Paul Celan – ein Übersetzungskrimi
Es war nur eine kleine Information, die irgendwo auftauchte und die besagte, dass Paul Celan für Kiepenheuer & Witsch Simenon übersetzt hätte, dass man mit den Ergebnissen aber nicht zufrieden gewesen wäre.
Es war nur eine kleine Information, die irgendwo auftauchte und die besagte, dass Paul Celan für Kiepenheuer & Witsch Simenon übersetzt hätte, dass man mit den Ergebnissen aber nicht zufrieden gewesen wäre. Wenn man bedenkt, dass die von Celan übersetzten Titel in der Form immer noch erhältlich sind, fragt man sich, was es wirklich mit der Information auf sich hat. Abhilfe schafft ein Blick in das Buch »Fremde Nähe – Paul Celan als Übersetzer«, welches als Katalog zu einer Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs 1997 erschienen ist. Andreas Lohr wertet anhand von Unterlagen aus Archiven, unter anderem der Stadt Köln, den Fall Simenon aus.
Paul Celan wurde als Paul Antschel am 23. November 1920 in Czernowitz (Rumänien) geboren. Als Sohn deutschsprachiger Juden wurde der in der Schulzeit diskriminiert, als sich abzeichnete, dass die Judenverfolgung akut wurde, ging er – im Gegensatz zu seinen Eltern – in den Untergrund. So überlebte er Judenverfolgung und Krieg, während seine Eltern in einem Lager starben (seine Mutter wurde hingerichtet). Nachdem Krieg ging er über Wien nach Frankreich, wo er sich mit Germanistik beschäftigt und als Lektor tätig ist. Ende der vierziger Jahre erschien sein erster Gedichtband, einen Namen macht sich Celan aber auch mit sehr guten Übersetzungsarbeiten.
Dieser Ruf war es auch, der den Verlag bewogen hatte, sich der Arbeit Celans für die Simenon-Ausgabe zu sichern. Der Verlag plante, die Maigrets in rascher Reihenfolge auf den deutschen Markt zu bringen. Die 1954 startende Reihe sollte ohne Unterbrechungen erscheinen. Hauptübersetzer der Reihe waren Hansjürgen Wille und Barbara Klau, die Simenon bis in die Mitte der siebziger Jahre für Kiepenheuer & Witsch sowie Heyne übersetzten. Wie genau Paul Celan an den Verlag geriet, lässt sich nach den vorliegenden Unterlagen nicht ermitteln. Fest steht, dass die Zusammenarbeit mit Joseph Caspar Witsch vereinbart wurde.
Die Fremdsprachenlektorin Alexandra von Miquel scheint in jenen Jahren die Hauptansprechpartnerin für Celan gewesen zu sein. Der Lyriker bekam die Aufgabe die Romane »Hier irrt Maigret« und »Maigret und die schrecklichen Kinder« zu übersetzen, zwei Romane, die Simenon Mitte der fünfziger Jahre schrieb.
Für Celan waren die Übersetzungsarbeiten ohne künstlerische Ambitionen verbunden, für den Verlag war wichtig, dass die Werke pünktlich für die Produktion vorlagen. Am 15. April 1954 bekommt er von der Lektorin des Verlags das erste Manuskript zugesandt. Am 1. Mai teilte Celan mit, dass er mit der Arbeit begonnen hätte und die ersten Ergebnisse Anfang Juni vorlegen würde. Mit Beginn der Arbeit bekam Celan auch einen Vertrag zugesendet. Für das erste Buch, so ist diesem zu entnehmen, stände ihm ein Honorar von 400 Mark zu, für das zweite Buch würde er 600 Mark bekommen. Andreas Lohr erläutert in dem Katalog, der diesem Artikel zugrunde liegt, dass das Honorar für das erste Buch nur auf den ersten Blick geringer wäre. Tatsächlich hätte Celan vor Vertragsabschluss schon 200 Mark von Heinrich Böll bekommen, und dieser Betrag wurde jetzt als Vorschuss verrechnet. Am 28. Mai sendete Celan den Vertrag zurück und berichtete, dass er sich auf eine Englandreise begeben würde, die seinen Terminplan etwas durcheinanderwirbeln würde, die Abgabe der Übersetzung würde sich etwas verzögern. Der Verleger Dr. Witsch hätte ihm gesagt, es würde keine sonderliche Eile bestehen, und deshalb nimmt er an, würde die Verzögerung keine Ungelegenheiten bereiten. Das dem nicht so ist, bekam Celan vom Verlag Anfang Juni mitgeteilt. In dem Schreiben wird davon gesprochen, dass als Erscheinungstermin der Herbst vorgesehen wäre und dass es dem Verlag auf jeden Tag ankommt.
Ende Juni bittet man ihn, sich bezüglich des Maigret-Manuskripts zu melden; es gibt ein Treffen mit der Lektorin in Paris, kurze Zeit später bittet Celan in einem Brief erneut um einen Aufschub und verspricht, das Manuskript bis zum 1. August abzuliefern. Als Grund gibt Celan an, dass er das Manuskript noch einmal komplett abtippen müsste. Er bittet:
Nehmen Sie mir diese neuerliche Verzögerung nicht allzu übel!
Man ist nicht nachtragend im Hause Kiepenheuer & Witsch und lobt seine Übersetzung. Celan freut sich über das Lob sehr und fordert nicht nur das Honorar an sondern auch den nächsten Maigret-Band zur Übersetzung. Mit diesem zweiten Maigret gerät er auch bald in Verzug. Der Band sollte Ende November abgeliefert werden, am 23. November 1954 bittet Celan den Verlag zum weitere zehn Tage. Da auch nach drei Wochen noch kein Manuskript im Verlag eingetroffen ist, schreibt Alexandra von Miquel an Celan:
Inzwischen sind allerdings die zehn Tage schon wieder vorbei und ich hoffe, dass es nur an der Post liegt, dass wir das Manuskript noch nicht da haben. Ich weiß zwar, dass Sie ein vielbeschäftigter Mann sind, aber wir warten nun doch schon etwas ungeduldig auf das Simenon-Manuskript. Durch diese Verzögerungen werden unsere Produktionspläne immer wieder über den Haufen geworfen, und wir möchten doch noch mehrere Simenon-Bändchen mit Ihnen machen.
Das Jahr geht herum, von Celan hatte der Verlag nichts mehr gehört. Anfang 1955 gab es eine telegrafische Mahnung an den Übersetzter. Celan reagierte auf diese ebenfalls mit einem Telegramm, in dem er mitteilte, dass er krank gewesen wäre und nicht hätte arbeiten können. Am 8. Januar wurde das Manuskript zur Post gegeben und Celan wartete auf eine Reaktion auf seine Arbeit. Da keine erfolgte, fragte er Anfang Februar bei Alexandra von Miquel nach, wie seine Übersetzung angekommen wäre. Da er Mitte Februar immer noch keine Reaktion aus dem Verlag vorliegen hat, fragt er bei am 19. Februar beim Verleger Caspar Witsch brieflich nach. Am 28. Februar kam die Antwort, von Alexandra von Miquel verfasst, und die Antwort dürfte Paul Celan überrascht haben.
In dem Brief schrieb die Lektorin, dass die Verzögerung der Abgabe die Produktionspläne durcheinander gebracht hätte, aber man aufgrund der Krankheit Celans Verständnis gehabt hätte. Anschließend kommt sie zur Sache:
Nur hat uns etwas anderes sehr bestürzt, und zwar die Tatsache, dass dieses Manuskript diesmal im Gegensatz zu der ersten Übersetzung »Hier irrt Maigret« alles andere als druckfertig war. Ich habe es der Eile wegen nicht mehr lesen können, sondern unser Co-Lektor hat es bearbeitet und er war ganz entsetzt. Der Unterschied zu dem ersten Manuskript ist so krass, dass wir schon beinahe annehmen, Sie haben kaum selbst daran gearbeitet, sondern sich irgendeinen Dilettanten dafür genommen.
Alexandra von Miquel führte weiter aus, dass man Stellen in der Übersetzung gefunden hätte, die so überhaupt nicht im französischen Original vorkommen würden. Es wären Stellen dazugedichtet worden, ausgelassen oder anderweitig verändert worden. Sie betont, dass, hätte man nicht unter Zeitdruck gestanden, das Manuskript zurückgesendet hätte. Sie gibt Celan zu verstehen, dass man sehr verärgert sei und bereit wäre, ihm die entsprechenden Stellen zu benennen. Ausdrücklich bittet sie ihren Übersetzen darum, klar zu sagen, wenn ihm Simenon nicht liegen würde. Gleichzeitig teilt sie mit, dass Dr. Witsch nicht bereit wäre, weitere Simenon-Übersetzungsarbeiten an Celan zu vergeben.
In einem Antwortschreiben vom 9. März teilt Celan mit, dass er zugeben müsse, dass er selbst der Dilettant gewesen wäre, der die Übersetzungsarbeiten vorgenommen hat. Er verwahrte sich gegen den Vorwurf, Texte hinzugedichtet zu haben, und bat um eine Übersicht der entsprechenden Stellen.
Die Korrespondenz zwischen Celan und dem Verlag endet an dieser Stelle. Interessant ist, dass die beiden von Celan übersetzen Maigret mit zu den auflagenstärksten Maigrets gehören, die im deutschsprachigen Raum erschienen sind. Während der erste von Celan übersetzte Titel mittlerweile in einer Neuübersetzung vorliegt, wurde der zweite, von Kiepenheuer & Witsch bemängelte, Titel bisher von Diogenes nicht in einer Neuübersetzung herausgebracht.
Celan hatte dieser Übersetzungspatzer nicht geschadet. Sein Weg als bedeutender deutschsprachiger Lyriker war vorgezeichnet. Im Jahre 1958 erhielt Paul Celan den Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen und 1960 den Georg-Büchner-Preis. Zu seinen bekanntesten Werken zählt die »Todesfuge«, einem Gedicht, in dem er sich mit der Judenverfolgung während der Nazizeit auseinandersetzt. Weitere Werke: Der Sand aus den Urnen (1948), Die Niemandsrose (1963), Atemwende (1967), Fadensonnen (1968), Lichtzwang (1970) und Schneepart (1971), Zeitgehöft (1976).
Im April 1970 nahm sich Celan das Leben.
Quellen:
»Freme Nähe – Celan als Übersetzer«
insbesondere: Andreas Lohr: »Der Fall Simenon«
Weitere Literatur
Stefan Zweifel – »Diesmal ermordet: der Text« (DU - Simenon-Sonderausgabe Frühjahr 2003)