Polarlys

Der Passagier der Polarlys


Ein paar Jahrzehnte ist es her, dass sich ein deutscher Verlag gewagt hat, einen Comic auf Basis einer Simenon-Geschichte herauszubringen. Nun wäre es leicht, sich bei einem solchen Unterfangen dem Kommissar zu widmen. So wie es in den 1990er-Jahren passierte. Aber stattdessen betritt der Carlsen-Verlag mit einem Roman Dur die Simenon-Comic-Bühne.

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»Der Passagier der Polarlys«

Credits: Carlsen

Da hier hauptsächlich über Simenon und das Drumherum geschrieben wird, sollte man keine allzu großen Kenntnisse der deutschen Comic-Szene erwarten. Schon das ganze Drumherum um eine solche Adaption werden mit viel Schreib- und Vertragsarbeit verbunden sein, sodass kein deutschsprachiger Comic-Autor auf die Idee kommen wird, einfach mal so ein solches Projekt anzugehen. Und damit ebenso wenig ein deutscher Verlag.

Carlsen hat die Rechte für diese Ausgabe bei Dargaud erworben. Der Verlag hatte vor zwei Jahren mit der Veröffentlichung seines Simenon-Comic-Projekt begonnen. Dieser verlegerische Comic-Glücksfall machte es so viel einfacher für die Hamburger – denn nun brauchte es nur noch eine Übersetzung und hoffentlich Erfolg. 

Kurz zur Geschichte: In Hamburg begann es mit düsteren Vorzeichen. Selbst erfahrene Seeleute ließen sich durch solche Omen erschüttern. Der Kapitän jedoch blieb gelassen. Mit auf dieser Tour war ein neuer Offizier aus Delfzijl (hier winken wir einmal kurz mit dem Maigret-Zaunpfahl). Auf die Reise gingen nicht nur Passagiere sondern auch Fracht. In der Geschichte heißt es, dass fünfzig Passagiere Minimum Platz hätten – die Geschichte haushaltet mit den Personen aber sehr sparsam – die Rede ist je nach zählweise von vier bis fünf Gästen. 

Die Besatzung war überwiegend deutsch, mit einer Mischung aus deutschen und norwegischen Gästen. Wie der Kapitän mit den Passagieren und später der Polizei kommuniziert, bleibt unklar, besonders beim Lesen der Geschichte auf Deutsch. Aber das ist wahrscheinlich immer ein Problem, wenn man eine Handlung in ein fremdes Land verlegt.

Die Handlung des Comics beginnt in Paris. Eine junge Frau namens Marie Baron starb in einem Atelier an einer Morphin-Überdosis. Die Polizei stand vor einem Rätsel, da der Mieter verreist war und seine Schlüssel Freunden überlassen hatte, die der Concierge jedoch unbekannt waren. Diese fand die Leiche, konnte aber überhaupt nichts berichten, außer, dass es sehr laut war. Schwierig für die Ermittler herauszufinden, ob es sich nun um einen Unfall oder ein Mord handelte.

Als die »Polarlys« in Hamburg ablegte, wussten die Passagiere nichts von dem Drama, das sich in der französischen Hauptstadt abgespielt hatte. Bald sollten die Geschehnisse in der Ferne sich auf das Leben auf dem Schiff auswirken. Bevor die »Polarlys« Norwegen erreichte, das kann hier schon mal versprochen werden, gab es einen Mord an Bord. Und es sollte noch ganz schön weit in den Norden geben und der Kapitän hatte es nicht nur mit dem Verbrechen zu tun, auch die Wetterverhältnisse wurden immer widriger.

Kleine Impressionen

Sehr unwahrscheinlich ist, dass der Übersetzer der deutschen Ausgabe – Christoph Haas – hier auf der Webseite stöberte, und die allgemeine Anmerkung, Texte bei Übersetzungen besser zu erklären und in einen Kontext zu setzen, zur Kenntnis genommen hat. Sehr schön, dass Leser:innen bei der Lektüre seiner Übersetzung in den Genuss solcher Erklärungen kommen. Denn wer soll beispielsweise wissen, dass es sich bei dem Luna-Park in Paris um einen Vergnügungspark gehandelt hat – schließlich ist selbiger schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr existent. 

Überhaupt kann man an der Übersetzung nichts kritteln. Die stimmungsvollen Bilder von Christian Cailleaux wurden schon bei der Besprechung der französischen Ausgabe gelobt. Auch an dem entwickelten Szenario von José-Louis Bocquet hat man als Freund der Romanvorlage seine Freude. Dass wir hier sagen würden, dass man sich nach dem »Konsum« des Comics das Lesen des Romans sparen könnte, soweit würden wir nie gehen. Aber es ist schon ziemlich nah dran.

Die deutsche Ausgabe hat ein etwas größeres Format als die französische und kommt als Hardcover daher. Letzteres tat die Originalausgabe auch, jedoch wurde ihr von Dargaud noch ein Schutzumschlag spendiert. 

Interessant ist ein typografischer Aspekt. Als Schrift in der deutschen Ausgabe wurde eine Schreibschrift genommen. Dadurch wirken die Texte wie eine Handschrift, also sehr verbunden. Die Vorlage wählte eine Schrift, die eindeutig dem Comic-Genre zuzuordnen war, die einzelnen Zeichen auch wie eine Schreibschrift daherkamen, aber in ihr wurde auf Anschlüsse verzichtet. Es war dadurch leichter lesbar als in die Texte in der deutschen Ausgabe.

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Aus der Geschichte werden die Leser:innen nicht einfach herausgeschmissen: Ein Nachwort, in dem die Geschichte in den Kontext der schriftstellerischen Entwicklung von Simenon gestellt wurde, ist ebenfalls mit von der Partie. Der lesenswerte Text zeichnet auch die Route nach, die Simenon bei seiner Norwegen-Seereise genommen hat und macht deutlich, wie sehr das in der Geschichte Geschilderte, auf eigenen Erfahrungen beruht. Vermutlich ohne den Mord. Einen kleinen Exkurs gibt es auch in die Geschichte der »Polarlys«. 

Und wenn es etwas zu kritisieren ist, dann ist es nur eine Kleinigkeit: Beim Lesen des Textes kann man sich an einer sehr schönen Schrift ergötzen, die man im Buch-Bereich gewiss nicht oft sieht. Da ragt doch in einer Spalte eine Zeile ganz aus dem Satzspiegel heraus – eine wahrlich interessante wie auch unangemessene Lösung, um einen Hurenkind-Konflikt zu lösen.

Zusammengefasst: Klare Lese-Guck-Empfehlung sowohl für Leute, die sich bisher nicht an Simenon-Stoffe gewagt hatten, und auch für Simenon-Leser:innne, die bisher keinen Kontakt mit Comics hatten. 

Erschienen bei Carlsen im Januar 2025 – zu haben für 22 Euro.