Komparsen
Sie werden nicht so fein skizziert wie Opfer, Zeugen und Täter und stehen trotzdem im Scheinwerferlicht: Die Mitarbeiter Maigrets wie Lucas, Janvier und Lapointe. Eine Würdigung.
Der engste Kreis um Maigret hatte eine kurze und prägnante Anrede für den Vorgesetzten: Chef! Abgesehen davon, dass für Außenstehende sofort klar wird, wer denn den Hut in der Gruppe auf hat, zeigte diese Anrede einen anderen, ziemlich wichtigen Aspekt: Mit diesem kurzen Wort wird Loyalität und bedingungslose Unterstützung demonstriert.
Das mag, zugegeben, eine Interpretation sein, die den heutigen Verhältnissen geschuldet ist, denn in der Zeit Maigrets dürften Zweifel am Vorgesetzten niemals laut geäußert worden sein. Zumindest finden sich in den Maigret-Romanen keine Indizien, dass jemand aus dem engeren Kreis probiert hätte, sich an Maigret zu reiben. Die heute in Krimis fast üblichen Kleinkriege zwischen Inspektoren und Vorgesetzten sind für die heile Maigret-Welt unvorstellbar.
Der Einzige, der Vorschriften brach, ist der Kommissar. Aber auch hier zeigte sich, dass Widerspruch an solchem Vorgehen nie von den engsten Mitarbeitern kam. Der Widerstand gegen unkonventionelles Vorgehen des Kommissars zeigten entweder einflussreiche Persönlichkeiten wie Politiker oder es gab in den oberen Etagen der Polizeiadministration eine gewisse Unzufriedenheit.
Kein einziges Mal liest man, dass sich ein Untergebener Maigrets über die Methoden beschwert oder, heute auch ein gern genommenes Motiv in Kriminalromanen, ein Untergebener ein (angebliches) Fehlverhalten weitertrug, um selbst Karriere zu machen.
Die Nummer 1
Gäbe es eine Rangliste, dann gäbe es keinen Zweifel wer an oberster Stelle stehen würde – es wäre ganz sicher Lucas. Er hatte das engste Verhältnis zu Maigret und war in fast allen Fällen dabei.
Mit einer Ausnahme wurde Lucas von Maigret immer geduzt, und die eine Ausnahme dürfte darin begründet liegen, dass der Autor des Romans noch nicht mit seiner Erfindung »Lucas« warm geworden war. Maigrets Nummer 1 blieb dagegen immer beim förmlichen »Sie« und redet vom »Chef«.
In »Maigret amüsiert sich« gibt es eine Schilderung des Inspektors:
»Ein kleiner dicker Mann, der beim Laufen hüpft.«
Treffender kann man es wohl nicht formulieren. Ein Inspektor würde bei einer Personenbeschreibung noch hinzufügen, dass der Mann die Angewohnheit hatte, das linke Bein etwas hinterherzuziehen.
Lucas war etwa zehn Jahre jünger als Maigret. Was den Familienstand angeht, so streut Simenon den Leserinnen Sand in die Augen: Mal ist er verheiratet und hat Kinder, an anderer Stelle wiederum heißt es, dass er weder Frau noch Kinder hat.
In der Erzählung »Mademoiselle Berthe und ihr Geliebter« wird gar ein trauriges Ende des Inspektors verkündet: Er soll kurz vor der Pensionierung Maigrets erschossen worden sein.
Der Mittlere
Albert Janvier war Raucher. Das ist wahrscheinlich gar nicht mal so untypisch für die damalige Zeit, aber es fällt deshalb etwas ins Auge, da er sich beim Anzünden einer Zigarette einmal Anschießen ließ. Das war der Roman, der ihm gewidmet war, in dem Maigret für ihn kämpfte: »Maigret als möblierter Herr«.
Solide ist das richtige Wort für den Inspektor. Er erlebte keine besonderen Abenteuer mit dem Kommissar. Da er nicht als besonders groß oder besonders klein geschildert wird, muss man davon ausgehen, dass er eine normale Statur besaß. Dafür stachen seine Haare ins Auge, denn er war rothaarig, was bei Observationen hinderlich sein konnte. Aber damals trug man ja auch noch Hüte.
Er war etwa zwanzig Jahre jünger als Maigret, war verheiratet und hatte vier Kinder (mindestens, muss man dazu sagen). Janvier wohnte in einem kleinen Haus in Juvisy, einem Vorort von Paris. Der Garten war klein und die Frau übrigens recht nett.
Der Auffällige
Dafür, dass er schon im ersten Fall den Abgang machte, zeigte sich Torrence später quicklebendig. Er scheint immer ein weniger lauter gewesen zu sein, als die anderen. Größer und kräftiger sowieso. Auch er gehörte zur Kern-Mannschaft von Maigret und wurde gern von ihm für Aufträge herangezogen. Es ist jedoch sehr selten, dass Torrence mit Maigret gemeinsam zu Vernehmungen außerhalb des Quais ging.
Bei Lucas und Janvier ist der weitere Karrieregang nicht ganz klar. Torrence jedoch bekam sein eigenes Spin Off von Simenon verpasst: Es ist bekannt als er als Detektiv zur Agence O wechselte, um dort den Hauptdetektiv zu mimen und er ließ natürlich auch seine Beziehungen zum Quai des Orfèvres spielen.
Der Kleine
Der »kleine« Lapointe war der dritte Stamminspektor im Maigret-Team. Er fing kam als Letzter in die Abteilung und das war etwa 16 Jahre vor Maigrets Pensionierung.
In den Anfangsjahren wurde er in »delikaten« Situationen sehr schnell rot – Lapointe zog solche delikaten Situationen gerade zu an, wie die Geschichte mit der Tänzerin Arlette zeigt.
Lapointe verehrte Maigret und wurde, wenn dieser ihn anredete, ziemlich schnell unruhig zuweilen sogar tollpatschig. Am Quai wurde gesagt, dass Lapointe Maigrets Lieblingsinspektor war.
Der Gründliche
Es gab zwei Menschen, die konnte Maigret gar nicht schnell genug am Tatort erwarten. Einer von den beiden hieß Moers und arbeitete beim Erkennungsdienst der Pariser Kriminalpolizei.
Da Moers alleinstehend war, war er praktischerweise zu jeder Tag- und Nachtzeit für Maigret erreichbar. Wollte Maigret etwas wissen (Fingerabdrücke auf Briefumschlägen u.ä.), musste er allerdings mühsam die Treppen ersteigen, bis er das Refugium Moers unterm Dach erreichte. Aber es lohnte sich und der Erkennungsdienstler löste manchmal Fälle fast im Alleingang.
Maigret und Moers waren gleichaltrig.
Der Gerichtsmediziner
Ebenfalls gern gesehen an einem Tatort war Dr. Paul. Der Gerichtsmediziner wurde von Maigret sehr geschätzt, schnell genug konnte keiner der Obduzierten für Maigret arbeiten. Dr. Paul war ungefähr fünfundzwanzig Jahre älter als Maigret.
Er autopsierte seine »Kundschaft« bis zu seinem Tod im 76. Lebensjahr. Vom Äußeren her ist Dr. Pauls Bart bei der Pariser Polizei eine Legende. Von dem Arzt hieß es, er wäre ein Pariser Arzt, wie er typischer nicht sein könnte, heißt es.
Der Gerichtsmediziner nahm am gesellschaftlichen Leben der Stadt teil, er war Freund aller großen Schauspieler.
Seine Nachfolger hießen übrigens Dr. Lamalle, Dr. Desalle, Dr. Tudelle und Dr. Colinet.
Der Griesgram
Einer soll in der Aufzählung nicht vergessen werden: Lognon. Er war nicht der typische Untergebene von Maigret, und ich bin mir nicht einmal sicher, ob Maigret Weisungsbefugnis hatte, schließlich arbeitet Lognon auf einem Revier und nicht direkt unter Maigret.
Der Mann hätte, was Ermittlungen angeht, das Zeug zum Kommissar gehabt. Sein Problem: Er hatte kein Faible für Prüfungen und versagte regelmäßig. Lognon war ein griesgrämmiger und kauziger Mensch, der das, was er machte, irgendwie falsch machte. Das lag aber vornehmlich daran, dass er der Welt zeigen wollte, wie schlecht sie gegen ihn ist.
Womit er eigentlich ziemlich daneben lag, denn nur einmal hat er richtig Pech gehabt: bei der Wahl seiner Frau. Madame Maigret hatte bei einem ihrer Besuche festgestellt, dass Lognons Frau nur krank war, um den Misserfolg, den er hatte, zu rächen. Eine gute Methode, jemanden zweimal zu bestrafen.