Memoiren

Hans Altenhein

Die zweite Wahrheit


Was geschieht hier? Der Autor S. erweckt seine Figur M. zum Leben und lässt sie ihr Leben erzählen, wobei M. auch das, was S. erzählt, wiedererzählt und so sich selbst begegnet: Wie auf einer Fotografie erkennt er sich, und erkennt sich doch nicht ganz.

»Im Laufe der Jahre ging es mir so mit dem Maigret von Simenon, der sich neben mir immer weiter auswuchs, bis mich am Ende manche Leute allen Ernstes fragten, ob ich seine Eigenheiten kopiere.«
(»Pendant des années, tel à eté mon cas avec de présence de Maigret de Simenon, que je voyais grandir chaque jour a mon côté, au point qu’â la fin des gens me demandaient de bonne foi si je avais copié ses tics.«)

Nicht nur Maigret löst sich im Erzählen des Erzählten auf, auch der Autor beginnt, seine Identität zu verlieren. »Wissen Sie, daß Sie in den letzten Jahren angefangen haben, auf die gleiche Art zu gehen, die Pfeife zu rauchen, ja sogar zu sprechen wie Maigret?«, fragt der fiktive Maigret den fiktiven Simenon. Durch die doppelte Spiegelung entsteht unversehens eine zweite Wahrheit, »une verité avec une verité«. 

Mit diesen Memoiren stimmt etwas nicht, der Verlag habe das Buch angenommen, bevor es überhaupt geschrieben war, Titel und Zwischentitel stammten nicht von seinem Autor, heißt es darin. Er will eigentlich keine Memoiren schreiben, sondern nur nachholen, was bei Simenon fehlt: Seine Jugendgeschichte, die erste Begegnung mit Madame Maigret. Nicht zufällig denkt der Autor Maigret an seine Abbilder im Kino, Pierre Renoir gefällt ihm in der Rolle des Kommissars noch am besten. Das wiederum ist eines der versteckten Zitate aus der Wirklichkeit (»La nuit du carrefour«Tatsächlich wollte Simenon den Schauspieler in einem eigenen Filmprojekt [»La Tête d’un homme«] besetzen.).

1969 schrieb ich: »Simenon stellt sich vor, wie es wäre, wenn Maigret denkt, daß Simenon meint, er selbst wäre Maigret.« Das ist ein Spiel, das Simenon sich erlaubt. Aber nicht nur das: »Les Mémoirs de Maigret« führt das lesende Publikum tiefer in die Welt eines Serienhelden ein. Was kann der Serienautor Besseres tun.