Der Charme der Maigret-Geschichten besteht auch darin, dass die Lesenden dem Kommissar mit dem Finger auf der Landkarte folgen können. Das Vergnügen wird hin und wieder getrübt, weil Simenon fiktive Örtlichkeiten wählte oder, da sich das Rad der Zeit weitergedreht hat, die Lokalitäten verschwunden sind. So zum Beispiel bei dieser Schleuse, die erwähnt wird.
Schloss die Person endgültig die Augen, war Nachkommen oft daran gelegen, eine letzte Erinnerung anzufertigen. Fotografien gab es nicht, so wurde ein Künstler geholt, der eine Maske anfertigte. Das Gesicht wurde ein wenig »gerichtet«, gesäubert und vor dem Auftragen des Gipses präpariert, sodass man diesen später wieder entfernen konnte. Damit hatte man das Negativ für die Maske.
Hier soll es nun eine Pause geben vom üblichen Geschäft. Die besteht aus wenig Text und ein paar Bildern. Was könnte die Ursache dafür sein: Genau, ein Urlaub. Wann immer es möglich ist, versuche ich ein paar Simenon-Maigret-Entdeckungen in unsere Urlaubsroutine einzustreuen. Klar, dass ich das Blatt nicht überreizen darf, zumal die Resultate manchmal zweifelhaft sind.
Als die Deutschen im Juni 1940 in Paris einmarschierten, versäumten sie es nicht, sich einer publizistischen Macht zu bemächtigen: Die Zeitung »Paris-Soir« war das auflagenstärkste Medium in Paris. Mit ihr betrieben sie ihre Propaganda. Das Manöver blieb den Parisern nicht verborgen. Die Auflage brach auf ein Drittel ein. Wer wollte schon die Kommuniqués der Besatzer lesen?
Zwanzig Minuten lang fragte ich mich, was die Drehbuchautoren geritten hat. Dann kam die Phase der Akzeptanz: Nichts würde die Story wieder zurück auf den Pfad von Simenons ursprünglicher Idee bringen. Also kam ich in die Phase der Neugierde und die Frage, wie die Geschichte wohl ausgehen würde, stand im Vordergrund. Überraschenderweise ist das Ende sehr clever und mehr als annehmbar.
In der Wohnung meiner Eltern hatten wir sie, in der Schule und auch in öffentlichen Gebäuden sowieso – zumindest während meiner Kindheit waren schlichte Bodenbeläge allgegenwärtig gewesen. Meine Erinnerung, die trügerisch sein mag, gaukelt mir vor, dass bei dem Bodenbelag von Linoleum gesprochen wurde. Eine Maigret-Geschichte führte dazu, dass ich es nun besser weiß.
Die Hellseherin war tot. Der wichtigste Zeuge Maigrets in dem Fall, Joseph Mascouvin, hatte sich in die Seine gestürzt und lag schwer verletzt im Krankenhaus. Die Zeitungen hatten viel zu berichten. Eine junge Frau machte sich in ihrer Wohnung zurecht und begab sich zur Polizei. Mademoiselle Janiveau konnte helfen, sie war die Stiefschwester. Moment, was ist mit den Namen?
Sprach- und Worterfindern hätte man auf den Weg mitgeben müssen: »Gibt es den Begriff schon im Wörterbuch? Dann streng dich an und lass dir einen neuen Begriff einfallen!« Ohne die Regel regierte die Faulheit und für ganz unterschiedliche Sachverhalte wurde der gleiche Begriff verwendet. Das führt – ehrlich gesagt – nur zu Konfusion. Insbesondere bei Übersetzungen.
Was die Concierge über Antoinette Le Cloaguen zu erzählen hatte, war interessant für Maigret. Sie und ihre Tochter kauften die schlechtesten Partien für sich beim Metzger. Ein Dienstmädchen hatten sie nicht, sondern es kam »nur« eine Putzfrau jeden Morgen. Aber die Le Cloaguens waren reich, meinte die gute Seele des Hauses. Die Empfänge jeden Montag wären ein Indiz.
Fliegen die Buchstaben, Wörter, Sätze beim Lesen an mir vorbei, entstehen vor meinem geistigen Auge Filme. Maigret und seine Kollegen, für jeden habe ich ein Gesicht. So geht mir das auch mit den Gesprächen, die geführt werden und den Handlungen, die uns der Autor in einer Geschichte schildert. Blöd ist's, wenn dieser Film plötzlich durch ein Fehler im Skript gestört wird. Da wird es dann schräg.
In der beliebten Reihe »Schau an, so etwas gab es auch mal« wird diesmal eine Gerätschaft vorgestellt, deren Nutzen spätestens seit dem späten 18. Jahrhundert infrage gestellt werden musste – sich aber bis in das 20. Jahrhundert behauptete. Wer heute auf den Trichter käme, mit diesem Accessoire – der Lorgnette – in der Öffentlichkeit aufzutauchen, dürfte modisches Aufsehen erregen wollen.
Die häufige Erwähnung einer Lokalität im Maigret-Universum ist kein Indiz dafür, dass diese tatsächlich existiert hat – die »Brasserie Dauphine« kann als Beweis dafür gesehen werden. Mal streute Simenon wahrhaftiges Lokalkolorit ein, oft entsprang ein Restaurant oder ein Bistro seiner Fantasie. Leichter herauszufinden, was wahr ist, macht es einem der Lauf der Zeit nicht. Diesmal: das »Manière«.