Der Journalist

Die andere Seite


Es ist allseits bekannt, dass Simenon in Lüttich als Journalist arbeitete und so zum Schreiben fand. Auch in späteren Jahren, er war als Schriftsteller schon erfolgreich, arbeitete Simenon hin und wieder journalistisch. Ein kleiner Überblick über die Resultate.

Eines vorneweg: Im Augenblick (Januar 2010) sind die erwähnten Bände durch die Bank nur antiquarisch zu erhalten. Wann hier mit einer Neuveröffentlichung zu rechnen ist, kann nicht gesagt werden. Allerdings sind die Werke über die üblichen Verdächtigen gut zu erhalten.

Diogenes hat Mitte der 80er Jahre zwei Reportage-Bände herausgebracht: »Zahltag in einer Bank« beschäftigt sich dabei mit Reportagen aus Frankreich; in »Die Pfeife Kleopatras« sind die Reportagen Simenons aus der ganzen Welt versammelt.

Ein wahres Kleinod ist die Reportage »Unbekanntes Frankreich oder Abenteuer zwischen zwei Ufern«, in dem Simenon eine Reise mit dem Schiff durch Frankreich beschreibt. Diese Reportage hat über die Jahre überhaupt nichts an ihrem Reiz verloren, ich würde sie sogar zur Pflichtlektüre für Simenon-Freunde erklären wollen. Abgesehen davon, dass es einer der amüsanteren Texte Simenons ist, bekommt man über diesen Text auch einen besseren Zugang zu dem Werk Simenons. Wie häufig spielen Handlungen im Seeleute- oder Reeder-Milieu? Würde man eine Gesamtaufstellung machen, ist das ein erkläglicher Teil, ohne dass man auf die Idee käme, Simenon dem Milieu der Seewolf-Schriftsteller zuordnen zu wollen. Liest man seine Romane aus diesem Bereich, geht es ihm weniger um die »Action« auf dem Meer, sondern vielmehr um das Soziale. Es ist nicht der Kampf mit dem Meer, der Simenons Protagonisten umtreibt. Dass sich Simenon besonders für das Leben der Seeleute interessiert geht auch aus einem weiteren Text hervor, der in diesem Band zu finden ist. In »Bestandsaufnahme Frankreich - Wenn die Krise vorbei sein wird« geht Simenon sowohl auf die Situation der einfachen Seeleute ein wie auch die der Reeder. Dabei schildert er ausführlich, wie das Gefüge in diesem Wirtschaftszweig geändert hat. Interessanterweise war das ein Abschnitt in dieser Reportage, die wirklich sehr konkret war, ansonsten spart Simenon in dieser Reportage mit Fakten - was uns in der heutigen Zeit bei diesem Thema etwas merkwürdig vorkommen wird. Interessant ist an dieser Reportage allemal, dass die Krisen der heutigen Zeit nur geringfügig moderner sind als die der damaligen Zeit.

Ebenfalls sehr interessant sind die Reportagen über die Polizei- und Justizarbeit der damaligen Zeit. In »Eine Premiere auf der Insel Ré« beschreibt Simenon die Verschiffung von Häftlingen an das andere Ende der Welt in Strafkolonien. In einer Zeit, in der in Frankreich selbst Hinrichtungen noch öffentlich durchgeführt werden konnten (das letzte Mal übrigens am 17. Juni 1939 - während der letzte Mensch am 10. September 1977 in Frankreich hingerichtet wurde), war eine solche Verschiffung auch ein großes Ereignis, das Medienvertreter genauso anzog wie die Angehörigen der Verurteilten und neugieriges Volk. Ich mag mir übrigens nicht vorstellen, wie die heutige Berichterstattung aussehen würde, wenn es die Strafe in Europa oder Amerika geben würde - da läuft einem gleich ein kalter Schauer über den Rücken.

Nachdem Simenon seine ersten Maigrets veröffentlicht hatte und einige Bekanntheit erlangt hatte, ergab sich für ihn auch die Möglichkeit die Polizeiarbeit zu beobachten. Die Ergebnisse dieser Recherchen kann man in den Berichten »Police Judiciare« und »Polizeiwache« nachlesen, die ein lebendiges und interessantes Bild der Arbeit der Polizei der damaligen Zeit beschreiben.

Die letzte noch unerwähnte Reportage in dem Band befasst sich mit der Affäre Stavisky. Die Affäre, die später auch verfilmt wurde, mag ein Aufreger in der damaligen Zeit gewesen sein. Aber da erschwindelt sich einer Millionen zusammen mit skrupellosen Politikern. Entweder mag es aus heutiger Sicht mehr interessant sein, weil wir die Beteiligten und Betroffenen überhaupt nicht kennen und ja alles solang her ist, oder, vielleicht auch eine Erklärung, es liegt daran, dass wir uns an so etwas mittlerweile gewöhnt haben.

Die Reportagen aus dem zweiten Band wirken heute sogar noch ein wenig angestaubter: So berichtet Simenon in »Am Rande der Meridiane« und in »Die Gangster im Liebesarchipel« über seine Reisen mit dem Schiff in die USA beziehungsweise nach Französisch-Polynesien. Letzteres ist eine Sammlung von Anekdoten, die die Leser in der damaligen Zeit betroffen haben dürften. Aber die Patina, die auf der Geschichte liegt, lässt die gleichen Schlüsse zu wie die Stavisky-Reportage. Einen kleinen Unterschied gibt es allerdings: Wer die Reportage aufmerksam liest und das Werk von Simenon kennt, wird den Ursprung vieler kleiner Geschichten erkennen.

»Die Gangster vom Bosporus« ist eine Reportage über die Unterwelt von Istanbul - Simenon reiste in die Stadt und hatte nicht den Anspruch die Schönheit und den Reiz der Stadt zu beschreiben. Seiner Aussage nach, hätten das schon viele Dichter und Schriftsteller vor ihm gemacht - es wäre also gar nicht mehr notwendig. Nein, der Abstieg, das Unschöne, das interessierte den Belgier. Dumm nur, dass ihm die Polizei keine Nachhilfe geben wollte und so musste er sich selbst auf die Suche machen.

Selbst gesehen hatte Simenon auch die unwürdigen Verhältnisse der Passagiere auf den Zwischendecks seiner Reisen. Er war in den dreißiger Jahren oft mit dem Schiff in der Welt unterwegs gewesen und hat davor nicht die Augen verschlossen und offenbar sich mit den Verhältnissen auch auseinander gesetzt. Sonst hätte er die Situation der armen Leute nicht so beschreiben können, wie er es in »Menschenfracht« getan hat.

Und selbstverständlich war Simenon auch in Amerika mit dem Auto unterwegs. Aus diesem Erlebnis entstand die Reportage »Mit dem Auto durch Amerika«.

Einige Reportagen sind nicht in diesen beiden Bänden erschienen. Sein Besuch bei Trotzki ist nur in den Simenon-Lesebüchern des Diogenes-Verlages erschienen. Andere Reportagen, wie beispielsweise seine Begegnung mit Hitler (Zusammentreffen kann man es auch nennen) oder seine Reportage über die Geschehnisse auf den Galápagos-Inseln, die später auch zu einem Roman verarbeiten wurden, sind überhaupt nicht im Diogenes-Verlag erschienen.

Zusammenfassend kann man sagen: Ein Teil der Reportagen ist auch heute noch sehr interessant und lesenswert. Andere Reportagen aus der Sammlung lassen sich heute nur noch mit Mühen lesen, wahrscheinlich am ehesten, wenn man ein historisches Interesse an dem Thema hat. Allesamt lassen aber Rückschlüsse auf die Arbeitsweise Simenon zu und zeigen, wie nach Simenon mit seinen Ideen für Romane und Erzählungen am Puls des Lebens war.