Die Spur führte nach St. Pauli
Wenn sich der Schauspieler Rupert Davies in den sechziger Jahren auf den Weg nach Deutschland machte, dann war ihm die Medienaufmerksamkeit gewiss. So auch bei seinem Besuch 1965 in Hamburg, bei dem er von Reportern des HÖRZU begleitet wurde. Der britische Maigret auf St. Pauli – das gab eine Story.
»Schreiben Sie bitte Ihren Namen in den Führerschein«, bat ein Hafenarbeiter den Fernsehkommissar Maigret auf der Davidswache, Hamburgs berühmtem Polizeirevier an der Reeperbahn. »Vielelicht bringt es mir Glück. Ich kann es brauchen.« Und Rupert Davies, englischer Schauspieler von Beruf, Kommissar Maigret in der Volksmeinung, tat ihm den Gefallen. Unter den Augen der Polizisten.
Auch sie sahen den Mann im hellen Trenchcoat den berühmten Pariser Kommissar. Sie wunderten sich nicht einmal über seine Anwesenheit. Die Hafengegend, das Vergnügungsviertel, ist doch sein Revier.
Und es war seine Welt. Rupert Davies, in 52 Filmen die Gestalt des Kommissars, erlebte zum ersten Male wirkliches »Milieu«. Ohne Probe. Ohne Regisseur. Und, abgesehen vom HÖRZU-Fotografen, ohne Kamera.
Die Damen des Gunstgewerbes holten ihn in ihre Straße, damit er Autogramme schreibe. Aus allen Winkeln kamen sie an. Mit Blöcken, mit Schulheften oder mit einem zerknitterten Papier.
Rupert Davies weiß manchmal selbst nicht, ob er nun der Schauspieler oder der Kommissar ist. Auf alle Fälle ist er alles andere als ein guter Verbrecherjäger.
Eigentlich ist er Seemann. Als Leichtmatrose war er 1938 für eine Nacht in Hamburg. Als er zum zweiten Male nach Deutschland kam, war er ein abgeschossener Beobachtungsflieger, ein Captain, der im Kriegsgefangenenlager sein schauspielerisches Talent entdeckte.
Kriminalstücke hat sich Rupert Davies nie angesehen. Und Kriminalromane nur ganz selten gelesen.
Um so überraschter war er, als ihm vor fünf Jahren von der BBC angeboten wurde, in einer Fernsehserie den Pariser Kommissar zu spielen. Er, der Engländer, der so gar nichts Französisches an sich hat. Das glaubte er wenigstens.
Der Krimischriftsteller Georges Simenon war anderer Ansicht. In Davies sah er seine Figur leben. Die Art, wie er die Pfeife stopft, wie er sich in verzwickten Situationan am Kopf kratzt,dieser Davies war genau so, wie Simenon seinen Maigret immer wieder beschrieben hatte.
Waschkörbe voller Briefe zeigen Davies dauernd: Die Zuschauer glauben an seine (gespielte) Fähgikeit, jedes Verbrechen aufklären zu können. Wildfremde Menschen rufen ihn mitten in der Nacht an, um seinen Rat zu bekommen. Sie hoffen auf den Mann, der sich, wenn es nötig ist, nicht um bürokratische Vorschriften kümmert. Der der Gerechtigkeit immer zum Siege verhilft. Auch wenn es etwas außerhalb der Legalität sein sollte.
Als er über die Reeperbahn ging, sahen ihn die Leute mit dem Respekt an, den man in diesem Viertel einem berühmten Kriminalisten entgegenbringt.
Denn, so mag mancher gedacht haben, vielleicht war es doch der Kommissar von Paris, der eine Spur nach St. Pauli verfolgte? Und nur so tat, als sei er der englische Schauspieler Rupert Davies.
Quelle: HÖRZU 23/1965