Paris

G7


Natürlich ist es schön, dass demnächst die Maigrets wieder lieferbar sind. Keine Frage ist es toll, dass lang vermisste Romane wie »Der Schnee war schmutzig« in Neuübersetzungen vorliegen werden. Aber möchte ein Simenon-Leser nicht hin und wieder – ganz so wie bei Raumschiff Enterprise – in unbekannte Galaxien vordringen? Im Herbstprogramm von Kampa gibt es diesbezüglich ein Fixstern: G7.

Unter dem Titel »Das Rätsel der Maria Galanda« erscheint im Oktober ein Band mit vier Erzählungen, die aus dem Frühwerk von Georges Simenon stammen, und bisher in deutscher Sprache noch nie veröffentlicht wurden.

Einen Nachhall fand dies bisher nicht. Vielleicht ist das Werk von Simenon so riesig, dass die zuständigen Redakteure dies mit einem Schulterzucken abtun, nach dem Motto: »Wer sollte denn alles veröffentlichen, was der Kerl geschrieben hat?« So kann man es sehen. Allerdings habe ich mitbekommen, dass man wenn man ein wenig an der Oberfläche kratzt, man oft feststellt, an was für interessanten Orten Simenon gewesen war und/oder mit was für faszinierenden Menschen er zu tun hatte.

Nehmen wir die erste Erzählung dieses Sammelbandes – »Die Verrückte von Itteville«. Diese war zum Zeitpunkt des Erscheinens eine Novität. Es handelte sich um einen Fotoroman, Simenon lieferte den Text und Germaine Krull die Fotografien. Ein wenig merkwürdig ist, dass es in dieser Form nie wieder aufgelegt worden ist. Wer eine Geldanlage sucht, dürfte mit dem Erwerb dieses Titels bei einem Antiquar seines Vertrauens nicht schlecht liegen. Wenn er denn einen Antiquar findet, der ihm das Buch verkaufen kann. Es gab einen Vertrag über einen weiteren Roman dieser Art – »L’Affaire des 7« –, der aber nicht erschien, da der erste Band kommerziell nicht erfolgreich genug gewesen war.

Das ist aber gar nicht der interessante Aspekt, auf den ich in diesem Fall hinauswollte. Der findet sich vielmehr in der Person der Fotografin: Germaine Krull. Der Artikel in der französischen Wikipedia ist mindestens doppelt so lang, wie der in der deutschen. Das verwundert insofern, da es sich beim Germaine Krull um eine Deutsche handelte. Sie wurde im Jahr 1897 in Posen geboren und kam mit 15 nach München. Dort ging Krull auf die Lehr- und Versuchsanstalt für Photographie, Chemie, Lichtdruck und Gravüre. Zwei Jahre später eröffnete sie ein Fotoatelier in München. Ein bekannteres Motiv von ihr, welches auch in der deutschen Wikipedia zu finden ist, ist ihre Fotografie des bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisners, auch wenn ihr Name dort nicht erwähnt wird.

Ihre Verbindung zu Kommunisten während der Zeit der Räterepublik bescherten ihr 1920 eine Ausweisung aus Bayern. In Moskau, wohin sie zuerst zog, fand sie kein Glück. Im Gegenteil: Sie geriet in die Hände des Geheimdienstes, wurde verhört und soll auch einer Schein-Hinrichtung unterzogen worden sein. Danach lebte sie kurz in Amsterdam, später in Paris. Dort verliebte sie sich in eine Frau namens Elsa, heiratete später aber den holländischen Dokumentarfilmer Joris Ivens, mit dem sie auch zusammenarbeitete. Was aus der Ehe wurde, wird in den Lexikon-Einträgen nicht erwähnt (weder in der deutschen noch in der französischen). In einer Biographie über den Regisseur ist dann auch zu lesen, dass nicht alle Freunde mit der selbstbewussten Frau zurechtkamen. Schon lange vor der Eheschließung ließ Krull sich selbstbewusst Briefpapier anfertigen, auf dem sie ihren Namen mit Krull-Ivens angab.

Schaut man sich die Lebensläufe der beiden Eheleute an, kann man zu zwei Schlüssen kommen: Die Ehe war sehr erfolgreich, weil sie sich nie sahen und es deshalb nichts zu berichten gab; oder sie wurde nach einiger Zeit geschieden, weil die Leute an zu verschiedenen Ecken dieser Welt lebten. (Eine Biographie der Dame ist schon bestellt, sollte ich etwas herausfinden, werde ich das gewiss nachtragen.)

Anfangs arbeitete Krull in der Werbefotografie und beschäftigte sich mit experimenteller Akt-Fotografie. Später wurde der technische Fortschritt Thema ihrer Fotografie.

Ihre weiteren Stationen waren Südamerika und Afrika, berichtete aus dem Indochina-Krieg, bevor 1945 in Bangkok die Leitung des Hotels »Oriental« übernahm und dort 22 Jahre arbeitete. Nach ihrer Ablösung dort, sie war zu dem Zeitpunkt schon siebzig Jahre alt, zog sie es nach Indien. 1985 verstarb sie in Wetzlar und ihr künstlerischer Nachlass wird im Essener Folkwang-Museum verwaltet.

Vielleicht habe ich jetzt dem einen oder anderen den Mund wässrig gemacht. Aber im Kampa-Band erscheint die jedoch Erzählung in reiner Text-Form ohne die Abbildungen von Krull.

Die anderen drei Erzählungen erschienen zuerst in der Zeitschrift »Marianne«. Sie wurden dann schließlich 1938 bei Gallimard im Band »Les Sept Minutes« veröffentlicht. Bei den Erzählungen handelt es sich um:

  • Grand Langoustier (Le Grand Langoustier)
  • Siebenminutennacht (La nuit des sept minutes)
  • Das Rätsel der Maria Galanda (La croisière invraisemblable)

Letztere Geschichte wurden dann im Sammelband, der bei Gallimard erschien, umbenannt und heißt seitdem »L’énigme de la Marie-Galante«.