Picpus

Maigret und der Fall Picpus


Dramatische Musik ertönt, Namen längst verstorbenen Schauspieler laufen über den Fernseher und mit der ersten Szene gibt es einen abrupten Wechsel: Akkordeon-Musik, die man gleich mit Frankreich assoziiert, ertönt und man sieht einen Mann in einem Gartenstuhl liegen, eine Zeitung über dem Gesicht, während im Hintergrund zwei Männer Schach spielen und zwei Frauen laut miteinander plappern.

Wer der Mann im Vordergrund ist, ist schnell klar: Es ist Kommissar Maigret, der aber versucht, nicht Kommissar Maigret zu sein. Nicht, weil er eine geheime Ermittlung durchführt, sondern vielmehr, weil er Anstrengungen unternimmt, keine Ermittlung durchzuführen. Sein Plan wird ständig torpediert: Von der Wirtin, vom Briefträger, von seinen Kollegen, die offenbar nicht ohne ihn auskommen. Alle wollen ihn einbinden in ihre Ermittlungen, aber Maigret hat keine Lust. Er will faul rumliegen, lesen und angeln. Wer mag es ihm übel nehmen.

Der Maigret

Der Name hatte einen Klang: Albert Préjean – er war ein französischer Schauspielstar. Er brachte die entsprechenden Voraussetzungen mit: Er war in jungen Jahren Boxer, sang in Cafés und war ein erfolgreicher Jagdflieger. Wenn man dann auch noch schauspielern kann und das Glück ein wenig Hold ist, dann steht einem wohl nichts mehr im Wege, um erfolgreich zu werden. Préjean war ein prägendes Gesicht in den 20er und 30er Jahren.

Dann änderte sich der Stil im Kino. Es wurde schwermütiger und realistischer. Die Stars dieser Epoche trugen andere Namen – Jean Gabin war einer von ihnen und er sollte Préjean als Maigret auch im Kino ablösen. Der ehemalige Superstar hatte noch seine Hauptrollen, aber die großen Erfolge lichteten sich langsam. Nach dem 2. Weltkrieg war er nur noch in Nebenrollen zu sehen.

Préjean spielte den Maigret im Alter von etwa 50 Jahren (das Geburtsjahr wird mal mit 1893, mal mit 1894 angegeben). Mir ist, als wäre er der jugendlichste Maigret-Darsteller, den ich bisher gesehen habe. Gabin war im gleichen Alter wie Préjean, als er mit Maigret anfing; Rupert Davies sogar jünger. Ich habe nicht alles gesehen, was es an Maigret-Filmen gibt. Allerdings kann ich mich nicht erinnern, dass ich jemals Maigret in einer Prügelei am Boden gesehen habe. Hinzu kommt, dass nur ein Mann von der Statur Préjeans im Anschluss aufstehen kann, sich abklopft und überhaupt nicht schnauft. Eigentlich nimmt man ihn den Running Gag – immer müssen sie in das oberste Stockwerk eines Hauses und nie gibt es einen Aufzug – gar nicht ab.

Lucas

Der Wachtmeister ist auch mit von der Partie und begleitet den Kommissar hin und wieder. Er ist größer als Maigret und viel kräftiger. In den Büchern wird er als folgsamer Helfer Maigrets geschildert. Marotten hat er nicht und ob der Wachtmeister nun besonders clever ist oder nicht, wird von Simenon nicht thematisiert. In den Verfilmungen ist es immer anders. In dieser Verfilmung kann man sich des Eindrucks nicht erwecken, als wäre Lucas eher ein kleiner Dummkopf, der durch ein Versehen den Job bei Maigret bekommen hat. Verstärkt wird dies noch durch seine Angewohnheit, bestimmte Worte merkwürdig auszusprechen und zu betonen – ganz so, als hätte er einen Sprachfehler.

Nun ist der Darsteller des Maigret – André Gabriello – auch als Komiker bekannt. Insofern verwundert seine Darstellung nicht. Ich habe hin und wieder überlegt, ob man einfach versucht hat, die Synchronisation, komisch zu gestalten. Allerdings macht er auch so im Film merkwürdige Dinge, so dass man wohl festhalten kann, dass hier nicht mit einer Bud Spencer-/Terrence Hill-Nummer probiert wird, den Film komischer zu machen, als er ist.

Er ist, wie er ist

​Mir hatte bei den Verfilmungen mit Rowan Atkinson eines gefehlt: Humor. Vielleicht auch, weil ich kurz zuvor einige Verfilmungen mit Rupert Davies gesehen hatte, der eindeutig seine komischen Momente hat. Die Krone des Humor (mancher würde auch sagen: Humor-Versuchs) geht aber gewiss an Albert Préjean. So mancher Witz wird gerissen und manchmal wirkt es sogar, als wäre der Kommissar albern. Die Schwelle, dass ich dessen überdrüssig war, erreichte Préjean nicht. Ich glaube aber, dass manch Zuschauer von der Darstellung abgeschreckt sein könnte.

Gut bei Stimme

Meine größte Befürchtung ergaben sich aus der Tatsache, dass es sich um eine Neusynchronisation handelt, die PIDAX eigens für diesen Zweck fertigen ließ. Ganz ehrlich: Ich fand die Stimmen gut gewählt, sie passten auch zum Ambiente und ich fand nur ganz wenige Stellen, wo sich meine Stirn kräuselte. Dabei handelte es sich aber um Kleinigkeiten: Wenn während des ganzen Films die Herrschaften mit »Monsieur« und »Mademoiselle« angeredet werden bzw. über sie mit den Anreden gesprochen wird, kommt ein plötzliches »Herr« überraschend und unpassend daher. Um solche Stellen zu finden, muss man aber sehr aufmerksam sein.

Auch in einer weiteren Hinsicht war ich sehr überrascht: Lucas holt Maigret ab, um ihn nach Paris zum Fall zu bringen. Während der Fahrt wird geschildert, was passiert ist. Während der Zuschauer im Hauptbild sieht, wie die Beiden auf der Straße fahren, wird unten rechts stummfilmartig gezeigt, was sich in Paris abgespielt hat. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was sich die damaligen Techniker gedacht haben, als der Regisseur mit dieser Idee um die Ecke kam.

Vergleicht man diesen Film mit der Buchvorlage, dann erkennt man die Buchvorlage noch. Aber es ist schon eher eine Verfilmung nach einer Idee des Autoren, denn eine Literatur-Verfilmung. Es wird in dem Film nicht gesungen (zum Glück, vielleicht), aber mir kam es operettenhaft vor: Alles läuft leicht und locker ab, ist unterhaltsam und ein wenig beschwingt. In zwei Stunden soll eine Frau umgebracht werden? Nun ja – man hat wirklich nicht den Eindruck, dass Maigret ernsthaft beunruhigt ist.

Trotzdem ist schön, auch diesen Maigret mal gesehen zu haben. Maigret-Liebhaber, die sich schon auf einen Schauspieler als Lieblings-Maigret festgelegt haben, dürften auf jeden Fall enttäuscht werden. Wer mit Humor in Krimis und insbesondere in Maigret-Filmen nichts anfangen kann, sollte um diesen Maigret ebenfalls einen Bogen machen. Pflichtprogramm ist es für jeden, der sich für die gesamte Maigret-Welt interessiert. Gerade unter dem letzten Aspekt kann man PIDAX für die Veröffentlichung nur dankbar sein.