Die Mittelmeerküste Frankreichs hat seine Reize. Doktor Mahé hatte gehört, dass es auf Porquerolles schön sein sollte. Das hatte ihm ein Freund erzählt. Er stornierte das gewohnte Urlaubsdomizil und verbrachte die Familie auf die Insel. Die Frau war sprachlos; die Mutter schaute fassungslos zu, ohne es groß zu kommentieren – was soll man von einem Mann erwarten, dessen Vater sturzbetrunken versucht hatte, ein Pferd zu heben und dabei umkam? Nicht nur der Familienvater war enttäuscht von diesem Urlaub und trotzdem kehrten sie im darauffolgenden Jahr zurück. Was war passiert?
Eine ganze verrückte Sache ist die, dass ich so oft die Romane und Geschichten Simenons über Porquerolles gelesen habe, dass ich am Ende der festen Überzeugung gewesen war, ich hätte die Insel schon besucht. Ich war sogar der Meinung, dass ich den Leuten Empfehlungen könnte. Erst als wir angelegt hatten, wurde mir klar: Hier war ich noch nie zuvor gewesen.
Erinnerungen sind trügerisch. Manchmal, wenn ich an einer Baustelle vorbeifahre, bei der die Straße asphaltiert wird, denke ich: »Das riecht aber gut.«, was es für mich auch tut, weil ich mit dem Straßenbelag Teer verbinde, so wie früher. Aber wir asphaltieren heute und die Konsistenz mag ähnlich sein, die dahinterstehenden Stoffe sind unterschiedlicher Natur.
Hin und wieder kam die Sprache darauf und dann meinte meine Mutter, dieses oder jenes Stück wäre aus ihrer Aussteuer und wie neu. Das konnte gut sein, wurde das besprochene Objekt doch nie oder sehr selten benutzt und verbrachte sein Lebtag – so Dinge so etwas haben – wohl verstaut im Schrank. Wer konnte wissen, wofür man es noch einmal brauchte?
Wenn ich einen kleinen Verdacht äußern dürfte: In der Redaktion der arte-Sendung »Stadt, Land, Kunst« hat ein gar nicht so unheimlicher Simenon-Liebhaber Unterschlupf gefunden. Bemerkenswert, wie häufig Simenon-Themen in Sendungen zu finden sind. Mindestens einmal im Jahr wird der Schriftsteller erwähnt. Für Simenon-Liebhaber vielleicht nicht genug ...
Wundern muss es nicht, schließlich steht ein Mediziner im Mittelpunkt dieser Geschichte um die merkwürdige Inselleidenschaft: Da werden Lesende zwangsläufig mit Tod, Verderben und Siechtum konfrontiert. Am Anfang des Romans steht das Ableben von Anna Klamm, gefolgt von den Krankheiten die Mahés Freund Armand pflegte, bis zur Mutter des Arztes.
Das Gefühl, dass der Arzt aus dem Département Deux-Sèvres die Insel Porquerolles nach seinem ersten Besuch mochte, stellt sich nicht ein. Alle waren heilfroh, wieder zu Hause zu sein. Trotzdem zog es François Mahé im nächsten Sommer erneut auf die Insel. Besonders kritisch wird es, wenn Touristen anfangen, sich wie Einheimische zu kleiden – um dazuzugehören.
Der Vergleich, fand ich, war bestechend. Da gab es einen Ort, der nicht existierte, zumindest nicht an der beschriebenen Stelle, und er tauchte als Name oft auf der Landkarte auf: So wie bei uns Neustadt. So erklärte ich Saint-Symphorien zum Neustadt der Franzosen. Nun weiß ich, dass der Heilige wie ein Nobody wirkt geht, wenn man es mit Saint-Hilaire vergleicht.