Neuanfang


Ein neues Land, neue Gewohnheiten, eine neue Sprache und eine neue Frau. Simenon reist nach und durch Amerika, unstet wie immer, begibt sich in eine ungewisse und komplizierte Beziehung. Am Anfang war natürlich nur Sonnenschein. Simenon zeigt neue, nicht unbedingt positive Seiten.

Nun kann man bekanntermaßen nicht einfach beschließen, dass man von einem Land in das andere zieht und dort sein Leben verbringt. Da müssen gewisse formale Bedingungen schon erfüllt sein - beispielsweise wäre ein Visum nicht schlecht. Staaten, den es verhältnismäßig gut geht, sind in der Regel nur bis zu einem gewissen Grad bereit, Fremde aufzunehmen und in die Gesellschaft zu integrieren. Da machten die USA keine Ausnahme und für Simenon, der in den USA kaum einen Namen hatte, wurde von dieser Regel auch keine Ausnahme gemacht.

Für Simenon, bis in diese Phase seines Lebens ein Glückskind, tat sich ein Türchen auf. Ein ihm bekannter Journalist war in der Regierung untergekommen und verschaffte Simenon einen Auftrag der französischen Regierung, der für Kontakte zu amerikanischen und kanadischen Verlegern aufnehmen sollte. Wenn sich da jemand fragt, was denn das für ein obskurer Auftrag ist, er wird sich die Frage selbst beantworten müssen. Es war der Türöffner für Simenon und er hat gewiss mit amerikanischen und kanadischen Verlegern Kontakt aufgenommen, wobei es allerdings um seine ureigensten Interessen ging. Diese Mission sollte ihm übrigens später noch einmal ein paar Sorgen bereiten.

Von Paris flog er mit Tigy und Marc nach London, wo er sich um eine Überfahrt in die Vereinigten Staaten bemühte. Ganz leicht war das nicht, da der gesamte Verkehr in Richtung Übersee von wenigen Häfen abgewickelt wurde - Flugzeuge hatten, das muss man sich vor Augen halten, noch keine Bedeutung beim Massentransport. Aber es gab dann auf einem kleinen Dampfer was, auf dem sich Tigy und Marc eine Kabine teilten und Simenon mit einem Schmuggler zusammenwohnte.

Am 5. Oktober 1945 landeten dann Simenon und Familie in New York an und blieben zehn Tage in der Stadt. Simenon nutzte die Zeit, seinen amerikanischen Verlag Harcourt Brace zu besuchen. Anschließend wechselte die Familie nach Montreal. Sie ließ sich in der Nähe der Stadt in Sainte-Marguerittee-du-Lac-masson nieder und mietete dort zwei Bungalows an.

Schule, warum nicht?
Was hätte aus dem Mann werden können? Er ging auf ein humanistischen Gymnasium und seine Mutter Henriette hatte ihn für das Priester-Beruf vorgesehen. Eine Mädchen-Geschichte sollte dafür sorgen, dass sich Simenons Bildungsweg etwas änderte. 
Meister gesucht!
Was willst’e denn werden? Die Frage dürften auch den jungen Sim genervt haben. Wie schon beim der Gymnasiums-Auswahl war es auch hier die Mutter, die den ersten Beruf für Simenon aussuchte: Nach ihrem Willen würde er als Konditor glücklich werden. Wenn das geworden wäre, hätten wir heute vielleicht eine weltberühmte Tarte Maigret und würden den Kommissar missen. 
Erste Gehversuche
Der Journalismus ist der Wahrheit verpflichtet. So halten es viele Journalisten. Die, die es nicht so damit haben, sollten vielleicht Schriftsteller werden. So wie Georges Simenon, der seine Stärken eindeutig im Fiktionalen sah. Erst nahm er sich die Kurzgeschichte als literarische Form vor, dann den Roman. Erste Gehversuche eines Schriftstellers. 
Ein Belgier erobert Paris
Sie haben nicht auf ihn gewartet: Jeden Tag kamen an den Bahnhöfen von Paris Menschen an, die ihr Glück in der Stadt versuchen wollten. Wie Simenon es selbst in seinen Romanen beschrieb, waren es oft Leute aus dem Norden: Polen, Deutsche und halt auch Belgier. Wie Simenon, der am 14. Dezember 1922 in Paris eintraf. 
Der Name Simenon zählt nicht
Als Produzent von Groschenromanen muss man in kurzer Zeit viele Worte aufs Papier bringen. Der eigene Name wird aus dem Geschäft herausgehalten. So müssen Christan Brulls und Georges Sim erst einmal herhalten. 
Unstet
Nimmt man es genau, so schrieb Simenon nur über Orte, die er schon einmal gesehen hat. Was wäre uns entgangen, wenn er nicht so häufig gereist und umgezogen wäre? Auch die dreißiger Jahre verbrachte er recht stets auf der Suche nach einer Heimat. Im Anmarsch: Der Krieg und das erste Kind. 
Im Krieg
Simenon machte um den Krieg einen großen Bogen, schließlich hatte er im ersten Weltkrieg den Einmarsch der Deutschen erlebt. Er kümmerte sich um belgische Flüchtlinge und machte Geschäfte mit deutschen Filmfirmen. Das mochte Geld bringen, aber auch Ungemach... 
Lakeville
Glück ist immer relativ: Simenon sollte auch nach dem Leben auf der Shadow Rock Farm beruflich erfolgreich sein. Was das familiäre Glück jedoch betraf, begannen schwierige Zeiten. Ein Abriss über die letzten wirklich glücklichen Jahre Simenons, Besuche in Europa und den ersten Brüchen. 
Fortsetzung der Krise
Simenon suchte Wege, seine Frau aufzuheitern. Eine Chance sah er in der Rückkehr nach Europa, aber es wurde nicht besser sondern immer schlimmer. So begann sich bedingungslose Liebe in bedingungslosen Hass zu wandeln. Interessanterweise merkte man es den Romanen nicht an. 
Altern im Unglück
Was nützt der berufliche Erfolg, wenn das Privatleben keine Erfüllung bringt: die Frau war Weg, geblieben war nur Hass, der in der Öffentlichkeit ausgetragen wurde; die Tochter liebte einen abgöttisch und verursachte damit neue Probleme. Der Maigret-Autor schien irgendwie merkwürdig zu sein. 

Montreal war ideal für Simenon: Es war die französischsprachige Gegend von Kanada (Quebec) und er konnte sich in seiner Sprache verständigen und in das dortige Leben eingewöhnen.

Simenon suchte eine Sekretärin und einer Freund hatte eine Empfehlung für ihn. Vielmehr noch, kümmerte er sich, und sorgte dafür, dass sich die Empfehlung mit Simenon traf: Denyse Ouimet hatte eigentlich eine andere Stelle in Aussicht, der Posten der Chefsekretärin in einem großen Unternehmen lockte. Aber andererseits hatte sie ihrem Freund versprochen, zumindest mit Simenon zu sprechen.

Simenon hatte ein angenehmes und freundliches Wesen, so dass auch nicht bekannt ist, dass er mit vielen Leuten über Kreuz gelegen hätte. Allerdings begann die Beziehung zwischen dem Schriftsteller und der kanadischen Sekretärin mehr als ungünstig. Simenon hatte einen Bekannten besucht und sich mit ihm »verquatscht«. Er kam zu dem Treffen zu spät. Denyse Ouimet hingegen hatte sich pünktlich in dem Restaurant eingefunden und schon bestellt. Allerdings hatte sie kein Geld dabei, da sie sich, den damaligen Gepflogenheiten entsprechend, darauf verlassen hatte, dass ihre Rechnung von dem Mann übernommen wird. Die Unruhe, die in einem in einer solchen Situation aufsteigt, kann man gewiss verstehen, den Ärger auch. Als Simenon dann eintraf, stand es mit der Laune der Frau nicht zum Besten.

Diesen ungünstigen Vorzeichen zum Trotz wurde sie Simenons Sekretärin und Geliebte (das ging Hand in Hand), später dann auch seine Frau und Mutter dreier seiner Kinder.

Dieser Abschnitt ist hier gewiss verkürzt wider gegeben, aber es soll an anderer Stelle darauf noch ausführlicher eingegangen werden. Es ist auch allgemein bekannt, dass Simenon diese Begegnung mit Denyse in dem Roman »Drei Zimmer in Manhattan« verarbeitet hat.

Es gab zwischen Tigy und Simenon eine Vereinbarung, die besagte, dass sich Simenon durchaus außerhalb der Ehe verlustieren dürfte, dass er aber auch keinen Fall eine Mätresse im Haushalt unterbringen dürfe. Diese Vereinbarung kippte am 4. Janaur 1946. An dem Tag holte Simenon Denyse nach Montreal und stellte sie als neue Sekretärin vor. Tigy war zu dem Zeitpunkt nicht auf eine neue »Front« eingestellt: Sie hatte noch Boule im Auge und versuchte zu vermeiden, dass Simenon diese nach Kanada nachholte. Ein aufkommender Verdacht wurde erstickt, als ihr Denyse Modell stand und sie sah, dass Denyse eine Narbe hatte. Simenon hatte Tigy mal erklärt, dass er mit Frauen, die eine Narbe hätten, nicht schlafen könnte. Eine praktisch, aber leider unwahre Behauptung.

Umso überraschter dürfte sie gewesen sein, als Simenon erkrankte und erklärte, er würde sich von Denyse pflegen lassen und zog in deren Zimmer ein, aus dem er auch nach seiner Genesung nicht mehr auszog. Man kann gewiss verstehen, dass Tigy verärgert und enttäuscht von Simenon war, schließlich hatte er sie wieder getäuscht.

Simenon sagte, dass er in Denyse seine große Liebe gefunden hatte. Für ihn war es noch eine Steigerung, dass er sie nicht nur liebte, sondern auch guten Sex haben konnte. Später schrieb er über Denyse, dass sie die komplizierteste Frau gewesen sei, die er kannte. Konfliktfrei war die Beziehung nur in einer Beziehung: Simenon war frei. Es war Denyse egal, ob Simenon Verkehr mit anderen Frauen hatte - im Gegenteil: Sie besuchte mit ihm zusammen Bordells. Während er sich vergnügte, unterhielt sie sich normalerweise mit den Angestellten.

Der Alkohol-Konsum Simenons in den dreißiger Jahren dürfte recht mäßig gewesen sein, was gewiss an seiner ländlichen Lebensweise und den daraus resultierenden Pflichten lag. Durch die Beziehung mit Denyse wurde das anders: Es gab Trinkgelage, die in Gewalt gegen seine Geliebte mündeten. Opfer ist Opfer und es hat immer ein Geschmäckle, wenn man dem Opfer eine Mitschuld an der Tat gibt. Bekannt ist, dass Denyse Simenon gerade im alkoholisierten Zustand gern provozierte, zum Beispiel in dem sie meinte, sie hätte vor dem Kennenlernen noch nie ein Buch von ihm gelesen und wüsste nicht, ob sie seinen Namen schon einmal gehört hätte.

Es mochte die große Liebe Simenons gewesen sein, unter einem guten Stern stand sie nicht.

Im Sommer 1946 entschloss sich Simenon zu einer Reise quer durch Amerika: Seine Englisch-Kenntnisse reichten aus und so fuhr man, wie später in einer Reportage auch beschrieben, von Kanada in Richtung Süden. So landete man in zwei Wagen schließlich in Florida, wo sich Simenon in Bradenton Beach niederließ.

Von dem Leben in Amerika beeindruckt, beschloss Simenon sich ein anderes Visum zu beschaffen, um einen dauerhafteren Aufenthalt in Amerika zu gewährleisten. Die Überraschung war groß bei dem Schriftsteller, als man ihm mitteilte, dass man solche Visa nur im Ausland erteilen könne. So reiste Simenon nach Havanna und beantragte bei der dortigen Botschaft ein Visum für die USA. Nun machte ihm aber sein erstes Visum ein Strich durch die Rechung. Er könne, so bedeutete man ihm, nur ein neues Visum bekommen, wenn man die Bestätigung hätte, dass seine Mission im Auftrag der französischen Regierung erledigt wäre. So eine Bestätigung war schwer zu finden, denn in den Regierungsstellen fand sich keiner, der genau über die Mission Simenons Bescheid wusste. Eine verfahrene Situation, die erst nach einer ganzen Weile geklärt werden konnte.

Aber nicht nur die Behörden waren dabei, das Leben Simenons zu verkomplizieren, trug ihren Teil dazu bei. Tigy fuhr 1947 nach Frankreich und als sie zurückkam, »hielt sie den Augenblick gekommen, das häusliche Leben ihres Mannes ein wenig zu komplizieren«, wie Marnham schreibt. Boule sollte in den gemeinsamen Haushalt einziehen.

Boule stieß aber erst im Sommer 1947 zu der Familie, da war Simenon schon samt Kind und Kegel von Florida nach Arizona gezogen. Sie ließen sich in der Nähe von Tuscon nieder und mit der Ankunft von Boule verkomplizierten sich die Verhältnisse wider Erwartungen aber nicht, sondern es kehrten geradezu paradiesische Verhältnisse für Simenon ein. Tigy war, um für Marc Mutter zu sein; Denyse war seine Geliebte und Sekretärin und Boule war, so wie es Simenon gewohnt war, Geliebte und Haushälterin. Denyse hatte keine Probleme mit Eifersucht und sah sich von Boule in ihren »vorehelichen« Pflichten ein wenig entlastet.

Der Status von Denyse (von Simenon übrigens Denise genannt und geschrieben) wurde Ende 1948 manifestiert, als sie schwanger wird. Damit kam zum ersten Mal die Möglichkeit einer Scheidung von Tigy auf. Nun hatte Simenon, nachdem er schon das Versprechen gebrochen hatte, keine Mätresse ins Haus zu bringen, Tigy versprochen, er würde sich nie von ihr scheiden lassen. Aber erneut stand der Bruch eines Versprechens vor der Tür und es verständlich, dass Tigy jede Menge Gründe hatte, von Simenon enttäuscht zu sein. Es fühlt sich nicht gut an, immer wieder belogen und betrogen zu werden und zusehen zu müssen, wie wichtige Vereinbarungen immer wieder gebrochen werden.

Tigy nahm sich einen Scheidungs-Spezialisten in Kalifornien und stellte hohe Forderungen an Simenon. Sie machte ihm unmissverständlich klar, dass bei seinem Verhalten er nicht mit großer Gnade bei einem Prozess rechnen dürfte. So wurde vereinbart, das Tigy das Haus in Nieul bekam, alle Aktien, die in Europa eingelagerten Möbel und die Gemäldesammlung sowie eine Unterhaltszahlung, die die Höhe eines kalifornischen Vorstandsvorsitzenden hatte. Von den wenigen Bedingungen, die Simenon durchsetzen konnte, war eine allerdings recht »heftig«: Tigy sollte maximal sechs Meilen vom Haus Simenons entfernt leben, zumindest so lang Marc wie sie den Sohn betreute. Sollte sie sich daran nicht halten, müsste sie ihr Obhutsrecht an Simenon abgeben und erhielte dafür ein wöchentliches Besuchsrecht.

Dies ist übrigens ein Punkt, der in den meisten Biographien keine Rolle spielt: Was ist mit Marc und wie mochte er sich in diesen Verhältnissen gefühlt haben. Boule kannte er als Haushälterin, aber dann drängte sich eine Frau in das Leben seiner Familie und zwar mit einer Vehemenz, die für einen Sechs- bis Neunjährigen einigermaßen verstörend gewesen sein dürften.

Im September 1949 wurde Johnny in Tucson geboren. Zu diesem Zeitpunkt war Tigy mit Marc schon in Kalifornien, weshalb auch Simenon in diese Richtung zog und sich in Carmel-by-the-Sea niederließ, einem Ort, an dem sich viele wohlhabende und erfolgreiche Künstler niedergelassen hatten.

Die Scheidung von Tigy wurde am 21. Juni 1950 in Reno besiegelt: Simenon hatte die silberne Hochzeit mit Tigy schon hinter sich gebracht und war 47 Jahre alt. Einen Tag später war er mit Denyse verheiratet.