Simenon auf der Couch
Es ist nicht bekannt, ob sich Simenon auch unabhängig von dieser »Session« auf die Couch gelegt hat. Hin und wieder, wenn ich mir Biographien zu Gemüte ziehe, habe ich den Eindruck, es wäre nicht schlecht gewesen. Dieser Couch-Aufenthalt indes war ein Experiment. Ärzte versuchen Simenons Geheimnisse zu ergründen und dokumentieren dies.
Ja. Es ist sehr schwierig einen Anfang zu finden. Wie soll man sich dem Buch in einer kurzen und knappen Beschreibung nähern? Vielleicht mit dem Klappentext? Da steht, dass es ein Buch sei, welches für jeden Arzt, Anwalt, Psychiater und Richter sei. Könnte das ein Ansatzpunkt sein?
Kabarettisten fangen ihr Programm gern mit der Entschuldigung an, dass sie zwar freuen, dass das Publikum so zahlreich erschienen wäre, sie diesem aber die traurige Mitteilung machen müssten, dass leider kein Programm fertig geworden wäre. (Meist erzählt der gute Darsteller dann ungefähr zwei Stunden lang irgendwas, die Zuschauer amüsieren sich prächtig, und der Darsteller verabschiedet sich, dass das ja auch ohne Programm gut über die Bühne gegangen ist.) In einer ähnlichen Situation bin ich auch: was soll man über ein Interview erzählen? Da gibt es nichts zu erzählen.
Das Wort »Interview« ist schon falsch. Da scheint es mir bei näherem Überlegen schon naheliegend, dass man den Untertitel »Fünf Ärzte verhören den Autor sieben Stunden lang« gewählt hat. Häufig hat man das Gefühl, es werden keine Fragen gestellt. Wie man es aus jedem besseren Krimi kennt, werden dem Befragten bei dem Verhör, die Antworten in den Mund gelegt. Er kann sich dagegen wehren und eine Gegendarstellung vornehmen; oder er lässt es sein. Die Antworten von Simenon fallen in diesem Verhör hin und wieder sehr einsilbig aus. Häufig gibt der Autor sehr ausführlich Antwort und der Leser kann, wie die Verhörenden damals, einen Einblick in die Seele und in die Arbeitsweise des Schriftstellers gewinnen.
Das Buch ist sicher sehr aufschlussreich für Leute, die an dem Werk des Autors sehr interessiert sind (die Betonung liegt auf dem Wort »sehr«); sie ist eine Goldgrube für Journalisten, die Artikel über Simenon schreiben »müssen« und für Marketingexperten, die Simenon zu bewerben haben. Richter, Anwälte, Psychiater werden vielleicht auch interessiert an diesem Buch sein, aber es offeriert keine Wahrheit, sondern nur die Sicht von Simenon auf seine Welt. Die ist eine Meinung unter vielen, auch wenn er Nachdenkenswertes über das Verhältnis von Sachverständigen und Justiz verlautbaren lässt.
Anmerkenswert scheint mir noch zu sein, dass die Ärzte, die Simenon verhörten, äußert fasziniert von seinem Buch »Die Glocken von Bicêtre« gewesen waren. Sie äußerten sich immer wieder beeindruckt darüber, wie genau Simenon die Krankheit (in dem Buch, den Verlauf einer Rehabilitation nach einem Schlaganfall) beschrieb, wie detailliert die Abläufe eines Krankenhausbetriebes gezeichnet wurden.