Fliegen die Buchstaben, Wörter, Sätze beim Lesen an mir vorbei, entstehen vor meinem geistigen Auge Filme. Maigret und seine Kollegen, für jeden habe ich ein Gesicht. So geht mir das auch mit den Gesprächen, die geführt werden und den Handlungen, die uns der Autor in einer Geschichte schildert. Blöd ist’s, wenn dieser Film plötzlich durch ein Fehler im Skript gestört wird. Da wird es dann schräg.
Ein Hotel an einem Bahnhof zu eröffnen, es sei denn, es handelt sich um einen kleinen Weiler, war immer eine gute Idee. Mit der Namensgebung mussten sich die Hoteliers nicht anstrengen. Viele nannten ihre Etablissements »Hotel zur Eisenbahn« oder in Frankreich »Hôtel du Chemin de Fer« – in zahlreichen Variationen. Die Gäste wussten intuitiv, wo sie ihre Bleibe zu suchen hatten.
In den uns vorliegenden Fall-Akten von Maigret, sie lassen sich auch Romane und Erzählungen nennen, gibt es einige Situationen, in denen der Kommissar fragwürdige Entscheidungen traf. Teilweise führten diese zu fatalen Ergebnissen. Ganz oben dürfte dabei sein Entschluss stehen, einem Mann von Brüssel nach Bremen zu folgen. Und diesem einen falschen Koffer unterzuschieben.
Die in mir schlummernde Neugierde und Pedanterie erwachte, als ich im dritten Absatz von »Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien« las, dass Neuschanz im nördlichsten Zipfel Hollands liegen würde. Kann das sein? Gibt es da nicht auch Inseln. Meinereiner musste auf die Karte schauen und prüfen, wie die örtlichen Gegebenheiten einzuschätzen sind und ob Simenon mit dieser Aussage richtig lag.
Maigret stieg aus dem Zug aus. Das Licht an der Côte d’Azur ist ein spezielles, die Augen müssen sich erst daran gewöhnen und dann war es da ... dieses Gefühl von Ferien, was den Kommissar aus Paris überkam. Es ist der erste Absatz, der Leser:innen in die gleiche Stimmung versetzt, den Wunsch nach Ausspannen, nach Sonne, vielleicht auch nach einem Pastis. Vorausgesetzt ...
Stramm marschiert, lässt sich der Spaziergang in zwei Stunden absolvieren. Der Volksmund sagt, dass der Mensch 5 km/h geht – im Durchschnitt. Ich halte das für unwahrscheinlich, da der Weg von Geschäften, Eisläden und andere Sehenswürdigkeiten gesäumt sein wird. Die Tour ist einem Lagerverwalter gewidmet, der ein blödes Ende in einer Sackgasse nahm.
Der Bahnhof Potsdam-Stadt war mal Hauptbahnhof und verfiel nach dem Mauerbau in einen Dornröschenschlaf. Fuhr man von dem neueren Hauptbahnhof in Richtung Babelsberg, stieg an dem Haltepunkt kaum jemand aus. Landläufig sprach man von der »Eule«, wenn man die Linie meinte, die zwischen den Bahnhöfen verkehrte. Das alles ist schon Jahre her.
Da habe ich gerade eine halbe Stunde damit zugebracht, herauszubekommen, warum in der deutschen Übersetzung von »Weihnachten bei den Maigrets« Torrence gegenüber Maigret behauptet, dass die junge Dame »sich zur Rue de Maubeuge in die Nähe der Gare du Nord« hat fahren lassen. Beim Lesen dachte ich immer: »Warum denn ›Nähe der Gare du Nord‹?« Das hört sich für mich weder schön noch richtig an.
Schon für damalige Verhältnisse war Ouistreham einen Katzensprung von Caen entfernt. Ein Verdächtiger machte sich von dem Hafenort aus mit dem Fahrrad auf den Weg nach Caen und sollte für die zwölf Kilometer etwa eine halbe Stunde gebraucht haben. Für den öffentlichen Nahverkehr gab es vielleicht Busverbindungen, obwohl davon nicht die Rede ist, sondern eine Kleinbahn. Diese fuhr nur tagsüber.