiche Geschichten (die Simenon an Bord schrieb) sondern auch hochinteressante Reportagen.

Das waren keine Ferien im klassischen Sinne, denn es wurde gearbeitet. Simenon schreib, Tigy malte und Boule musste sowieso arbeiten. Am Allerbesten ging es wohl Olaf.

Die Simenon schliefen an Bord der »Ginette« und für Boule wurde am Ufer ein Zelt aufgebaut, in dem sie übernachten konnte. Sie watete morgens dann durch das Wasser, um den Simenons ihren frischgebrühten Kaffee zu bringen - nein, dass muss nicht jeden Morgen ein Vergnügen gewesen sein.

Die Simenons fanden soviel Geschmack am Leben an Bord, dass sie beschlossen, sich ein größeres Boot bauen zu lassen. Das Boot, welches auf den Namen »Ostrogoth« hören sollte (hmm, können Boote hören? hmmm.), wurde in Fécamp gebaut und in Paris geweiht. Damit verbunden war eine Party, die über mehrere Tage gehen sollte. Es sollte die letzte große Party in Paris sein, die von den Simenons veranstaltet wurde und gleichzeitig einen Abschied von der Hauptstadt darstellen.

Sie fuhren mit dem Boot wieder große Touren, zum Beispiel nach Lüttich, woe sie einen kurzen Besuch bei Simenon Mutter machten und Freunde wiedersahen. Bedeutung erlangte das Boot noch aus einem ganz anderen Grund: Es sollte der »offizielle« Geburtsort Maigrets sein oder zumindest daran, dass der Geburtsort des Pariser Kommissars in Holland lag.